Der Holzfäller von Bern

Am Sonntag wird in der Schweiz ein neues Parlament gewählt. Der Wahlkampf war laut und aggressiv. Es gab rassistische Wahl­plakate, Demonstrationen und Krawalle. Alles drehte sich um eine Person: den Justizminister und Vorsitzenden der rechts­populistischen SVP, Christoph Blocher. Und alles spricht dafür, dass er den Wahlerfolg von 2003 wiederholen könnte. von hans stutz, luzern

Nachdem am 7. Oktober eine Gruppe von rund 500 Autonomen eine Demonstration der rechts­populistischen Schweizerischen Volkspartei in Bern erfolgreich verhindert hatte, berichteten schweizerische sowie ausländische Medien über nie da gewesene Kriegszustände im idyllischen Alpenland.

Die Süddeutsche Zeitung zum Beispiel sah in den Ereignissen einen »Ausbruch von Hass und Gewalttätigkeit« den man bislang nur aus anderen Ländern gekannt habe. Dem Schweiz-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung – und einigen seiner Kollegen – sind offenbar die Bauernkundgebungen unbekannt, die zwar selten stattfinden, aber eine starke militante Komponente haben. Einst hatten sie sogar versucht, das Parlamentsgebäude in Bern zu stürmen. Seit vielen Jahren veranstalten die Autonomen in Zürich am 1. Mai die so genannte Nachdemo. In Bern nehmen Tausende von Menschen an den »Antifaschistischen Spaziergängen« teil. Auch bei anderen Wahlkundgebungen der SVP versuchten Autonome und Linke Präsenz zu zeigen. 1995 zum Beispiel, als sie von der Polizei gestoppt wurden. Aus der SVP-Kundgebung hatten sich damals Rechtsextreme herausgelöst und – von der Polizei beschützt – Steine gegen linke Demonstranten geworfen. Dass die Autonomen Anfang Oktober die schweizerische politische Idylle kaputt machten, stimmt also keineswegs.

Es gehe den Schweizern doch gut, lautet ein in der Öffentlichkeit verbreitetes Klischee, das nach den Krawallen in den Medien wiederholt wurde. Für eine Mehrheit der Bevölkerung trifft dies sogar zu, doch eine wachsende Minderheit – vornehmlich Ausländer mit geringen beruflichen Qualifikationen sowie die unteren Gesellschaftsschichten – wird seit einigen Jahren wirtschaftlich und sozial an den Rand gedrückt.

Die Arbeitslosenzahlen sind zwar gesunken, weniger als 100 000 (2,5 Prozent) verzeichnete die Statistik im September. Doch diese Zahl ver­harm­lost die Realität. Menschen, die den Anspruch auf Arbeitslosengeld verloren haben, wurden nicht mehr erfasst. Dazu kommt, dass die Zahl der Menschen, die Sozialhilfe beziehen, in allen größeren Städten seit 2000 merklich zugenommen hat. Gleichzeitig sind die Mittel gekürzt und das Existenzminimum um rund 100 Franken monatlich gesenkt worden. Auch das derzeitige konjunkturelle Hoch, das bereits rund zwei Jahre andauert, hat die Anzahl an Arbeitslosen nur wenig sinken lassen. Auch die Schweiz kennt eine Sockelarbeitslosigkeit, die von den Statistiken nicht erfasst wird. Es ist diese Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg, den die Rechtspopulisten politisch bewirtschaften.

Die Umverteilung von unten nach oben ist ein Prozess, der sich in den vergangenen drei Jahren in der Schweiz extrem beschleunigt hat, in der Wirtschaft sowie in der Politik. In der Wirtschaft führt sie zu gestiegenen Kapitalerlösen und zu höheren Löhnen für die obersten Klassen. In der Politik wurden neue Steuergesetze durchgesetzt, die die Besserverdienenden erheblich entlasten. Die sinkenden Staatseinnahmen werden mit Sparprogrammen ermöglicht, die häufig bei Sozial- und Bildungsausgaben Einschnitte vorsehen. Vor kurzem hat die Boulevardzeitung Sonntagsblick auch noch enthüllt, dass die Landesregierung in Erwägung zieht, in den kommenden Jahren im sozialen Bereich rund fünf Milliarden Franken einzusparen. Die Umverteilung soll also weitergehen. Den Linken und Grünen ist es bislang nicht gelungen, diese Themen in den Wahlkampf einzubringen.

Dies alles gehört zum gesellschaftlichen und politischen Hintergrund, vor dem sich in diesem Herbst der Wahlkampf für die beiden Kammern des Schweizer Parlaments abspielt. Wie der Verteilungskampf härter geworden ist, so auch die politische Auseinandersetzung. Verschärft hat das Klima insbesondere die SVP, die zwar von einem Unternehmer angeführt wird, sich jedoch als Vertreterin der gebeutelten Lohnabhängigen und Gewerbetreibenden aufspielt. Seit Christoph Blocher in der einstigen Klientelpartei für Bauern und Gewerbe als starker Mann den politischen Takt vorgibt – das heißt seit über 20 Jahren –, verunglimpft die SVP missliebige Personengruppen und politische Gegner. Bereits in den achtziger Jahren wurden Linke und Grüne als »Filzläuse« bezeichnet. Mit diesem Politstil hat die Partei immer wieder die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien gefunden.

In diesem Wahljahr treibt es die SVP aber inhaltlich besonders derb. Seit Monaten überzieht sie das Land mit einer kostspieligen Inserate- und Plakatflut. Wer die Geldgeber sind, ist allerdings nicht bekannt. Im Visier hat die SVP Ausländern, die gerne als »Sozialschmarotzer« hingestellt werden, die die »Schweizer Sozialwerke«, insbesondere die Arbeitslosen- und die Invalidenversicherung, gefährden würden. Auf den Plakaten, die in ganz Europa für Skandal sorgten, kicken drei weiße Schafe ein schwarzes Schaf über die Grenze, der Text lautet: »Sicherheit schaffen«. Die Kampagne dient der Propagierung einer »Volks­initiative für die Ausschaffung krimineller Ausländer«. Die Initiatoren behaupten, das Volksbegehren richte sich nur gegen »Ausländer, die in unserem Land schwere Verbrechen« begangen hätten, doch zu diesen angeblich schwer kriminellen Taten zählen sie auch den »missbräuchlichen« Bezug von Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe. Der Rassismus-Sonderberichterstatter der Uno, Dodou Diène, hat gegen dieses Plakat offiziell bei der Schweizer Regierung protestiert, es schüre den »Religions- und Rassenhass«. Das Plakat der SVP hat auch deutsche Rechtsextremisten inspiriert, die NPD in Hessen hat das Plakat übernommen.

Die Kampagne mit den Schafen wurde von den Medien weltweit skandalisiert, sie ist aber nicht die einzige, die sich gegen Minderheiten richtet. Eine weitere Initiative von Exponenten der SVP fordert beispielsweise ein Verbot für den Bau von Minaretten. In der Öffentlichkeit beschwören die Initiatoren, die Glaubensfreiheit nicht antasten zu wollen, und argumentieren, ein Minarett sei ein Symbol für religiös-politischen Machtanspruch. Auf dem Initiativbogen wird allerdings das Ziel der Kampagne deutlicher: Die »christlich-abendländische Kultur« solle gestärkt werden, darum müsse man »die Ausbreitung des Islam bremsen«.

Der Wahlkampf war ganz auf die Person von Christoph Blocher zugespitzt, noch mehr als bei den vorigen Wahlen vor vier Jahren. Der Spiegel bezeichnet ihn zutreffend als »Alleskleinhacker«, eine Anspielung darauf, dass der Justizminister das berühmte Gemälde »Der Holzfäller« von Ferdinand Hodler in seinem Büro hängen hat. Er glaubt an den freien Markt und möchte den Sozialstaat am liebsten ganz abbauen. Sein Programm ist eine Mischung aus Neoliberalismus und Volkstümlichkeit und richtet sich ganz einfach in erster Linie »gegen die da oben«. Das heißt: gegen die EU und die UN, für Steuersenkungen, für die nationale Unabhängigkeit. Von Rechtsextremisten wollte und konnte sich Blochers Partei nie glaubwürdig abgrenzen.

Blocher liebt es, sich als verfolgten Staatskritiker zu stilisieren. Oder sogar als Opfer einer Verschwö­rung. In den vergangenen Wochen behauptete er, es gebe einen »Geheimplan« zu seiner Abwahl, als ob ein Regierungsmitglied nicht auch wieder abgewählt werden dürfte. Die Partei startete daraufhin eine neue Plakatsoffensive: »Blocher stärken! SVP wählen!« Eine solche personenzentrierte Kampagne war bereits einmal erfolgreich: Bei der Volksabstimmung über die neuen Asyl- und Ausländergesetze im Herbst vergangenen Jahres hat vor allem Blochers Einsatz die Auseinandersetzung entschieden, wie die regelmäßigen Analysen der Abstimmungsforscher ergaben. Die Schweiz hat heute wohl das schärfste Asyl- und Ausländerrecht in Europa.

Der Wahlkampf wurde dieses Jahr außergewöhnlich hart geführt, die politischen Verschiebungen werden jedoch vermutlich gering sein. Die neuesten Umfragen sehen weiterhin die SVP als stärkste Partei, rund 27 Prozent, vor vier Jahren waren es 26,7 Prozent gewesen. Insgesamt dürften die bürgerlichen Parteien (Freisinnig-Demokratische Partei, Christlich-Demokratische Volkspartei und einige Kleinparteien) geringe Verluste einfahren, die Sozialdemokraten, vor vier Jahren mit 23 Prozent zweitstärkste Partei, und die Grünen zusammen geringfügig zulegen – die Verluste der Sozialdemokraten werden wohl die Gewinne der Grünen sein.