Das tödliche Gurkenbrät

Wie aus einem absurden sozialen Konflikt ein harmonischer Klamauk wird, zeigt der Film »Bis zum Ellenbogen«. von tilman vogt

Deutschland, ein anderes Sommer­märchen: Während das ganze Land 2006 der Fußballweltmeisterschaft huldigt, verwirklichen die Schauspieler Stefan Kurt, Jan Josef Liefers und Justus Dohnányi einen lang gehegten Traum. Sie drehen einen unabhängigen Film in Eigenregie, der hauptsäch­lich aus Improvisationen oder kurz vor dem Dreh skizzierten Szenen besteht. Herausgekommen ist trotz der vermeintlichen Freiheiten ein zwiespältiges Ergebnis mit dem Titel »Bis zum Ellenbogen«.

Die Handlung spielt zum größten Teil in einer Bergidylle. Hier auf einem Alpengipfel macht der Hartz-IV-Empfänger Willi (Stefan Kurt) den bei einem Preisausschreiben gewonnenen Urlaub, den er mit obskuren Meditationsübungen und dem Aufnehmen von Wald- und Wiesengeräuschen auf Tonband verbringt. Bei der Observation eines Ameisenhaufens wird er plötzlich von dem auf einem Mountainbike heranrasenden Manager Achim (Jan Josef Liefers) angefahren. Was folgt, ist ein Zusammenstoß der Klassen in höchsten Höhen. Willi verliert sein Gleichgewicht, Achim Fahrrad und Bewusstsein. An einen Abstieg ist für die beiden nicht mehr zu denken, doch zum Glück werden sie von dem Sylter Bankangestellten Sven (Justus Dohnányi) aufgenommen, der auf dem Berg eine Hütte besitzt.

An dieser Stelle gewinnt der Film Geschwindigkeit. Die Schauspieler haben offensichtlich Spaß daran, die Klischees auszuschöpfen, und formen so überraschend unterhaltsame Idealtypen: Der aalglatte Achim, der nichts anbrennen lässt, und der rechthaberische Sozialdemokrat und Verlierertyp Willi, der so frappant an Rudolf Scharping erinnert, bevor er sich den Bart abrasierte, liefern sich manch unterhaltsamen Schlagabtausch. Nur Svens Beschwichtigungen verhindern die Eskalation. Allmählich stellt sich aber eine ungeahnte Harmonie ein: Achim genießt die Ruhe abseits der Welt des Geldes, und Willi träumt ohnehin unentwegt der Ro­man­­tik einer Mittelschicht hinterher, die ihn nicht mehr haben will. Die Stimmung wird aus­ge­las­sener und bierseliger, zur Feier des Abends bastelt der Tüftler Willi sogar eine seiner brillanten Erfindungen: das Gurkenbrät, zwei unter Starkstrom gesetzte Nägel, auf die eine saure Gurke gespießt wird, die zu schmoren beginnt. Dummerweise lehnt sich Sven zu entspannt zu­rück und tut es der Gurke auf tragisch-komische Weise gleich.

Nun begibt sich der Film, leider reichlich spät, auf eine neue Handlungsebene. Achim fasst einen Plan: Sven hat vor seinem Ableben von seinem Chef auf Sylt erzählt, bei dem er sich immer morgens den Schlüssel für den Bank­tresor abholt, den er dann ganz allein aufzuschließen hat. Was folgt, kann man sich denken: Willi und Achim transportieren den toten Freund mit dem Auto durch Deutschland, um eine Schlüsselüber­gabe zu fingieren. Auf der heiklen Mission ergeben sich allerlei absurde Situationen, die dem nicht gerade konfliktarmen Zusammenspiel von Achim, Willi und dem verwesenden Sven entspringen, der zu Geheimhaltungszwecken einfach mit den Farben Schwarz-Rot-Gold bemalt wird.

Auch wenn der Film ganz offensichtlich seine Originalität aus diesen grotesken Szenen zu ziehen sucht, schlagen sie häufig ins allzu deftige Ekelspiel um. Keinen Spaß mehr macht der Film, wenn der Leichnam unzählige Male traktiert wird. Und auch Svens Mutter bekommt noch eins übergebraten. So fasst ein Ausspruch Willis die Balance des Films gut zusammen. »Das war keine Absicht, das mit deiner Mutter und mit dem Gurkenbrät«, ruft er bei der Seebestattung in der Nordsee aus und verortet damit den Film treffend zwischen Witz und Wiehern, Skur­rilität und Schenkelklopfer.

Dohnányi und seine Crew versuchen sich zwar als »Alpen-Coens«. Da sie aber lediglich aus der Leichenschinderei Lacher herauszuquetschen versuchen, kommen sie nicht an die grotesken Situationen etwa von »The Big Lebowski« heran, sondern drehen nur eine Kreuzung aus »Dumm und Dümmer« und »Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast«.

Immerhin bietet »Bis zum Ellenbogen« trotz allem eine Lektion, die alle politischen Parteien gelernt haben: Im Land zwischen Nordsee und Alpenkamm lässt sich auch mit einem stinkenden Leichnam noch einiges anfangen, wenn man ihm nur die Farben Schwarz-Rot-Gold ins Gesicht pinselt.

»Bis zum Ellenbogen« (Deutschland 2007). Regie: Justus Dohnányi, Start: 1. November