Fassbinder für Hartz-IV-Empfänger

Hans Weingartners Mediensatire »Free Rainer« beklagt die Boulevardisierung der Massenmedien und bewegt sich dabei auf sehr flachem Niveau. Von Esther Buss

Der Filmemacher Hans Wein­gart­ner, der sich gern mit seiner Haus­­besetzervergangenheit schmückt, und der neokonservative Historiker Paul Nolte haben einiges gemeinsam. Beide beklagen – auf jeweils unterschiedliche Art und Weise – die kul­turelle Verwahrlosung und vertreten ein ausgesprochen paternalistisches Erziehungskonzept. In Weingartners letztem, überraschend erfolgreichen Film »Die fetten Jahre sind vorbei« brachen drei junge selbst ernannte »Erziehungsberechtigte« in die Villen reicher Leute ein, um dort ebenso harmlosen wie kreativitäts­bemühten Quatsch zu veranstalten, und entführten dann einen reichen Geschäftsmann – das alles im Auftrag der Kapitalismus- und Globalisierungskritik. Jetzt, in »Free Rainer«, steht das so genannte Unterschichtenfernsehen auf dem Erziehungsplan.

Bevor Harald Schmidt diesen Begriff erst rich­tig populär machte (inzwischen spricht man vom Unterschichtenfernsehen, als sei das ein Fernsehsender), war er erstmals in Paul Noltes Essayband »Generation Reform« (2004) aufgetaucht. Nolte konstatierte darin nicht Armut als Hauptproblem der Unterschicht, sondern den massenhaften Konsum von TV (und Fast Food). Soziale Zugehörigkeit und schlechter Geschmack wurden damit in einen direkten Zusammenhang gebracht. Mit einem entschiedenen Reformkurs ließe sich die vertrashte Unterschicht zu kulturbewussten Bürgern umerziehen, so Noltes Vision.

Hans Weingartner argumentiert in seinem ge­sellschaftskritisch motivierten Film im Grunde nicht anders, seine revolutionäre Attitüde, das Kokettieren mit illegalen Praktiken, verdeckt aber zunächst den dahinter liegenden Konservatismus. Ausgangspunkt des Films ist die popu­listische Medienkritik, wie sie der Wissenschaft­ler Neil Postman (»Wir amüsieren uns zu Tode«) in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts äußerst erfolgreich betrieben hat. Denn das oft zitierte Postman-Statement »Fernsehen wurde nicht für Idioten erschaffen – es erzeugt sie« ist eine Art Refrain des Films, und zusammen mit dem Untertitel »Dein Fernseher lügt« ist das kleine Einmaleins der Medienkritik auch schon komplett.

Der TV-Produzent Rainer (Moritz Bleibtreu) ist ein zynischer Profiteur des Unterschichtenfernsehens. Er entwickelt stumpfe Shows für den Sender TTS, Quotenhits wie »Hol dir das Superbaby« – eine stark verschärfte Version einer Datingshow mit dem Ziel, für eine Kandidatin mit Mutterwunsch den perfekten Erzeuger zu finden (entscheidend ist die Geschwindigkeit sei­nes Spermas). Als Rainer von einem unbekannten Mädchen absichtlich mit dem Auto angefah­ren wird und darauf schwer verletzt im Krankenhaus landet, ist es vorbei mit seinem Leben aus Erfolg, Alkohol, Koks und einer Menge Fern­sehmüll.

Aus dem schlimmen Rainer wird innerhalb weniger Filmminuten der gute Rainer. Denn Pegah, die Attentäterin, wollte sich rächen für den Selbstmord ihres Großvaters, verursacht durch eine Falschmeldung des Senders TTS. Den Fernsehproduzenten plagen plötzliche Schuld­gefühle. Dank dieser heilsamen Erfahrung und eines grausigen Albtraums, in dem sich das fernsehverblödete Publikum für den Medienfraß an ihm rächt, versucht Rainer zunächst, qualitätsvolles Fernsehen zu machen. Da er keinen Erfolg damit hat, greift er zu subversiveren Mitteln. Mit Pegah und einem verschrobenen Wachmann und Verschwörungstheoretiker (Milan Peschel) rekrutiert er eine Gruppe von Langzeitarbeitslosen, gemeinsam wollen sie gegen die Verdummung der Menschheit ankämpfen. Die Medienguerilla macht sich also auf, einen Teil der in repräsentativen Haushalten aufgestellten Quotenboxen zu manipulieren, und statt »Mein neuer Traumkörper« werden nun Fassbinder-Filme, seriöse Dokumentationen oder »Wickie und die starken Männer« zu neuen Quoten-Hits. Eine wahre Kulturrevolution, ein »Geistiger Frühling in Deutschland« (so die Schlagzeile einer Tageszeitung), bricht aus. Die Unterschicht hat sich tatsächlich umprogrammieren lassen, und die Sender müssen nun anspruchsvolles Programm bieten. Doch natürlich gerät das Guerilla-Hauptquartier in einer abgelegenen Pension schon bald in ernsthafte Gefahr.

Weingartners Film richtet sich gegen die oft be­klagte Boulevardisierung der Massenmedien, bewegt sich dabei aber selber auf dem Niveau des flachen Humors, der kindischen Einfälle, der Unglaubwürdigkeiten und Schwarz-Weiß-Malereien. Während der schrille Filmanfang we­nigstens noch ansatzweise versucht, das Trash-Fernsehen mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen, wird »Free Rainer« schon nach kurzer Zeit zum volkspädagogischen Seminar. Die Figuren sind so simpel und moralisch transparent wie in jeder Vorabendserie, und die Wandlung der Arschloch-Hauptfigur in einen medienkritischen Missionar mit krimineller Energie ist mehr als haarsträubend. Von Anfang an ist klar, wer auf der falschen bzw. der richtigen Seite steht, wobei diese (nämlich die der »Widerstandsgruppe«) mit der penetranten Zeigefingerhaltung des Films völlig identisch ist. Ganz im Unterschied etwa zu Peter Weirs lakonischer Mediensatire »The Truman Show« fehlt Weingartners Film jede Form von Ambivalenz und Subtilität. Didaktische Phrasen und eine plumpe Erzählung lassen keinen Zweifel daran: Hier wird für die gerechte Sache gekämpft, Illegalität und Guerilla gehören hier zum guten Stil und fördern das »Wir«-Gefühl. Schließlich erhebt sich Weingartner auch noch zum Schirmherrn der Hartz-IV-Empfänger, deren stereotype Darstellung und Funktion als Pausenclowns sich kaum von der einer Comedy-Show unterscheiden. Das Quoten­killer-Team setzt sich nämlich aus einem obdachlosen Alkoholiker, einem Migranten, einem Theologen, einem Ex-Knacki und einem Pyrotechniker zusammen. Gerade im zweiten Teil arbeitet der Film mit den Effekten des Buddy-Movies, Werte wie Kameradschaft und Solidarität werden hochgehalten, und wenn sich alle nach einem Erfolgserlebnis hüpfend in den Armen liegen, ist die Welt wieder in Ordnung. Das erinnert doch stark an einen Abi-Streich, so provinziell und pubertär ist das.

Eine Mediensatire sollte eigentlich ein bisschen intelligenter sein als das, was sie an den Pranger stellt. »Free Rainer« ist es mit Sicherheit nicht. Außerdem sind naive Utopien auch nur dann charmant, wenn sie nicht mit Selbstgefälligkeit und moralisierender Überheblichkeit daherkommen. Denn was »Free Rainer« neben all seinen bodenlosen Dummheiten so unerträglich macht, ist seine selbstgerechte und anmaßende Haltung. Da wird dann auch mal aus Hitlers »Mein Kampf« zitiert, um auf die Manipulation der Massen aufmerksam zu machen. Auch dieser Schuss geht nach hinten los. Denn Weingartner betreibt mit seiner me­dien­pädagogischen Klamotte nichts anderes als eine stupide Diktatur der Erziehung.

»Free Rainer – dein Fernseher lügt« (D 2007). Regie: Hans Weingartner. Darsteller: Moritz Bleibtreu, Elsa Schulz Gambard. Kinostart: 15. November