Mit Sorgen ins neue Jahr

Die Spannungen zwischen Israel und Sy­rien haben sich verschärft. Medien und Politik in Israel rechnen mit einem Krieg. von andrea livnat, tel aviv

Als Christiane Amanpour, die Starreporterin von CNN, am Dienstag der vergangenen Woche verkündete, Israel habe tatsächlich Ziele in Syrien angegriffen, was einen Krater in der Wüste und Zufriedenheit auf israelischer Seite erzeugt hätte, war man in Israel vor allem mit einem beschäftigt: Einkaufen. Denn Rosh Hashanah, das jüdische Neujahrsfest, stand vor der Tür, die Nachrichten haben zwar für reichlich Gesprächsstoff am Familientisch gesorgt, eine offizielle Stellung­nahme der israelischen Regierung zu dem Vorfall gibt es jedoch nicht.

Israel begeht die Feiertage durchaus in Sorge. Auf Neujahr folgt Jom Kippur, der hier im Land stets mit dem Trauma von 1973 verbunden bleibt. Damals nutzten die Armeen Ägyptens und Syriens den Feiertag für einen Überraschungsangriff. Nun stehen die Zeichen wieder auf Krieg mit Syrien, darin ist man sich in Israel, sowohl in der Politik wie auch in den Medien, weitgehend einig. Die Frage ist nicht, ob, sondern wann es den nächsten Krieg gibt. Eine diplomatische Lösung ist dringender denn je geboten.

Dass der Krieg gleich morgen zu erwarten ist, scheint glücklicherweise nicht wahrscheinlich, denn Syriens Präsident Bashar al-Assad ist sich darüber im Klaren, dass sein Land Israel derzeit keine ausreichende militärische Stärke entge­gen­setzen kann, vor allem im Luftraum. Während Syrien auf eine große Armee zurückgreifen kann, die kampfbereit gehalten wird, muss Israel Reservisten mobilisieren, eine Tatsache, die vor allem beim Einsatz von Bodentruppen ein Vorteil für Syrien ist. In der Luft und bei der elektronischen Aufklärung war Israel bisher jedoch deutlich überlegen, was sich vor allem im ersten Liba­non-Krieg 1982 zeigte, als die israelische Luftwaffe ohne große eigene Verluste die syrische Raketenabwehr und zahlreiche syrische Kampfjets zerstörte. Diese Überlegenheit könnte in naher Zukunft schwinden, wenn sich das syrische Militär mit den modernen Luftabwehrsystemen, die jüngst von Russland geliefert wurden, vertraut gemacht hat.

Doch auch wenn ein Krieg nicht unmittelbar bevorsteht, kann Assad den Israelis das Leben schwer machen, und er tut dies auch. Syrien ist nicht nur verantwortlich für die Aufrüstung der libanesischen Hizbollah – über Syrien wurde der Großteil jener Raketen geliefert, die im Sommer vorigen Jahres auf Israel abgefeuert wurden –, sondern unterstützt in Allianz mit dem Iran auch terroristische palästinensische Gruppierungen, den Islamischen Jihad, aber auch die Hamas und andere.

Während sich die israelische Regierung weiter in Schweigen hüllte und die Bevölkerung Neujahr mit einem verlängerten Wochenende feierte, gingen die Spekulationen im Ausland weiter. Mitt­ler­weile heißt es aus türkischen Geheimdienstkreisen, acht israelische Kampfjets, darunter moderne F-15 und F-16-Bomber, seien am Zwischenfall in Syrien beteiligt gewesen. Der Angriff galt angeblich einer Einrichtung im Norden, die als land­wirtschaftliche Forschungseinrichtung bezeichnet wird. Dabei handelt es sich entweder um ein Lager für Waffenvorräte aus dem Iran, die möglicherweise für die Hizbollah bestimmt waren, oder aber, so die jüngste Vermutung, um eine geheime Nuklearanlage.

Die Washington Post und die Times berichteten am Wochenende unter Berufung auf israelische Geheimdienstkreise, der Einsatz habe aus Nordkorea importiertes nukleares Material zerstören sollen. Syrien verfügt über Scud-Raketen, die auch einen Atomsprengkopf transportieren könnten.

In diesem Zusammenhang ist die Tatsache von Bedeutung, dass nach dem Vorfall in der vorvergangenen Woche, gegen den Syrien Beschwerde bei der UN eingelegt hat, keiner der arabischen Staaten seine Unterstützung ausgesprochen hat. Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, die Golfstaaten, alle schwiegen. Dies zeigt einerseits die Isolation Syriens in der arabischen Welt, insbesondere wegen seiner Allianz mit dem Iran. Andererseits könnte dies auch ein weiterer Hinweis darauf sein, dass Syrien tatsächlich plant, Atommacht zu werden – eine Entwicklung, die auch von anderen arabischen Regierungen mit großer Sorge gesehen würde.

Der Vorfall hat außerdem einmal mehr bewiesen, wie schnell sich im Nahen Osten die Umstände ändern können. Noch vor kurzem schien eine erneute Annäherung zwischen Israel und Syrien möglich. Erst im Juni gab es Versuche, den Friedensprozess mit Syrien wieder in Gang zu bringen. Über türkische Vermittlung ließ Israels Ministerpräsident Ehud Olmert dem syrischen Präsidenten mitteilen, er kenne den Preis für den Frieden und sei bereit, ihn zu zahlen. Der Preis sind die Golanhöhen, deren Rückgabe Sy­rien stets als Voraussetzung für ein Friedens­abkommen reklamiert hat. Der Golan ist jedoch wichtig für Israels Verteidigung und Wasserversorgung.

Die Golanhöhen wurden von Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 erobert und 1981 annektiert. Das 1 200 Quadratkilometer große Plateau ist vor allem wegen seiner strategischen Lage wichtig: Das erhöhte Gebiet ermöglicht die Überwachung der Umgebung und schafft im Kriegsfall eine Pufferzone zu Syrien. Vor 1967 waren die nörd­lichen Gemeinden Israels immer wieder syrischem Beschuss von den Golanhöhen ausgesetzt.

Neben der militärisch günstigen Lage ist es vor allem Wasser, das dem Golan eine strategische Schlüsselstellung gibt. Streit um Wasser war es auch, der vor dem Sechs-Tage-Krieg maßgeblich zur Verschärfung der Lage an den Grenzen Israels geführt hat. Vor 1967 lag nur einer der drei Quellflüsse des Jordan, der Dan, auf is­raelischem Staatsgebiet. Daneben speisten der Hasbani im Libanon und der Banias auf den sy­rischen Golanhöhen den Fluss, der dem See Genezareth, Israels größtem Trinkwasserreservoir, sein Wasser zuführt. Als Israel Ende der fünfziger Jahre mit einem Rohrleitungsprojekt begann, Wasser aus dem See Genezareth in den Negev zu leiten, drohte die Arabische Liga mit der Ableitung der Quellen des Jordan. Tatsächlich wurde 1964 mit den Arbeiten begonnen, die israelische Armee zerstörte im März 1965 die syrischen Ableitungseinrichtungen, woraufhin auch die Arbeiten im Libanon abgebrochen wurden. Seit dem Sechs-Tage-Krieg befinden sich alle drei Quell­flüsse unter israelischem Einfluss.

Die israelische Öffentlichkeit ist Umfragen zufolge keineswegs dazu bereit, den Preis zu zahlen, den Syrien für Frieden fordert. Nach einer Umfrage der Tageszeitung Maariv vom Juni sind 84 Prozent der Befragten gegen einen vollständigen Rück­zug vom Golan als Gegenleistung für Frieden mit Syrien. 48 Prozent sprachen sich gegen die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Israel und Syrien aus, da anzunehmen ist, dass dabei auch die Zukunft des Golan zur Debatte steht. Außerdem glauben 74 Prozent der Befragten nicht an die Erklärungen des syrischen Präsidenten Assad, er sei an Frieden interessiert.

Gegen die Rückgabe stellt sich nicht nur die Rechte, auch zahlreiche Anhänger der Linken wollen sich nicht vom Golan verabschieden. Die vorherr­schende Meinung der Bevölkerung kann man in Israel sehr gut an den beliebten Aufklebern auf Autos ablesen. »Das Volk ist mit dem Golan« ist der seit Jahrzehnten gebräuchliche Dauerbrenner. Von den Siedlern der Golanhöhen in Umlauf gebracht, gesellten sich bald weitere Slogans dazu, darunter auch das Bekenntnis »Ich, ein Linker, bin mit dem Golan«. Deutlich wurde die Unterstützung von links auch auf der großen Demonstration gegen eine Rückgabe des Golans, die in Tel Aviv im Jahr 2000 stattfand, nach der ersten Verhandlungsrunde zwischen dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak und dem syrischen Außenminister Faruk al-Shara. Mehr als 100 000 Israelis waren zur Unterstützung der 17 000 jüdischen Siedler im Golan gekommen, eine seltene Einheit zwischen Rechten und Linken.

Ob es Olmert gelingen könnte, die Öffentlichkeit umzustimmen, ist die eine Frage. Zunächst aber müsste der politische Wille zu neuen Friedensverhandlungen auch nach dem Vorfall deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Wie Smadar Peri und Itamar Eichner kürzlich in der Tageszeitung Jedioth Achronoth schrieben: »Damaskus hat die Entscheidung wahrscheinlich schon getroffen: Im Jahr 2007 wird der Status quo enden – mit einem Krieg oder einem Abkommen. In der Zwischenzeit treiben die Syrer das Wettrüsten an, um sicherzustellen, dass der nächste Krieg auch der schwerste aller Kriege sein wird.« Noch aber bleibt es bei einem Krieg der Worte.