Tornados zu Sprengstoffgürteln!

Auf ihrem Sonderparteitag entschieden sich die Grünen gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und für einen Frieden mit den Taliban. von jan langehein

Jürgen Trittin kommt aus Göttingen, war schon einmal Umweltminister und möchte nach der Wahl 2009 gerne Außenminister werden. Er schaffte es, den grünen Sonderparteitag zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan nach Göttingen zu holen, und wollte dort kräftig Werbung für sich machen. Statt aber seiner Partei die neue Linie vorzugeben, erlitt Trittin eine Niederlage. Sein Versuch, sich als Afghanistan-Experte zu profilieren, scheiterte an einer Stimmung, die für Fakten wenig, für Ressentiments und ein gutes Gewissen aber umso mehr Raum bot.

Kaum hatte sich der Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer am Rednertisch aufgestellt, machte sich eine Gruppe von Kriegsgegnern auf den Weg zur Tribüne. Sie skandierten »Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt« und erhielten dafür zu einem guten Teil Applaus von denjenigen, gegen die sich der Sprechchor eigentlich richtete. Als man die Demonstranten freundlich aus dem Saal bugsieren wollte, wiesen Delegierte das Sicherheitspersonal zurecht, man solle die Leute in Ruhe lassen, sie dürften ja wohl noch ihre Meinung sagen. »Tornados? Nein Danke!« – dieser Anstecker im Design der acht­ziger Jahre ist bei der Parteibasis ebenso beliebt wie bei den Gegnern der Partei.

Sie haben es nicht leicht, die Grünen. Die Führung versuchte, sich staatsmännisch zu geben, und wollte den Eindruck erwecken, jederzeit bereit zu sein für eine Rückkehr in die Regierung. Die Basis hat dagegen wieder Spaß daran gefunden, so zu tun, als bildeten die Grünen nach wie vor die Avantagarde einer pazifistischen Massenbewegung. Jene Basis, genauer gesagt 44 Kreisverbände, hatte den Parteitag erzwungen, nachdem Teile der Bundestagsfraktion im Frühjahr für den Einsatz von Aufklärungstornados in Afghanistan gestimmt hatten.

Die grüne Führung wollte unbedingt eine Zustimmung zum Bundeswehreinsatz haben, da sie dies als Voraussetzung dafür erkannt hat, außenpolitisch als zuverlässig zu gelten. Um auf dem Parteitag eine Mehrheit zu bekommen, legte sie das rhetorische Gewicht ihres Leitantrags auf den so genannten Strategiewechsel: die Verdoppelung des Geldes für den zivilen Wiederaufbau, die Absage an die von den USA geleitete Operation Enduring Freedom (OEF) und die engere Zusammenarbeit mit der afghanischen Bevölkerung. Das alles glaubte die Parteiführung durchsetzen zu können, verbunden mit der Zustimmung zu einem verlängerten Einsatz der Schutztruppe Isaf.

Dass die Strategie keinen Erfolg hatte, lag an zwei Faktoren: Zum einen hat die Große Koalition durchgesetzt, dass im Bundestag über das Isaf-Mandat und den Einsatz der Tornados gemeinsam abgestimmt werden wird. Dem Tornado-Einsatz wollte der Parteitag auf keinen Fall zustimmen. Zum anderen war der pazifistische Flügel in Göttingen derart stark, dass viele selbst vom Isaf-Mandat allein nichts mehr wissen wollten. Hans-Christian Ströbele erklärte den vom Bundesvorstand so betonten Unterschied zwischen Isaf und OEF für nichtig: »Viele Kampfeinsätze werden schon lange nicht mehr von OEF-Einheiten durchgeführt, sondern von Isaf-Truppen, die ja auch gemeinsame Oberkommandierende haben. Das kann man heute gar nicht mehr trennen, das ist praktisch eine Armee.«

Große Teile des Parteitags teilten seine Einschätzung und brachten stehenden Ovationen dar, als der Delegierte Jörg Rupp im blauen T-Shirt mit der Friedenstaube seine Forderungen stellte: »Wir brauchen einen Plan für den Rückzug der Isaf-Truppen und müssen der afghanischen Bevölkerung deren Aufgaben übertragen. Und wir brauchen einen sofortigen Rückzug der Tornados, weil sie Teil der US-amerikanischen Strategie sind, die Bundeswehr in ihren Krieg gegen die afghanische Bevölkerung zu integrieren.« Dass man von der Bevölkerung in Afghanistan sprechen kann und dass der Krieg gegen die Taliban auch einer gegen die Bevölkerung ist, darüber herrschte fast Einigkeit auf dem Parteitag. Überhaupt scheinen weniger die Jihadisten das Problem der meisten Delegierten zu sein, sondern diejenigen, die gegen sie kämpfen. So erklärte ein Delegierter unter dem Applaus seiner Zuhörer die Bombenanschläge auf gemischtgeschlechtliche Schulen damit, dass diese von westlichen Soldaten bewacht würden. Dagegen erntete Daniel Cohn-Bendit Buhrufe und Pfiffe, als er sagte: »Es gibt nun mal die Kräfte, die Afghanistan zum Homeland des Terrorismus gemacht haben. Sie bekämpfen jeden Wiederaufbau, der auf eine demokratische Struktur hinarbeitet. Das ist die Realität, mit der wir dort konfrontiert sind.« Von dieser Realität aber wollte kaum jemand etwas hören. Viel lieber blickten die meisten Delegierten durch eine Brille, die die politischen Kräfte in Afghanistan rosa und freundlich erscheinen lässt.

Claudia Roth sagte zwar, nachdem die Delegierten mehrheitlich für den Gegenantrag von Robert Zion gestimmt hatten, der Beschluss beinhalte das vom Vorstand erwünschte Festhalten am Mandat der Isaf. Das war aber höchstens die halbe Wahrheit. Tatsächlich unterstützt der Antrag die Mission der Isaf nur unter der Bedingung, dass die OEF beendet und die Tornados zurückgeholt werden. Deutlicher in seiner Abkehr von der bisherigen grünen Politik wird der Antrag bei dem, was darin »Friedensprozess« genannt wird. Im Hinblick auf den Staatsaufbau schlagen die Grünen damit eine neue Friedenskonferenz vor – nicht mehr mit den bisherigen Verhandlungspartnern, sondern »mit allen relevanten, tatsächlich Macht innehabenden Fraktionen – auch Warlords und Taliban«.

Das ist dann die Quintessenz der neuen grünen Friedenslinie: Um den Krieg in Afghanistan zu beenden, wollen sie sich mit den Warlords an einen Tisch setzen, die ihre Macht allein dem Krieg zu verdanken haben. Und sie wollen mit den Taliban jene Fraktion in den politischen Prozess integrieren, die nicht nur die besten Verbindungen zu al-Qaida besitzt und sich mit der Entführung und Ermordung von Aufbauhelfern hervortut, sondern die auch der Hälfte der afghanischen Bevölkerung das Lesen, Lernen, Arbeiten und Zeigen von Haut verbieten will.

Nach dem Gesetz sind die Bundestagsabgeordneten der Grünen bei den bevorstehenden Abstimmungen allein ihrem Gewissen verpflichtet. Trotzdem bedeutet das Votum des Parteitags für sie einen gewaltigen Druck. »Die wollen ja auch wieder aufgestellt werden«, frohlockte der Delegierte Jörg Rupp. Und Jürgen Trittin dürfte in naher Zukunft Probleme haben, es seiner Partei recht zu machen und sich gleichzeitig möglichen Koalitionspartnern als Außenminister zu empfehlen.