Prima Kunstkrach

Platte Buch von Thomas Blum

Es muss immer weitergehen/Musik als Träger von Ideen. Sample, Zitat, Cut-up, Collage, Verfremdung, Dekonstruktion. Der kanadische Kom­ponist Aimé Dontigny hat einst das Free-Noise-Kollektiv Napalm Jazz mitgegründet. Seither wid­met er sich der Improvisation, der Musiktheorie und dem freimütigen Herumfuhrwerken mit elektronischen Tonfetzen. Und so zur Gänze verstrahlt ist auch, was er auf seinem Solodebut produziert: eine Geräuschorgie sondergleichen. In Nordkorea etwa würde dergleichen sofort verboten werden. Geht es Dontigny doch hörbar darum, althergebrachte musikalische Schemata bedingungslos kaputtzuhauen, bis kaum mehr etwas übrig ist. Heraus kommt eine ganz prima und ratzeradikale Totaldekonstruk­tions-, Kunstkrach- und Hardcore-Kopfmusik, in der nicht nur ziemlich viel aus der Musikgeschichte (Klassik, Jazz, HipHop, Noise, Industrial, moderne E- und U-Musik etc.) zusammengeworfen wird, sondern in die auch Partikel aus Mathematik, Kunst, Literatur und Philosophie (Heidegger, Koons, Nietzsche, Debord usw.) hineingemengt werden. So heißen die Titel etwa »Holzwege«, »Begriffsschrift« oder »Wirkungsgeschichtesbewusstsein«.

Bis zum Gehtnichtmehr wird alles verfremdet, durch einen großen Häcksler gejagt, zerschreddert und neu zusammengesetzt. Ein gewöhnungsbedürftiger Sound, der nach aufgeschlossenen Hörern verlangt. Eine jede Grenze kühn überschreitende und deshalb großartige Seltsamkeitsmusik, von der man bei längerem Hören gewaltige Kopfschmerzen bekommt, und so muss das auch sein. Der Titel des Albums ist Programm.

A_Dontigny: »Geisteswissenschaften« (No Type/A-Musik)