Dera Hunt liabt di

Ulrich Seidls beeindruckender Kinofilm »Import/Export« ist Nachrichtensendung, HipHop-Film und Dokufiction in einem. Die Szenen aus dem bizarren Alltag von Sex-Chatterinnen, Geriatriepatienten und Wachmännern sind derart niederdrückend, dass man sich wünscht, der Film wäre weniger realistisch. Von Jürgen Kiontke

Saukalt. Das Motorrad will nicht anspringen. Szizne, Ukraine, tiefster Winter. Menschliche Behausungen bei Ulrich Seidl: Das sind die Legebatterien aus »Matrix«, die man auf dem Schlechtwetter-Planeten von »Alien 3« hochgezogen hat, die Menschen wesen darin herum, frei nach dem »Jurassic Park«-Motto: Das Leben findet einen Weg. Seidls neuer Film »Import/Export«, Wettbewerbsbeitrag auf dem diesjährigen Cannes-Festival, skizziert schreckliche Orte.

Olga (Ekateryna Rak) arbeitet im Krankenhaus. Wozu werden hier oder anderswo Menschen geboren? Kaum sind sie da, werden sie krank. »Was bist du bloß für eine Mutter?« wird Olga von ihrer Mutter gefragt, die diese schlechte Mutter erzogen hat.

Diese Sätze erahnen wir mehr, als dass wir sie verstehen. Für die Dialoge in ukrainischer Sprache gibt es zu Beginn keine Untertitel. Für die zweite Fremdsprache, Österreichisch, zum Glück schon. In der Ukraine leben denkende Menschen, deren Handlungen man nachvollziehen kann. Bei Seidls Österreichern ist dies nicht unbedingt der Fall.

Pauli (Paul Hofmann) bei seiner Freundin. Pauli spielt mit dem Kampfhund.

– Woaßt, wös dera füra Bisskrofft het? 2 000 Kilogramm. Schau, der liabe Hunt. Leiwand, gell. Dera Hunt liabt di.

– Geh scheißn mit diana Hunt.

– Der tuat dia nix.

– Bist deppert? Wenn du dia oanen Hunt anschaffst, ist’s aussi. Dea Hunt or i.

– Oan Hunt ist wesentlich treuer als oan Mädchen.

– Na dann bist du ab jetzt wieder solo.

Neben dem Hund sind Olga und Pauli die Helden bei Ulrich Seidl. Finden sie einen Weg?

Olga träumt vom Geld. In der Klinik werden ihr Monat für Monat nur 30 Prozent des Gehalts ausgezahlt. Olga und eine Freundin versuchen es mit Internetpornografie, Olga gibt ein Gastspiel. Sie lernt Österreicher kennen: Sie schnarren ihre Befehle in den Sex-Chat. Mitt­lerweile werden auch die in der Ukraine spielenden Dialogszenen untertitelt. Auch müssen die jungen Frauen Vokabeln pauken: Leckst Muschi? Was macht dein Schwanz? Die Freundin: »Du musst den Job ernster nehmen. Das ist ein seriöses Geschäft.«

Olga beschließt, in den Westen zu gehen und wird zunächst Hausmädchen für den Mittelstandshaushalt. Mit der Waschmaschine teilt sie sich das Zimmer. Sie lernt die Zumutungen einer Stände- oder Kastengesellschaft kennen.

Ihr Engagement währt nicht lange, die Herrin setzt sie auf die Straße. Eine Putzstelle in der geriatrischen Abteilung eines Krankenhauses folgt. Die langsam arbeitende Fabrik bietet Raum für Zwischenmenschliches, die Leichen sind ja noch halb lebendig. Dieser alte Mann schickt Olga Wurst kaufen, jener alten Frau kämmt sie die Haare. Fürs Haare kämmen aber hat Olga gar keine in Österreich staatlich anerkannte Ausbildung. Dafür ist eine staatlich anerkannte Krankenschwester (Maria Hofstätter) zuständig. Die empfindet die schöne Olga als Konkurrenz und drischt sich mit ihr im Krankenhauskeller, dem gekachelten Vorhof der Hölle.

Pauli ist beim Wachdienst. Sein Leben besteht auch aus Computerbildschirmen. Überwachungs­kameras zeigen an, dass das Haus nicht wegläuft. »I wui Sekjurities, koane Woamduscha«, nölt der Chef. Paul erweist sich als Warmduscher, und folglich ist er kurz darauf arbeitslos.

Beim österreichischen Bewerbungstraining. Der Trainer sagt: »Wir lernen seriös warten. Eine wichtige Regel: LMAA. Das bedeutet: Lächle mehr als andere. Sie haben gerade ein Inserat von einer Putzfirma gelesen, und das ist das, was Sie gerade wollen. Sie sagen sich: Ich bin Siegerin.«

»Import/Export« ist brutales Kino: Seidl beschreibt in einer Art Doppelstrategie den Weg der Krankenschwester Olga raus aus der ukrainischen und rein in die österreichische Sterbesiedlung. Bei Pauli geht es derweil genau umgekehrt: Mit seinem Stiefvater (Michael Thomas) stellt er Kaugummiautomaten in der Ukraine auf. Der Stiefvater nennt das: »Geld scheffeln«. Das gescheffelte Geld bringt er umgehend unter die Leute. Er holt eine Nutte ins Zimmer, die er wie einen Hund herumführt. Pauli ist genervt. Der Mann seiner Mutter macht all diese Dinge mit fremden, nackten Frauen.

Stiefvater: Das ist Anatomie live.

Pauli: Innere Werte sind wichtig.

Stiefvater: Wos dönn?

Pauli: Harmonie zum Beispiel.

Stiefvater: Wo höst du denn a Harmonie? Du höst ja nicht mal Göld einstecken.

Wider Erwarten treffen sich Olga und Pauli nie. Einmal sind sie sich ganz nah, auf dem Bahnhof von Wien. Aber die beiden aufeinander loszulassen, das geht Seidl offensichtlich gegen den Strich: »Sie sollten einander sogar treffen, wortlos, an der Grenze. So stand es im Drehbuch – und ich glaube, so würde es in jedem Drehbuch stehen. Als der Zeitpunkt des Drehens kam, wollte ich aber keine äußere Grenze mehr im Film haben, weil die ja ohnehin fallen. Ganz im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Grenzen. Die bleiben.«

Das Treffen würde also hier nichts bringen. Seidl erzählt keine herkömmlichen Geschichten nach dem Drehbuch. »Import/Export« ist eine Nachrichtensendung, die den europäischen Dauerzustand vermeldet. Reportageartige Nachrichten von der prekären Beschäftigung. Es ist ein HipHop-Film, Dokufiction. Nicht logische Abfolge, sondern spothaftes Erzählen und szenische Refrains bilden die Grundstruktur. Menschlichkeit findet er dennoch. Das Leben in »Import/Export« findet einen Weg, wenn Olga mit den Kindern der reichen Familie eine Schneeballschlacht veranstaltet. Wenn sie mit den alten Leuten spricht. Das Leben ist ein schmierlappiger Krankenpfleger, der einen kumpelhaften Um­gang mit den Todeskandidaten im Geriatrie-Trakt pflegt. Einen Weg findet es auch durch Pauli, der sich besser fühlt, nachdem er den beschissenen Stiefvater in der Ukraine hat sitzen lassen und nun per Anhalter unterwegs ist. Das am Rande.

Was kann ein Film wollen, der das Leben in der Gegenwart dermaßen entwürdigend schildert, dass man nach der Vorstellung unweigerlich das Bedürfnis nach einer Dusche hat?

Das Ziel kann nur sein, Hass zu schüren. Wir sehen die Auswirkungen gängiger Politikmuster, Verantwortliche treten nicht auf. Gegen wen sich der Hass also richten soll, das lässt der Regisseur mal schön unsere Sache sein. »Import/Export«, so lässt der Verleih wissen, »spielt in einer echten Geriatrie, in einem echten Kinderspital, in einer echten Internet-Sex-Agentur, in echten Slums, in einer echten Putzschule – und doch ist auch alles erfunden.« Man mag es beim Anschauen kaum glauben: »Für den Film wurden über 1 500 Menschen gecastet und ein Jahr lang Darsteller gesucht: Auf Straßen, in Gefängnissen, in Arbeitsamt-Schulungen, bei Bewährungshelfern.«

Einzufangen, was sich täglich vor der Haustür abspielt, scheint ein ähnlich aufwändiger Prozess zu sein wie irre Viecher in einem fiktiven Urzeitzoo zu filmen. Über die Dreharbeiten in der Sterbestation des Krankenhauses sagt Seidl: »Die Schauspieler haben sich großartig in das Alltagsleben der Geriatrie eingelebt und sind schließlich ein Teil davon geworden. Für die Patienten selbst, natürlich nur für die, die es noch mitbekommen haben, waren unsere Dreharbeiten eine willkommene Abwechslung ihres Gefängnisalltags.«

Glücklich, wer noch was mitkriegt: Von den Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit handelt schließlich dieser ganze Film. Ulrich Seidls Filme sind eine entweder voyeuristisch im Elend stochernde oder überzeichnende, aber in beiden Fällen niederdrückende Kunst.

»Import/Export« (Ö 2007). Regie: Ulrich Seidl.

Start: 18. Oktober