Ins eigene Netz

Die Strompreise steigen, die Energiekonzerne verzeichnen hohe Profite und können sich auf noch höhere freuen. Denn das Oligopol ist trotz kämpferischer An­sagen aus der Politik keineswegs gefährdet. von heiko balsmeyer

»Für das, was Strom an Lebensqualität bietet, ist Strom eigentlich zu billig, wenn wir ehrlich sind«, sagte der Vorstandsvorsitzende von Eon, Wulf Bernotat, Ende September in der Bild-­Zeitung. Das hieß nichts anderes, als dass sich die Bevölkerung darauf einzustellen hat, künftig einen größeren Teil ihres Einkommens für die Energie aus der Steckdose auszugeben. Jene Zeiten »billiger Energie« seien »wahrscheinlich« vorbei, es sei mit steigenden Preisen zu rechnen. »Das gilt für Öl, Gas, Kohle und damit auch für Strom«, sagte Bernotat.

Und siehe da, zu Beginn des neuen Jahres will Eon seine Strompreise um bis 9,9 Prozent anheben. Begründet wird der Schritt mit steigenden Kosten für die Energieträger, welche in den Kraftwerken verfeuert werden. Der globale Bedarf stei­ge, das Angebot aber nicht.

Angesichts der Bilanzen der Stromkonzerne scheint diese Begründung jedoch sehr faden­schei­nig. So stieg der Umsatz bei Eon in den ersten neun Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um sieben Prozent auf 49,4 Mil­liarden Euro. RWE konnte eine Steigerung des betrieblichen Ergebnisses um 20 Prozent auf 5,8 Milliarden Euro vermelden. Der Essener Stromriese fand die deutlichsten Worte für die Entwick­lung: Der »positive Trend in der Stromerzeugung« sei verantwortlich dafür, »dass der Konzern seine Ertragslage verbesserte«.

EnBW steigerte den Konzernüberschuss um sage und schreibe 88 Prozent auf 1,12 Milliarden Euro; ohne das Geschenk der Regierung von 420 Millionen Euro, das aus der Senkung der Unternehmenssteuer resultierte, wären es immer noch beachtliche 18 Prozent gewesen. Bei der deut­schen Sparte des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall erhöhte sich der Umsatz von Januar bis September 2007 um 13 Prozent auf neun Milliarden Euro. Damit kletterte der Nettogewinn in den ersten neun Monaten um mehr als 28 Pro­zent auf 1,4 Milliarden Euro, gab der Vorstandsvorsitzende Lars G. Josefsson in Stockholm bekannt. Vattenfall profitiert mit rund 300 Millionen Euro von der Unternehmenssteuerreform.

Interessant ist dabei, dass Vattenfall Europe bis­lang knapp 200 000 seiner zuvor rund 2,9 Mil­lio­nen Kunden in Berlin und Hamburg verloren hat. Das dürfte an den erhöhten Preisen, aber auch an den Reaktionen des Konzerns auf die Un­fälle in seinen Atomkraftwerken in Forsmark, Krümmel und Brunsbüttel liegen. Dass der Profit trotzdem deutlich stieg, zeigt, dass sich über die Konsumentensouveränität die Lage auf dem Energiemarkt offenbar nicht so leicht verändern lässt. Den Atomausstieg wird man kaum selber machen können.

Der Empörung über die Gleichzeitigkeit steigender Strompreise und Profitsteigerungen der Konzerne folgten zahlreiche Detailvorschläge, die vor allem der Ablenkung und Problemverschie­bung dienten. Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte »mehr Transparenz« und kann eigentlich nur eine verbesserte Marketingstrategie für die steigenden Strompreise gemeint haben. Die Offenlegung der Entstehung der Extraprofite meinte sie sicher nicht.

Recht zahnlos gestaltet sich die – auch gleich nur bis 2012 befristete – Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung, die der Bundestag in der vergangenen Woche verabschiedete. Dem Kartellamt soll auf dieser neuen rechtlichen Grundlage ermöglicht werden, über Missbrauchsverfahren die Strompreise zu senken. Bei umgekehrter Beweislast sollen die Konzerne darlegen, dass ihre Preise sachlich gerechtfertigt sind. Dies dürfte den Rechnungsabteilungen der Unternehmen vermutlich nicht sonderlich schwer fallen. Gleichzeitig sollen die entsprechen­den Missbrauchsverfügungen sofort vollziehbar sein. Das gibt der Bürokratie lediglich ein wenig mehr Macht, um bessere Deals mit den Konzernen auszuhandeln. Der Tübinger Wirtschaftsrechtler Wernhard Möschel bezeichnete den vom Wirtschaftsministerium erarbeiteten Entwurf da­her richtigerweise auch als »Abwehrgesetzgebung gegenüber unerwünschten, weiterreichenden Gesetzgebungsvorschlägen«.

Dieses Urteil gilt auch für die meisten anderen Vorschläge aus den Parteien der großen Koalition, die den Konzernen auf diese Weise ihre starke Stellung sichern. Der notwendige Angriff auf das Oligopol wird erfolgreich vermieden. So sind auch die wiederholten Aufforderungen zu ver­stehen, erst einmal abzuwarten, wie die neuen Maßnahmen wirken.

Der hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) stellte in der vergangenen Woche einen Entwurf für ein neues Wettbewerbsrecht vor. Seine Innovation: »Wenn andere Mittel nicht zum Ziel führen, ermöglicht das Gesetz den Zwang zum Verkauf von Kraftwerken. Leitmotiv des Gesetzes ist es, die Zahl der Stromproduzenten in Deutsch­land so weit zu steigern, dass echter Wettbewerb zu erwarten ist.« Warum auch dieser Ansatz zu kurz greift, begründete Hans-Kurt Hill, der energiepolitische Sprecher der Fraktion »Die Linke« im Bundestag: »Das Hauptproblem, die Verflechtung von Stromerzeugung und Netzbetrieb bei den Energie-Monopolisten, geht Riehl nicht an.«

Energiepolitisch interessant wäre erst ein Vorschlag, bei dem das entschädigungslose Abschalten von Atomkraftwerken mit dem Ersatz dieser Kapazitäten durch erneuerbare Energien verbunden würde. Auf einen Schlag könnte auf diese Weise ein Viertel der deutschen Stromversorgung von neuen Anbietern übernommen wer­den. Eine solche Forderung kam aber bislang nicht einmal aus der Opposition.

Wie das Oligopol auf dem deutschen Strommarkt funktioniert, wird derweil immer greifbarer. Die EU-Kommission ließ im vergangenen Jahr etwa 60 000 Seiten Papier mit möglichen Beweisen für wettbewerbswidriges Handeln beschlagnahmen. Das Bundeskartellamt hat inzwischen eine erste Auswertung vorgelegt, die der Spiegel in Auszügen veröffentlichte. Vieles deutet danach darauf hin, dass Mitarbeiter der vier großen Strom­konzerne Strategien, Preise und Versorgungsgebiete zumindest mit Billigung ihrer Vorgesetzten persönlich abgesprochen haben. Mit »regelmä­ßigen Treffen« und Absprachen hätten die Unternehmen auf diese Weise »Wettbewerb im Inland sowie im europäischen Ausland« weitgehend ver­meiden können.

Die EU-Kommission ist es auch, die mit ihrem dritten Paket zur Regulierung der Energiemärkte an einem Punkt ansetzt, der dem Oligopol tatsächlich missfallen dürfte. Die Kommission fordert die eigentumsrechtliche Trennung zwischen Erzeugung und Versorgung mit Strom auf der einen und den Übertragungsnetzen auf der anderen Seite. Allerdings ist die Kommission vor allem dem Ziel verpflichtet, für Wettbewerb auf dem europäischen Binnenmarkt zu sorgen. Weitergehende Ziele wie die Versorgung aller Bürger mit bezahlbarer Energie oder die Umstellung auf eine vollständige Versorgung mit erneuerbaren Energien sind dem untergeordnet und kommen daher in den entsprechenden Papieren allenfalls am Rande vor.

Besonders kämpferisch zeigte sich Bundes­umweltminister Siegmar Gabriel (SPD) der im Spiegel androhte, es könnte der Bundesregierung »als Ultima Ratio nichts anderes übrig bleiben, als gemeinsam mit der EU-Kommission eine Eigentumsentflechtung von Netz und Betrieb zu erzwingen«. Wer möchte da nicht doch auf die nächsten Preis­erhöhungen wetten?