»Es reicht nicht aus, kritische Parteijugend zu sein«

Franziska Drohsel, Landesvorsitzende der Berliner Jusos
Von

Franziska Drohsel ist seit März 2006 Lan­des­vorsitzende der Jusos in Berlin. Die 27-jährige gebürtige Berlinerin trat 2001 in die SPD ein. Auf dem Juso-Bundeskon­gress Ende November in Wolfsburg kan­di­diert sie aussichtsreich für das Amt der Bundesvorsitzenden. Der bisherige Vor­sitzende Björn Böhning will nach drei­einhalb Jahren Amtszeit nicht erneut antreten. interview: ivo bozic

Derzeit kann man einen Streit um die Agenda 2010 in der SPD beobachten. Kapiert die SPD so langsam, was sie mit dieser unsozialen Reform angerichtet hat, oder ist das nur ein taktisches Geplänkel?

Ich hoffe schon, dass die SPD versteht, dass die Agenda 2010 die sozial schwächeren Bevölkerungsschichten unverhältnismäßig stark belastet hat, und dass jetzt zumindest die Punkte, die sozial besonders ungerecht sind, zurückgenommen werden. Dafür muss die SPD in der Großen Koalition jetzt Druck machen.

Im Moment kann von einer Stärke der SPD kaum die Rede sein. Sie steht in den Umfragen so schlecht dar, dass sie keinesfalls ein Interesse an Neuwahlen haben kann und somit auch über keinerlei Druckmittel gegenüber der Union verfügt.

Die SPD ist in der Regierungskoalition, weil sie auch eine entsprechende Anzahl von Wählerstimmen bekommen hat. Diese Wähler hat die Regierung ebenfalls zu repräsentieren. Darüber hinaus zeigen viele Umfragen, dass es in der Bevölkerung ein starkes Bedürfnis nach mehr so­zialer Gerechtigkeit gibt. Mit diesem gesellschaft­lichen Druck kann man in der Koalition auch selbstbewusst auftreten als Sozialdemokratie.

Nun ist gerade die SPD aber für den größten Sozialabbau überhaupt verantwortlich, Stichwort Hartz IV. Da kann sie ja wohl nur mäßig selbstbewusst als Partei der sozialen Gerechtigkeit auftreten.

Mit einer Politik für soziale Gerechtigkeit kann die SPD durchaus selbstbewusst auftreten, weil sie die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich weiß. Jedenfalls dann, wenn die SPD einen Weg zurück findet zu ursprünglich sozialdemokratischer Programmatik.

Wie steht es denn um diese programmatische Ausrichtung? Der Streit zwischen Kurt Beck und Franz Müntefering kann wohl kaum als Flügelkampf interpretiert werden.

Die aktuelle Debatte darum, ob man die Bezüge des Arbeitslosengeldes I wieder verlängert, dreht sich schon darum, ob soziale Ungerechtigkeit korrigiert wird, also auch um die Frage, ob man insgesamt eine linke Politik machen will oder nicht. Darüber hinaus hat die SPD in den letzten Monaten eine lebhafte Programmdebatte ge­führt, und wenn man sich die Diskussion dazu und die Änderungsvorschläge aus der Basis anschaut, dann sieht man ein starkes Bedürfnis danach, dass die SPD ihre ursprüngliche Programmatik und die Vision des demokratischen Sozialismus nicht aufgibt.

In diesem Programmentwurf versucht die SPD, sich als soziale Partei darzustellen, indem sie für alle sozialen Ungerechtigkeiten die Globalisierung und die internationalen Finanzmärkte verantwortlich macht. Ihre eigene Verantwortung aus der letzten Regierungszeit taucht dort mit keinem Wort auf.

Immerhin ist es ein Fortschritt, dass sich die Erkenntnis, dass man im Kapitalismus lebt und der Kapitalismus soziale Ungleichheit produziert, und dass man sich in Interessensauseinandersetzungen begeben muss, um für mehr soziale Gerechtigkeit einzutreten, in der Programm­debatte wiederfindet. Darüber hinaus muss man natürlich, das ist auch die Aufgabe der Jusos, eine kritische Diskussion um die eigene Regierungspolitik führen. Und da würde ich auch sagen, dass sie in weiten Teilen sozial sehr ungerecht war. Aber der Streit um das ALG I zeigt, dass die Debatte jetzt zumindest ansatzweise begonnen hat.

Welche Rolle spielt der linke Flügel in der SPD zurzeit? Man hat den Eindruck, er versucht, im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 seinen Einfluss in der Partei zu stärken.

Die Parteilinke in der SPD ist schon stark, sie hat sich ja auch mit einigen Punkten eingebracht in letzter Zeit. Die Stichworte sind hier zum Beispiel das Engagement für den Mindestlohn und der Einsatz gegen die Bahnprivatisierung und Unternehmenssteuerreform. Auf dem sicher spannend werdenden Bundesparteitag Ende Oktober in Ham­burg wird man sehen, wie es weitergeht. Ich würde mir natürlich eine Stärkung der linken Kräfte wünschen.

Mit welchem Kanzlerkandidaten würde denn die Parteilinke gerne in den Wahlkampf ziehen?

Die Frage der Kanzlerkandidatur steht derzeit nicht an. Auf dem kommenden Parteitag geht es darum, sich zu politisch brisanten Punkten zu äußern und zum Grundsatzprogramm.

Dieses Programm muss aber auch repräsentiert werden. Kurt Beck wollte Hartz-IV-Empfänger rasieren lassen. Als sozialer Vorkämpfer taugt er wohl kaum.

Aktuell hat Beck immerhin die Debatte um das ALG I angestoßen. Das werte ich schon als den Versuch, eine Orientierung auf soziale Gerechtigkeit zu stärken.

Ist eine Koalition mit der Linkspartei tabu?

In Berlin haben wir ja eine rot-rote Koalition. Auf Landesebene funktioniert so etwas ja offensichtlich. Als Jusos sind wir auch der Meinung, dass eine pauschale Verteufelung der Linkspartei nicht weiterhilft. Wir müssen uns inhaltlich mit ihr auseinandersetzen. Eine politische Debatte kann sich ja nicht einfach darum drehen, wer wann mit wem koaliert, sondern wie man in dieser Gesellschaft linke Politik umsetzen kann. Diese Debatte muss die SPD ebenso führen wie die Linkspartei.

Derzeit sieht es so aus, als sei eine Verlängerung der Großen Koalition nach 2009 eine durchaus realistische Möglichkeit. Die SPD-Linke macht seit Monaten deutlich, dass sie das gar nicht möchte.

Die Große Koalition war für uns Jusos alles andere als eine Wunschkoalition. Darum setzen wir alles daran, dass es 2009 andere Mehrheiten auf Bundesebene gibt. Also eine Mehrheit für eine fortschrittliche linke Politik.

Sie wollen auf dem Bundeskongress der Jusos als Bundesvorsitzende kandidieren. Mit welchem politischen Programm?

Ein zentraler Punkt ist die Erneuerung der Doppel­strategie, ein klassischer Juso-Ansatz. Dabei geht es um den Versuch, politische Veränderungen einerseits parteipolitisch und andererseits außerparlamentarisch zu erkämpfen. Es reicht nicht aus, kritische Parteijugend zu sein. Die Jusos sollten als eigenständiger linker Jugendverband in der Gesellschaft und in der außerparlamen­tarischen Linken präsent sein und auch über dieses Engagement Druck auf die Politik, auch auf die der SPD, ausüben.

Welche außerparlamentarische Bewegungen könnten das denn sein?

Einerseits gibt es natürlich ein starkes globalisierungskritisches Engagement, darüber hinaus gibt es zahlreiche antifaschistische Gruppen, natürlich die Gewerkschaften und Bürgerrechtsgruppen, die sich mit dem Bereich Grundrechte und Innere Sicherheit beschäftigen. Bündnispartner gibt es in jedem Fall mehr als genug. Es liegt an uns, auf sie zuzugehen.

Gerade bei den Gewerkschaften ist das Standing der SPD derzeit nicht besonders gut. Glauben Sie, dass ausgerechnet die Jusos es schaffen werden, das Verhältnis wieder zu verbessern?

Für uns ist es jedenfalls wichtig, mit den Gewerkschaften eng zusammenzuarbeiten. Die Debatte um den Mindestlohn ist da ja ein gutes Beispiel. Aber der Kontakt zwischen der Gewerkschaftsjugend und den Jusos war auch in den letzten Jahren sehr gut.

Im Osten Deutschlands ist die SPD eher eine kleine Partei, und die Linkspartei ist dort eine ernstzunehmende Konkurrenz. Gibt es strategische Überlegungen der SPD-Linken, wie man diesem Phänomen begegnen möchte?

Im Osten zeigen sich dieselben Probleme, die man auch gesamtgesellschaftlich beobachten kann, nur fokussiert. Massive Arbeitslosigkeit, keine Ausbildungsplätze – letztlich muss statt sozialer Ausgrenzung die soziale Integration organisiert werden. Da sind die Ansatzpunkte das Bildungssystem, der öffentliche Beschäftigungssektor und daneben die Bekämpfung des Rechtsextremismus als ganz zentrales Anliegen.

Der Berliner Landesverband der Jusos, dessen Vorsitzende Sie sind, gilt als der linkeste. Darf man mit Ihnen als Bundesvorsitzende einen Linksrutsch der Jusos erwarten?

Wer nun der Linkeste ist, maße ich mir nicht an zu beurteilen. Das hängt ja von den Kriterien ab, nach denen man das bemisst. Es geht mir darum, dass die Jusos weiterhin ein kritischer Stachel in der SPD bleiben und darüber hinaus vermehrt als eigenständiger Verband in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mitmischen. Dafür werde ich mich stark machen.