Die Community und der Markt

Zwischen der Open-Source-Community und den Firmen, die freie Software produzieren und vermarkten, besteht ein schwie­riges Verhältnis. Das zeigten die Diskussionen innerhalb der Benutzergemeinde über die Zukunft von Thunderbird. von carsten schnober

400 Millionen Mal wurde Firefox seit seinem Erscheinen heruntergeladen, jubilierte im vorigen Monat die Marketing-Initiative Spread Firefox, die sich seit 2004 um die Verbreitung des gleichnamigen Open-Source-Browsers kümmert. Firefox hat innerhalb von drei Jahren den weltweiten Marktanteil von 20 Prozent erreicht – das ist ein enormer Gewinn gegenüber Internet Explorer, der vom mächtigen Konkurrenten Microsoft hergestellt wird.

Nicht ganz so erfolgreich ist dagegen die Geschichte ein anderes Produkts aus dem Mozilla-Hause: das E-Mail-Client Thunderbird. Nachdem die Mozilla Foundation im Sommer angekündigt hatte, das Entwicklungsmodell von Thunderbird grundsätzlich überdenken zu wollen, diskutierte die Open-Source-Community in Blog- und Diskussionsforen besorgt über die Zukunft des beliebten Mail-Programms. Viele Thun­derbird-Benutzer befürchteten einfach, Mozilla würde sich künftig nur noch der Entwicklung des Browsers widmen und sich nicht mehr um Thunderbird kümmern. Inzwischen hat Mozilla eine eigene Tochtergesellschaft gegründet, die sich ausschließlich um die Entwicklung und Vermarktung von Thunderbird kümmern soll.

Die Situation erscheint absurd, wenn man das besondere Entwicklungsmodell von Firefox und Thund­­­­­­erbird nicht kennt: Wieso formiert sich eine ganze Bewegung, um Produkte zu verbreiten, und wieso wird es innerhalb dieser Szene zum Politikum, wenn die Einstellung einer Software droht? Warum fürchtet Hersteller Mozilla um seine Anhänger, wenn er ihnen Firefox und Thunderbird ohnehin kostenlos anbietet? Die kurze Antwort heißt: Freie Software kann – je nach Perspektive – als ein hochmodernes Entwicklungs- und Vermarktungsprinzip für Software oder als ein Schritt in Richtung einer besseren Gesellschaft betrachtet werden.

Die Anhänger freier Software bilden keine einheitliche Gruppe. In der Open-Source-Community bewegen sich politische Aktivisten, kleinbürgerliche Nerds, Angestellte großer Softwarekonzerne und alle, die sich zwischen diesen Eckpunkten finden. Gemeinsam haben die Open-Source-Anhänger, außer ihrem – meist – männlichen Geschlecht ein Ziel: Die Verbreitung freier Software auf möglichst vielen Computern, ob von Privatpersonen, Firmen oder Behörden, ob auf Desktop-PCs, Hochleistungsservern oder Taschencomputern. Neben Firefox und Thunderbird ist das als Alternativbetriebssystem bekannte Linux der prominenteste Vertreter dieser Softwaregattung, wie auch die Office-Suite OpenOffice.

Die Gründungslegende, auf die sich der größte Teil der Open-Source-Bewegung beruft, geht auf die späten siebziger Jahre zurück. Software entwickelte sich damals zum Massenprodukt, und seine Vertriebsmöglichkeiten wurden erkundet. Mit dem Aufkommen von Computern für Privathaushalte und Büros erreichten die Einzelverkaufs­zahlen von Software neue Dimensionen. Gleichzeitig begannen die Hersteller, Software nicht mehr in einem Quelltext auszuliefern, der auch für Menschen lesbar ist, sondern in einem nur für Maschinen verständlichen Binärformat.

Dass der Benutzer keine Chance mehr hatte, den Quelltext einzusehen, empfanden viele Computer-Hacker – im englischsprachigen Raum vor allem eine Bezeichnung für »kreative Programmierer« – als Einschränkung ihrer Selbstbestimmung. Inspiriert vom Ideal der absoluten Informationsfreiheit entwickelte eine Gruppe um Richard M. Stallman die Idee von freier Software. 1985 gründete Stallman die Free Software Foundation, die sich durch folgende Prinzipien definierte: Alle Interessierten sollen Programme zu jedem Zweck ausführen dürfen, sie dürfen den Quelltext einsehen, verändern und verbreiten. Die dadurch implizierte Offenheit des Quelltexts brachte der freien Software auch den Namen »Open Source« ein.

Um diese Freiheiten juristisch abzusichern, entwickelte Stallman eine spezielle Software-­Lizenz, die Gnu General Public License (GPL). Eine Software, die unter dieser Lizenz veröffentlicht wird, garantiert ihren Benutzern die oben genannten Freiheiten und verpflichtet sie zugleich, wiederum eigene Weiterentwicklungen und Abwandlungen derselben Lizenz zu unterstellen.

Jahrelang programmierten Stallman und ein kleiner Kreis Gleichgesinnter in ihrer Freizeit Open-Source-Software. Eines Tages, so die Idee, sollten ein Betriebssystem und alle nötigen Programme unter freier Lizenz zur Verfügung stehen, so dass die Nutzung unfreier Software gar nicht mehr nötig sei, so die Idee. Jeder Benutzer sollte genau wissen, was mit seinem Computer und den darauf gespeicherten Daten passiert.

Erst die Entwicklung von Linux Anfang der neunziger Jahre gab freier Software einen Schub aus der Bedeutungslosigkeit heraus. Der damalige Student Linus Torvalds stieß eher zufällig auf die GPL und veröffentlichte unter deren Bedingungen sein als Studienprojekt entwickeltes Betriebssystem im Frühstadium. Über das damals in der akademischen Welt durchstartende Internet fanden sich weltweit Interessierte, die Torvalds halfen, Linux weiterzuentwickeln. Immerhin gibt das größte freie Softwareprojekt Einblick in ein voll funktionstaugliches Betriebssystem, was ansonsten bei großen Firmen wie Micro­soft angestellten Programmierern vorbehalten bliebe. Die hohen Ideale der Free Software Foundation spielten bei ihnen, ebenso wie bei Torvalds, meist nur eine Nebenrolle. Mit seinem technischen Fortschritt wurde Linux auch ökonomisch interessant. Es kamen erste kommerzielle Linux-Distributionen auf, die die frei vorhandenen Quelltexte in Maschinensprache übersetzten, in sinnvoller Weise kombinierten und die Installation vereinfachten. Red Hat war die erste Firma, die mit dem Verkauf freier Software Geld verdiente.

Firefox stammt, im Gegensatz zu Linux, von einem kommerziellen Produkt ab, dem Webbrowser Navigator der Firma Netscape. Diese verlor Ende der neunziger Jahre den so genannten Browserkrieg gegen Microsoft und lizensierte den Netscape Navigator sowie das dazugehörige E-Mail-Programm als freie Software unter einer Variante der GPL. Eine gemeinnützige Organisation namens Mozilla, die 2003, gemeinsam mit der Tochterfirma Mozilla Corporation, zur Mozilla Foundation wurde, kümmert sich seitdem um die Weiterentwicklung von Firefox, Thunderbird und weiterer Programme. Finanziert wird sie vor allem durch Spenden. Sie hält auch die Rechte an den Marken Firefox und Thunderbird.

Für ein Unternehmen gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit freier Software Geld zu verdienen. Die erste ist die bereits beschriebene der kommerziellen Linux-Distributoren: Freie Software wird zu einem einsatzbereiten Paket zusammengestellt, eventuell mit eigener, unfreier Software vervollständigt und dann verkauft. Inzwischen hat sich jedoch erwiesen, dass es für potenzielle Kunden meist einfacher ist, solche Pakete aus den ohnehin frei verfügbaren Quelltexten nachzubilden, weshalb sich ein neues Modell etabliert hat: Ein Distributor stellt seine Kollektion frei zur Verfügung und bietet dafür kostenpflichtige Dienstleistungen wie Installation, Support und Wartung. Die Garantie auf Aktualisierungen, die eventuell auftretende Sicherheitslücken und andere Fehler beheben, lässt sich ebenfalls verkaufen.

Das Verhältnis zwischen der Open-Source-Gemeinde und den Firmen, die freie Software vermarkten, gestaltet sich schon immer schwierig. Einerseits reicht es freien Programmierern oft, an einem Projekt ehrenamtlich mitzuarbeiten, das professionell verwaltet und vermarktet wird. So wird auch ihr Name bekannt, was sich positiv auf ihre Karriere auswirken kann. Andererseits geht es den Firmen natürlich darum, die Bedürfnisse ihrer Kunden zu erfüllen. Aus marktwirtschaftlicher Notwendigkeit versuchen sie deshalb, die Software von bezahlten Programmierern in bestimmte Richtungen entwickeln zu lassen, was wiederum die ehrenamtlichen Aktivisten und Hacker als unfair empfinden.

Entwickler freier Software entstammen häufig einem linksliberal angehauchten Milieu und bedienen sich entsprechender Ideologiefragmente. Für Software viel Geld zu verlangen, gilt als kapitalistisch und demzufolge ungerecht, billige Software findet man »korrekter«, aber nur freie Software ist »gut«. Firmen, deren Geschäftsmodell auf Open Source basiert, werden als »sympathisch« empfunden und als Teil der Community betrachtet, insbesondere wenn sie klein sind. Die Ablehnung von Microsoft und Google spielt eine wichtige Rolle, bei europäischen Open-Source-Anhängern ist oft eine kräftige Portion Antiamerikanismus dabei. Immer öfter beschränkt sich jedoch die politische Reflexion auf dieses oberflächliche Niveau. 2005 bezeichnete der Gründer von Microsoft, Bill Gates, die freie Software-Bewegung als »kommunistisch«. Die Reaktionen zeigten die Grundeinstellung eines großen Teils der Open-Source-Community: Er bestreitet nicht nur, irgendetwas mit dem Kommunismus zu tun zu haben, sondern auch, gesellschaftspolitische Interessen zu verfolgen, die über die Verbreitung von freier Software hinausgehen.

Es verwundert daher kaum, dass die Theoretiker der Free Software Foundation und ihr nahe stehende Strömungen innerhalb eines großen Teils der Open-Source-Community zunehmend als Überbleibsel aus Gründerzeiten und Dogmatiker betrachten werden. Ihnen geht es immer mehr um Technik, immer weniger um Politik.

Konzerne wie IBM und Novell, aber auch zahlreiche kleinere Softwarefirmen preisen ihre Produkte wahrheitsgemäß damit an, dass sie die Verbreitung freier Software vorantreiben. Die Entwickler laden die Open-Source-Community zu Gemeinschafts-Events ein, wo die Erfolge freier Software gefeiert werden. Die PR-Abteilungen der Free-Software-Firmen pflegen dadurch ihre Fan-Gemeinde. Einem Großteil der Open-Source-Community fehlt es an politischem Interesse, diese Mechanismen zu kritisieren, und er spielt mit, solange das Programmieren Spaß macht.