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Um manche Reformen wird ein Riesen-Tamm-Tamm gemacht, andere vollziehen sich fast unbemerkt. Die Bild-Zeitung hatte plötzlich überall Serifen und die Jungle World einen neuen Fahrstuhl, aber niemand redet darüber. Nun, er ist ja auch nicht wirklich neu, der Fahrstuhl. Man hat ihn nur etwas modernisiert. Obwohl selbst dies noch ein Euphemismus ist. Die vorbeiziehenden Etagen werden nun blinkend angezeigt, und eine immerhin automatisch öffnende und schließende Falttür ersetzt das im ganzen Haus verhasste Lichtgitter – am Ende ist es aber immer noch der olle Lastenaufzug. Immerhin: Die Lichtgitter genannte Lichtschranke, von der Sie hier an dieser Stelle mehr als nötig gehört haben, weil sie mehr als nötig alle Bewohner und Werktätigen in diesem Haus tyrannisiert hat, sie ist nunmehr Geschichte. Ein Nachruf wäre angebracht.

Was sagen die Kolleginnen und Kollegen? Eine Umfrage zeigt, die Meinungen sind geteilt. Die einen sind froh, dass das Lichtgitter abgeschaltet wurde. Ein Kollege etwa meint: »Wo Licht war, war auch Schatten!« Manche berichten von schweren persönlichen Deformationen, die das Lichtgitter bei ihnen hinterlassen habe, noch heute schrecken sie bei jeder Tür respektvoll einen Moment zurück. »Das Lichtgitter lebt in mir als Über-Ich weiter«, sagt einer. Klar, dass vor allem jene Kollegin, die den Feststeck-Rekord hält, erleichtert wirkt: »Ich habe jetzt weniger Angst.«

Andererseits, wie könnte es anders sein: Andere sehen das anders. Eine Kollegin fürchtet sich viel mehr vor der neuen Falttür: »Wenn der Erste in diese Ziehharmonika eingequetscht wird, werden wird uns noch nach dem Lichtgitter zurücksehnen.« Und eine andere Kollegin seufzt: »Das Lichtgitter ließ uns wenigstens die Illusion von Freiheit und Transparenz.« Und jemand fügt düster hinzu: »Nun wird es noch dunkler hier … « Damit spielt er auf die seit einiger Zeit aufleuchtende Debatte um das »Glückslicht« an. Der Herr Geschäftsführer soll, so wird gefordert, »Gute-Laune-Lampen« besorgen, Leuchten, die die Sonnenstrahlung imitieren und uns Tag ein, Tag aus mit Endorphinen nur so überschwemmen. Manche spekulieren gar darauf, sich beim Arbeiten bräunen zu können. Ihre Parole erscheint angesichts der Tatsache, dass nun das Lichtgitter ein für allemal ausgeknipst wurde, noch plausibler: »Mehr Licht!«