Piotr Kawiorski: »Die Kategorien links und rechts gelten nicht viel«

Am 21. Oktober finden in Polen Neuwahlen statt. Hatte bisher in den Umfragen die Partei Recht und Gerechtig­keit (PiS) vor der Bürgerplattform (PO) in Führung gelegen, so hat sich nach dem TV-Duell zwischen Premier Kaczynski (PiS) und seinem Herausforderer Donald Tusk (PO) das Verhältnis zugunsten der Bürgerplattform verscho­ben. Ein Gespräch mit Piotr Ka­wiors­ki vom linken Mittelosteuropa-Netzwerks lavka.info, das in Polen, Tschechien und Deutsch­land arbeitet. interview: juliane nagel und Renata Kubalas

Sind die Menschen in Polen erleichtert darüber, dass vorgezogene Neuwahlen stattfinden, weil diese das Ende einer chaotischen Regierungszeit bedeuten?

Mit den Neuwahlen wird in Polen kaum Hoffnung auf einen Politikwechsel verbunden. Ich nehme vielmehr wahr, dass die Menschen sich immer mehr von der Politik abwenden. Es ist sicher wie überall: Die Bürger gehen davon aus, dass das, was ihnen im Wahlkampf versprochen wird, sowieso nicht eingehalten wird. Dieses Misstrauen hat in Polen seine Wurzeln vor allem in der Zeit der sozialdemokratischen Regierung bis 2005, die dem neoliberalen Umbau Polens den Weg geebnet hat. Und nun hat man die Wahl zwischen der rechtskonservativen PiS, der rechtsliberalen Bürgerplattform PO und dem neuen Wahlbündnis der Sozialdemokraten, »Linke und Demokraten« (LiD), die im Grunde alle dasselbe versprechen.

Die gesellschaftliche Realität ist für viele Polinnen und Polen mit permanenter und wachsender Unsicherheit verbunden: Die Sorge den Arbeits­platz zu verlieren, aus der Gesundheitsversorgung herauszufallen, sich Lebensmittel nicht mehr leisten zu können. Die Zahl der vor allen jungen Menschen, die zum Arbeiten ins Ausland gehen, ist auf zwei Millionen gestiegen. Dieser Boom der Arbeitsmigration ist kein Zeichen sinnvoller Mobilität und individueller Horizonterweiterung, sondern knallharte ökonomische Notwendigkeit.

Aktuellen Umfragen zufolge liegen dennoch ausschließlich rechte Parteien in Führung.

Die PO ist ihrem Selbstverständnis nach eine »Wirtschaftspartei« und steht für einen unverblümten, radikalen wirtschaftlichen Liberalisierungskurs. Sie ist besonders bei jüngeren Menschen in den großen Städten beliebt. Die Regierungspartei PiS wird dagegen immer noch von den Menschen in kleineren Städten und Dörfern und von weniger wohlhabenden Menschen unterstützt. Sie steht für eine soziale, solidarische Politik, obwohl dies mit der Realität nichts zu tun hat. Es gab zwar einige wenig nachhaltige sozialpolitische Schnellschüsse, wie die Auszahlung von Staatsgeldern in Höhe von etwa 1,2 Mil­liarden Euro an Rentner und junge Familien kurz nach den Wahlen 2005. Die aktuell steigende Konjunktur und die sinkende Arbeitslosigkeit gehen aber mit einer immensen Verschuldung der privaten Haushalte und eben der Arbeitsmigration einher. Trotzdem verkauft die PiS dies natürlich als einen sozialen Fortschritt, der ihr Verdienst sei. Dabei droht das rechtskonserva­tive Profil der PiS, ihre antidemokratischen Einstellungen, ihr nationalistisches Getöse, das Bündnis mit offen homophoben und antisemi­tischen Partnern, in den Hintergrund zu treten.

Welche Koalitionen sind in Zukunft denkbar?

Es ist absehbar, dass eine Koalition aus PO und Lid versuchen wird, die PiS-Regierung abzulösen. Bereits das ganze Jahr ließen sich Annäherungsversuche zwischen den beiden Parteien im Sejm beobachten. Für die sozialdemokratische SLD mit ihrem Wahlbündnis LiD wäre eine solche Koalition der endgültige Abschied vom Image einer Linkspartei. Aber in Polen gelten die Kategorien links und rechts sowieso nicht viel.

Im Juni wurde die Gruppe »Verständigung der Linken« gegründet, ein Versuch die zersplitterten linken Parteien und Initiativen zu bündeln. Gibt es links von den Sozialdemokraten parlamentarische Alternativen zur gegenwärtigen Politik?

Die Linke geht total unvorbereitet in diese Wahlen. Die Gruppe »Verständigung der Linken« setzte sich aus der antiklerikalen Partei Racja, der Polnischen Arbeitspartei (PPP), der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) und der Demokratische Partei der Linken zusammen und fiel pünktlich mit Verkündung der Neuwahlen wieder auseinander. Die meisten Beteiligten treten nun für die LiD an. Damit haben sie den von ihnen proklamierten Bruch mit der wirtschaftsliberalen Politik der Sozialdemokraten grundsätzlich revidiert. Dasselbe gilt für eine der beiden großen Gewerkschaften, die OPZZ, die auch Kandidaten auf der Liste der LiD stellt, obwohl der LiD Arbeit­nehmerrechte ziemlich egal sind.

Die einzige linke Partei aus der ehemaligen Gruppe »Verständigung der Linken«, die eine eigene Wahlliste gebildet hat, ist die PPP. Die Partei hat allerdings auf ihren Listen einfach irgendwelche Kandidaten platziert, die die Familiennamen konservativer oder linker Politiker tragen oder von Unternehmern und Sportlern. Einzelne PPP-Mitglieder versicherten zwar, das sei Zufall, aber der Vorsitzende der Partei, Boguslaw Zietek, sprach von Absicht. Was aber sollte das bringen? Fehlgeleitete Stimmen einsammeln?

Doch damit nicht genug. Zwei bekannte linke Politiker treten auf der Liste der nationalistischen Samoobrona an. Der letzte Premierminister der Sozialdemokraten, Leszek Miller, steht an der Spitze der Liste in Lodz. Kurz zuvor hatte er die Partei Polska Lewica gegründet, weil ihn die SLD vor die Tür gesetzt hat. Piotr Ikonowicz, ein langjäh­riger Politiker der Polnischen Sozialistischen Partei, steht auf dem ersten Platz der Warschauer Liste der Nationalisten.

Ist es nicht denkbar, dass das sozialdemokratische Wahlbündnis LiD dennoch auch zusammen mit der rechtsliberalen PO eine positive Alternative zu einer von der PiS geführten Regierung darstellen könnte?

Das glaube ich eher nicht. Die SLD unterscheidet sich im Prinzip kaum von der PO. Die Akteure in der SLD, die an linken, weltanschaulichen Essentials festhalten, haben keine Chancen, sich durchzusetzen. Es gibt für sie auch keine Alterna­tive, denn es existiert keine andere Kraft, die eine Konkurrenz zur SLD darstellen könnte.

Im Moment gibt es in der linken Szene Polens ein Vakuum, und ich glaube, es ist höchste Zeit, über die Zukunft nachzudenken. Welche Fehler hat die SLD begangen, die noch vor zehn Jahren eine reale politische Kraft darstellte, die gegen Konservatismus und neoliberalen Kapitalismus stand? Welche Fehler macht die radikale Linke, die sich permanent in interne Streitigkeiten verstrickt? Wir brauchen quasi eine Stunde Null, in der sich eine gesellschaftliche Alternative jenseits des postkommunistischen und mit dem Kapital verstrickten Dunstkreises, formieren könn­te.