Gefüllte Taschen

Die lettische Regierung hat ihren Rücktritt angekündigt. Sie ist im In- und ­Ausland wegen zahlreicher Korruptions­skandale in Verruf geraten. kommentar von udo bongartz

Die Ankündigung der lettischen Regierung, am 5. Dezember zurückzutreten, ist der vorläufige Höhepunkt einer Serie von politischen Skandalen. Besonders empört hat viele Letten, dass Ministerpräsident Aigars Kalvitis im Oktober Alek­sejs Loskutovs, den Leiter der Antikorrup­tionsbehörde KNAB, gefeuert hat. Zu fadenscheinig waren die Entlassungsgründe, zu durchsichtig das Motiv, eine Überprüfung der Partei­finanzen zu verhindern. Seitdem hat die liberal-konser­vative Regierung vier Minister verloren.

Wirtschaftsminister Aigars Stokenbergs vermutet, dass seine Entlassung Folge eines Konflikts mit der Stadt Riga sei. Er erklärte, er habe kurz vor seiner Entlassung verhindern wollen, dass die Mehrheit im Stadtrat einer Entsorgungsfirma Exklusivrechte einräumte, die eng mit der Familie von Andris Skele verbunden ist.

Skele, ehemaliger Ministerpräsident und der Grün­der der Volkspartei, der auch Ministerpräsident Kalvitis angehört, wurde während der Privatisierungswelle der neunziger Jahre zu einem der reichsten Unternehmer des Landes. Sein Name wird im Zusammenhang mit mehreren Korruptionsaffären genannt, doch juristisch konnte ihm nie etwas nachgewiesen werden. (Jungle World 16/06) Geschäfte tätigt er unter anderem mit Hilfe von Briefkastenfirmen auf der Kanalinsel Jersey. Eines dieser Unternehmen hatte den fragwürdigen Auftrag bekommen, das Digitalfernsehen in Lettland einzuführen. Vor Gericht behauptete Jurgis Liepnieks, ein Mitarbeiter von Skele, dass auch sein Chef mit dieser Firma verbunden sei. Skele bestritt dies.

Die Korruptionsskandale in Lettland erregen inzwischen international Aufsehen. So stellte die US-Botschafterin Catherine Todd Bailey Mitte Ok­tober während einer Podiumsdiskussion an der Rigaer Universität die provokante Frage, ob sich Lettland, das sicher in der EU und der Nato angekommen sei, nun dafür entschieden habe, »den Staat einigen Individuen als Spielfeld zu überlassen, wo sie ihre eigenen Taschen und jene ihrer Freunde füllen können«.

Am 3. November demonstrierten dann etwa 9 000 Menschen auf dem Rigaer Domplatz gegen die Re­gierung. Zwar führte der wirtschaftsliberale Regie­rungskurs in den vergangenen Jahren zu hohen Wachstumsraten und steigendem Wohlstand, da­von profitiert hat aber vor allem die obere Mittel­schicht. Lehrer, Erzieher, Polizisten und Krankenschwestern verdienen dagegen besonders wenig. Und für die Bekämpfung der gerade unter Rentnern weit verbreiteten Armut ist kein Geld vorhan­den. Der prozentuale Anteil der Sozialausgaben am Staatsbudget ist nur halb so hoch wie im EU-Durchschnitt. Trotz dieser Sparpolitik ist die Infla­tion die höchste in der EU. Viele junge Menschen sehen für sich keine andere Perspektive als auszuwandern.

Die zerstrittene Opposition bietet bislang keine Al­ternativen. Die Volkspartei wird wahrscheinlich auch der neuen Regierung angehören. Sie hat be­reits Gespräche mit der konservativen Oppositionspartei Neue Zeit geführt, um eine Re­gierung zu bilden. Eine Umfrage im Oktober zeigt aber den rasanten Absturz der Partei: 4,8 Pro­zent der Befragten würden sie wählen, demnach käme sie nicht einmal ins Parlament.