Die Grenze hören

Die Berliner Philharmoniker boten Gustav Mahlers Neunte in der Philharmonie.

Das Jahr 2007 ist so etwas wie ein Gustav-Mahler-Jahr in Berlin. So konnte man an Ostern in der Philharmonie sämtliche zehn Sinfonien hören, gespielt von der Staatskapelle Berlin und dirigiert von Daniel Barenboim und seinem langjährigen Freund Pierre Boulez. Die Berliner Presse war voll des Lobes für Barenboim, während Boulez vorgeworfen wurde, er inszeniere Mahler zu »technokratisch«. Zu Unrecht, wie viele Zuschauer meinten, die Boulez frenetisch feierten. Ihnen war wohl bewusst, dass es eine einzigartige Möglichkeit war, den 82jährigen Boulez, der wie kaum ein anderer zur Popularität Mahlers beigetragen hat, noch einmal am Dirigentenpult zu sehen.

Am Wochenende präsentierten Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker schließlich Mahlers neunte Sinfonie. Es ist seine letzte vollendete Sinfonie, die zehnte blieb ein Fragment. Nur wenigen Komponisten gelingt nach der Komposition der Neunten noch eine weitere: Beet­hoven scheiterte daran genauso wie etwa Bruckner. Arnold Schönberg schrieb dazu: »Es scheint, die Neunte ist eine Grenze. Wer darüber hinaus will, muss fort. Es sieht aus, als ob uns in der Zehnten etwas gesagt werden könnte, was wir noch nicht wissen sollen, wofür wir noch nicht reif sind.«

Das Verdienst der Aufführung war es, diese Grenze musikalisch aufgespürt zu haben. Die Philharmoniker zeigten, warum mit dieser Sinfonie ein Endpunkt erreicht war. Wie sehr sich Mahler dem Unsagbaren genähert hatte, wird in jenen Passagen deutlich, in denen die Sinfonie im Schweigen zu versinken scheint, da der zarte und fast bedroht wirkende Klang einer Flöte beinahe vergeht, um sich dann doch noch einmal wie aus dem Nichts für kurze Zeit aufzurichten. Adorno schrieb über Mahlers Neunte: »Das letzte Werk, das Mahler vollendet und dessen dritter Satz schon Partien einer vom Generalbassschema wegstrebenden Polyphonie enthält, ist das erste der neuen Musik.«

Wie diese neue Musik klingt, das demonstrierten die Philharmoniker zu Beginn des Abends. Das Werk »Seht die Sonne« des finnischen Komponisten Magnus Lindberg war erst im ­August uraufgeführt worden. Es beeindruckt durch eine wunderbare Cello-Passage. Warum nach Mahler die Musik so grundlegend anders werden musste, serialistisch und formalistisch wie bei Lindberg etwa, darüber nachzudenken, bot der Abend ausreichend Anlass.