Der Boykott lebt von der Lücke

Der Protest gegen die Studiengebühren und die Boykottaktionen sind zumindest an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg erfolgreich und unverzichtbar. von benjamin renter, eugen regensburg und martha zsiwol

Durch die Bewertung der Leistung nimmt die Leistung ab. Das gilt im Hinblick auf Bachelor/Master, ECTS-System, Module sowie für Prüfungen, Proben und Zeugnisse in Bildungseinrichtungen. Zu viel Zeit, Druck und Angst wird auf tote Strukturen verwendet und fördert nur Energiestau und Kurzfristigkeit. Faktoren wie begrenzte Zeit, Druck, zufallsgesteuerte Zugangsberechtigung, verwertbares Output und Zahlenfixiertheit verhindern die Beweglichkeit in offenen Forschungs­räumen und verunmöglichen lebendige Ergebnisse und Formen.

Die Aktion Studiengebührenboykott lebt von der Lücke, die innerhalb der verschiedenen Ak­tionen gegen diese Zustände an der Universität entstehen. Diese Lücke ist von den überhierarchisierten Strukturen, wie der Hochschulverwaltung und der Bildungspolitik, weder zu füllen, noch zu ahnen. Die Studierenden sind längst zu multimorphen Wechselwesen geworden.

Der Boykott an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) in Hamburg war im ersten Semester so erfolgreich, weil es etwas nicht zu tun gab, nämlich mit dem Anhalten aufzuhören. Das Spannungsfeld, in dem sich die individuellen Aktivitäten überlagerten, führte zu einer nicht bestimmbaren Bewegung. Diese Situation entspricht der Situation an der Kunsthochschule, die einem Labor und einer Plattform gleicht, an die jede und jeder mit seiner und ihrer Arbeit andocken kann.

Selbstorganisierte Strukturen funktionieren, machen Spaß und sind in verschiedensten Bereichen anwendbar. Wie etwa ein gemeinsames Vorgehen gegen überhöhte Eigentümerforderungen und für die Gründung von Mietkollektiven. Auf diese Weise wird das »Angewandte« den applied studies im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich entrissen und auf die Kunst- und Geisteswissenschaften übertragen. Der längst erweiterte Kunstbegriff wird endlich in den angewandten Kunststudien umgesetzt.

Sehr unterschiedliche Leute und Interessen machen den Studiengebührenboykott an der HfbK erst möglich. Ein Erfolg ist es, dass schon mit der ersten Gebührenverweigerung und der Ausschöpfung der rechtlichen Mittel das Thema Studiengebühren bis zu den Hamburger Bürgerschaftswahlen im Februar in Hamburg auf der Tagesordnung bleibt. Zu den Klagenden kommen in der zweiten Runde, im so genannten Winterboykott, noch mehr Boykottierende hinzu. Auch werden Bachelor-Studierende, die nach dem Bologna-Plan keinen Master machen können, ihr Stoppsignal senden. Es ist schon ein großer Erfolg, dass Studierende, die boykottiert und Klage eingereicht haben, regulär zurückgemeldet sind. Und die nötigen Scheine bekommen.

Es ist bekannt, dass Studiengebühren nicht für Forschung und Lehre eingesetzt werden, sondern für Heizkosten und Verwaltungsstellen. Studierende und Gesellschaft haben Lehrgebühren nie bejaht. Von vornherein tendenziös angelegte Befragungen durch das Centrum für Hochschulentwicklung (Bertelsmann-Gruppe) konnten kein klares Bild der Verhältnisse liefern. Die Studierenden kennen die Unternehmens- und Eventsprachkultur zur Genüge. Sie liegen als freie Ressource überall herum und müssen nur zu Verwirrspielszenarien zusammengesetzt werden. Der Glaube an die Inszenierung ist auf allen Seiten so groß, dass Inszenierungen mit realer Rückkopplung nicht mehr dechiffriert, geschweige denn aufgehalten werden können.

Was wir an den Hochschulen gerade sehen, ist nur ein weiterer Schritt einer globalen Entwicklung: Es werden Marktgesetze über Menschenrechte erhoben. Wir sehen ja schon neben der ökologischen eine weitere Katastrophe voranschreiten – die soziale! Dem ist nur durch den Erhalt und die Entwicklung/Erweiterung der Freiheit im »Geistesleben«, das heißt: Kunst, Wissenschaft und Religion, zu begegnen. Staats­interessen, ökonomische oder sonstige fremdbestimmende Interessen haben hier nichts zu suchen. Das geltende Prinzip ist das der Freiheit. Gilt diese nicht, krankt das soziale Ganze.

Unsere Aktionen haben zum Ziel, den globalen Entwicklungen, im Rechts-/Staats- und Wirtschaftsleben, einen entsprechend starken geistigen Impuls entgegen zu setzen. Jede/r ist gefragt. Wir fordern die sofortige Abschaffung des Studierendenstatus und Grundeinkommen für alle!

Die Autoren sind Mitglieder der AG Gebührenboykott der HfbK Hamburg