Für eine Handvoll Memorabilia

Dem ehemaligen Footballstar O.J. Simpson droht ein Prozess wegen Raubs. Die US-Medien hoffen auf Live-Übertragungen und freuen sich bereits auf Quotenrekorde. von elke wittich

In die weltweiten Breaking News schaffen es Raubüberfälle nur ganz selten. Ausnahme: Es wurde ein mehrstelliger Millionenbetrag oder ein kostbarer Kunstgegenstand erbeutet. Bei dem Überfall, der sich am 13. September im Palms Hotel in Las Vegas ereignete, bestand die Beute in einigen Football-Trophäen und -Andenken, deren Gesamtwert ein paar tausend Euro beträgt – und doch wurde er für wichtig genug erachtet, um sogar von den deutschen Nachrichtensendern als Eilmeldung auf roten Laufbändern verbreitet zu werden.

Bei einem der mutmaßlichen Täter handelte es sich um den ehemaligen Football-Star O.J. Simpson, der außerhalb der USA weniger wegen seiner sportlichen Erfolge denn als Angeklagter in einem Mordprozess bekannt geworden war. Und der vom Vorwurf des Mordes an seiner Ex-Frau und eines Freundes freigesprochen wurde, was bis heute Anlass zu heftigen Diskus­sionen gibt.

Entsprechend wurde die Verhaftung von Simp­son als später Sieg der Gerechtigkeit gefeiert, selbst in deutschen Medien hoffte man auf eine mindestens lebenslängliche Strafe für den Mann, der nach ersten Berichten an einem brutalen bewaffneten Überfall ­beteiligt ­gewesen sein soll.

Die Hysterie, mit der die Tat kommentiert wurde, hat nur ­wenig mit den Fakten zu tun. Am 12. September war Simpson den Berichten zufolge im Palms-Hotel angekommen, wo er an der Hochzeitsfeier eines Freundes teilnehmen wollte. In dem Luxus-Ressort hielten sich zu diesem Zeitpunkt auch zwei auf den Handel mit Sport-Memorabilia spezialisierte Kaufleute auf, Alfred Beardsley und Bruce Fromong.

Simpson und einige Freunde baten einen Tag später den ebenfalls anwesenden ­Broker und ­Souvenirhändler Tom ­Riccio, ein Treffen mit Beardsley und Fromong zu arrangieren. O.J. hatte die beiden im Verdacht, ihm zuvor ­angeblich gestohlene Pokale und Trophäen im Angebot zu haben. Der ehemalige Sportler lebt mittlerweile von Autogrammstunden und dem Verkauf signierter Andenken. Im Jahr 1997 war er in einem Zivilprozess schuldig am Tod von Brown und Goldman gesprochen und dazu verurteilt worden, den Hinterbliebenen der beiden Schadenersatz in Höhe von knapp 34 Millionen Dollar zu zahlen.

Am 13. September kam es zum verabredeten Treffen zwischen Simpson und einigen seiner Freunde und den Händlern. Die Angaben über das, was in der Hotelsuite genau geschah, sind widersprüchlich. Angeblich bedrohten O.J. und Co. die beiden Männer mit Waffen, auf jeden Fall nahmen sie ihnen einige Gegenstände ab.

Am 14. September wurde Simpson auf eine Anzeige der beiden Kaufleute hin von der Po­lizei verhört und einen Tag später verhaftet. Gleich­zeitig tauchte ein Audiotape auf, auf dem man ihn fluchen hört – Tom Riccio hatte das Treffen heimlich mitgeschnitten, weil er, wie er später aussagte, bereits zuvor schlechte Erfahrung mit Beardsley und Fromong gemacht habe.

Am 19. September wurde Simpson gegen Zahlung einer Kaution in Höhe von 125 000 Dollar aus der Haft entlassen, die zehn Anklagepunkte gegen ihn und seine mutmaßlichen Mittäter umfassen unter anderem schwerwiegende Straf­tatbestände wie bewaffneten Raubüberfall und Bedrohung mit tödlichen Waffen.

Der Medienrummel um Simpson ist allerdings nur dann verständlich, wenn man sich seine sportliche Karriere ansieht. In Deutschland wäre die Situation kaum anders, wenn ein ehemaliger Bundesliga-Star des Mordes an­geklagt wäre.

O.J., dessen Vornamen Orenthal James zu O.J. und dann von der in den USA gängigen Abkürzung für Orange Juice, Orangensaft, zum Spitznamen »Juice« wurde, wurde am 9. Juli 1947 in San Francisco geboren. Aufgewachsen in den dortigen Projects, besuchte er die Galileo Highschool, wo er im Schulteam spielte. 1965 ging er zum City College.

Der Football-Spieler Simpson war damals noch nicht auf eine Position festgelegt, sondern spielte sowohl in der Offensive wie auch in der Defensive, jeweils als running beziehungsweise defensive back.

1966 wurde er ins Junior College All American Team aufgenommen und schaffte es schließlich auf die University of Southern California. Nicht wegen seiner guten schulischen Leistungen, son­dern weil das dortige Footballteam ihn als Defensivspieler brauchte.

1968 wurde er endgültig zum Profi. Genauer: zu einem sehr umworbenen Profi, den zu verpflichten mehrere Vereine sich für die Draft, das footballspezifische System, in dem schwache Vereine als erste auswählen dürfen, welches Nachwuchstalent sie unter Vertrag nehmen wollen, vorgenommen hatten. Bis heute wird das damalige Match zwischen den Philadelphia Eagles und den Pittsburg Steelers »OJ Bowl« genannt, das Endspiel um O.J., denn dabei ging es um nicht mehr und nicht weniger als um einen möglichst schlechten Tabellenplatz, um die Chancen auf die Verpflichtung Simpsons zu steigern.

Die Eagles gewannen das Match, gedrafted wurde O.J. allerdings von den Buffalo Bills.

Viel Spaß dürfte es ihm in den ersten Jahren nicht gemacht haben, dort zu spielen, denn das notorisch unterfinanzierte Team war schwach und die Mannschaftskollegen entsprechend unfähig. Gelegenheiten, andere Football-Vereine auf sich aufmerksam zu machen, gab es zunächst nicht, die Bills mauserten sich allerdings später zum erfolgreichen Team, bei dem O.J. glänzte. 1972 und 1973 wurde er »NFL-Player of the year«, außerdem gelang ihm ein spektakulärer Rekord: Als erster NFL-Spieler schaffte er es 1973, die magische Marke von 2 000 Yards zu knacken.

1978 unterschrieb »the Juice« bei den San Fran­cisco 49ers, für die er zwei Spielzeiten lang aktiv war, 1985 wurde er in die Hall of Fame aufge­nommen.

Nachdem er seine Sportkarriere beendet hatte, wurde O.J. Schauspieler. Zunächst spielte er kleinere Rollen in TV-Serien wie »Roots«, später kamen Engagements in Filmen wie »Flammendes Inferno« und der Trilogie »Nackte Kanone« hinzu. Das Publikum liebte ihn, was sich nicht unbedingt positiv auf sein berufliches Fortkom­men auswirkte: Ursprünglich hatte O.J. als heißer Kandidat für die Titelrolle in »Terminator« gegolten, Tests ergaben jedoch, dass die Zuschau­er ihn nicht als Bösewicht sehen wollten und ihn in einer solchen Rolle für unglaubwürdig hielten.

Der Ex-Profi machte Werbung für die Autovermietung Hertz und eine Brathähnchen-Kette, Softdrinks und Schuhe, dazu trat er regelmäßig als Experte in den großen Football-Sendungen auf.

1979 ertrank seine Tochter Aaren Lashone kurz vor ihrem zweiten Geburtstag im Swimmingpool. Im selben Jahr wurde seine Ehe mit Marguerite L Whitley geschieden, zu diesem Zeitpunkt hatte O.J. bereits ein Verhältnis mit seiner späteren zweiten Ehefrau, Nicole.

Einige Jahre später sollte der Mordprozess gegen ihn zum TV-Dauer-Quotenhit werden, die Urteilsverkündung wurde von 50 Prozent der US-Amerikaner verfolgt. Die Urteilsverkündung im späteren Zivilprozess war die einzige, die jemals während einer »State of the Union«-Rede live im Fernsehen übertragen wurde, auch hier waren die Quoten beachtlich.

Und so ist es auch nicht erstaunlich, dass vor allem die Medien einer neuen Gerichtsverhandlung gegen O.J. entgegenfiebern.

Auch Las Vegas könnte davon profitieren: Das US-Wirtschaftsblatt Market Watch prophezeite bereits einen Tag nach der Verhaftung Simpsons, dass der Fall für die Gewerbetreibenden der Stadt zur Goldgrube werden könnte.

Vorsichtigen Schätzungen zufolge würden allein die Einnahmen durch Journalisten und Fernseh-Teams bei einem 28 Tage dauernden Prozess 18,24 Millionen Dollar betragen, »nicht eingerechnet Strafzettel, Mieten für TV-Studios und so weiter«.

Falls der Prozess erst im Sommer nächsten Jahres beginne, seien dagegen die Auswirkungen auf die Olympischen Spiele äußerst negativ. Geplant seien von den US-Rechteinhabern zwar mehrere tausend Stunden Liveübertragung des Spektakels, die Zuschauer würden sich allerdings vermutlich viel mehr für den neuesten Simpson-Prozess interessieren.