LeserInnenworld

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Jungle World 44/07: No way out

Nichts so, wie es sein soll

Die Autoren beklagen einen »Rückfall hinter die Ergebnisse bereits geführter theoretischer Auseinandersetzungen«, wenn es um den »richtigen« Antikapitalismus geht. Sie selbst kommen aber in entscheidenden Punkten nicht über Marx hinaus. Denn unabhängig davon, ob der Übergang zum Kommunismus historisch notwendig ist oder nicht, gute Gründe, sich an diesem aktiv zu beteiligen, können gegen Marx nur moralischer Natur sein. Nur dank der kruden (bereits von Marx antizipierten) Identifikation von moralisch Korrektem mit gesellschaftlich Anerkanntem wird dieser Umstand vernebelt: Eine Person, die etwa im NS-Regime meinte, dass das moralisch Korrekte eben oft das Gegenteil des gesellschaftlich Anerkannten ist, verdient prima facie Symphatie, jedenfalls nicht den Vorwurf, dass sie bereits aus begrifflichen Gründen daneben liegt. Angesichts der Unvermeidlichkeit, in der Kritik des Bestehenden moralische Begriffe ins Spiel zu bringen, ist es kein Wunder, wenn die Autoren am Ende des Artikels mit ihrer fehlgeleiteten Abwehr moralischer Argumentation gehörig ins Schlingern geraten. Dies zeigt sich in der Rede von den seitens des Kapitalismus »geschädigten Subjekten«. Geschädigt ist etwas offensichtlich nur dann, wenn es nicht so ist, wie es sein soll. Menschen sind keine Maschinen, insofern muss das »soll« hier offenbar moralisch ausgelegt werden. Und unabhängig davon: Warum sollte den Menschen die Möglichkeit eines nicht geschädigten Daseins gewährt werden? Das kann nur die Moral beantworten.

sühr

Jungle World 44/07: Gesundheit, Herr Doktor!

Der Tod als Niederlage

So ehrenwert der Ansatz oder das Anliegen von Dorothea Roth auch ist, vermag sie es doch nicht, die althergebrachte Teilung von Medizin und Pflege zu überwinden. Und damit bleiben auch die alten Machtstrukturen im Gesundheitswesen erhalten, die sich auf die rein medizinische Dialektik von Gesundheit – Krankheit bzw. Leben – Tod beschränken. Diese Dialektik hat in der Pflege noch nie existiert, auch wenn dies oft den Anschein hat. Pflege bezieht immer eine Vielzahl von möglichen Zuständen, körperlicher, psychischer oder geistiger Natur mit ein und ermöglicht damit einen ganzheitlichen Blick auf die Patienten. Pflege hat z.B. schon immer versucht, den Menschen einen menschenwürdigen Tod zu ermöglichen, während die Medizin den Tod i.d.R. als Niederlage empfunden hat. Erst in neuerer Zeit mit entsprechenden Moraldebatten erschließt sich die Medizin dieses Feld, z.B. im Bereich der Schmerztherapie. Einen Ansatz, der alle Bereiche und Lebensabschnitte des Menschen mit einbezieht, kann und will die Schulmedizin gar nicht leisten. Aus dieser Abgrenzung heraus versucht die Pflegewissenschaft in Deutschland schon seit längerem, ein eigenständiges Paradigma für die Pflege zu entwickeln (in den USA, der Schweiz oder den skandinavischen Ländern ist die Pflege da schon sehr viel weiter). Lieben Gruß aus der Pflege

philipp tessin