Riot mit Schrot

Der Aufstand nach dem Streik von jörn schulz

Nicolas Sarkozy hätte sich wohl gerne feiern lassen. Dass die Gewerkschaften entgegen ihren Ankündigungen überhaupt mit ihm reden, obwohl er ihre Bedingungen nicht erfüllt hat, ist ein erster Erfolg für den Präsidenten. Das ist nicht allein die Schuld der Gewerkschaftsbürokraten, die den Kampfeswillen der Basis zügeln. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist mit acht Prozent extrem gering, umso wichtiger ist bei einem Streik die Solidarisierung der Bevölkerung. Doch auch in Frankreich hat sich der Sozialneid ausgebreitet. Statt sich darüber zu freuen, dass es Lohnabhängige gibt, die früh in Rente gehen können und für sich dasselbe zu fordern, meinen nun viele Franzosen, dass Lokführer und andere »Privilegierte« länger schuften sollten.

Doch die Etablierung einer rücksichtslosen Wettbewerbsgesellschaft hat ihren Preis. Wer gar nicht erst den Zugang zum Arbeitsmarkt findet, muss andere Wege finden, um sozialen Status zu erlangen. In den Banlieues, wo die Jugendarbeitslosigkeit bis zu 50 Prozent beträgt, ist die Frage, ob Lohnabhängige 37,5 oder 40 Jahre einzahlen müssen, um in Rente gehen zu können, nur von geringem Interesse.

Dass die Aufstände in Villiers-le-Bel und anderen Vororten begannen, kurz nachdem die Streiks im Transportsektor endeten, war Pech für Sarkozy. Es war aber wohl nur eine Frage der Zeit, denn geändert hat sich seit den Riots des Jahres 2005 nichts. Damals löste der Tod zweier Jugendlicher, die vor der Polizei geflohen waren, die Krawalle aus. Dass die Jugendlichen verfolgt wurden, hatte die Polizei geleugnet. Daher ist es nicht verwunderlich, dass kaum jemand dem Polizeibericht glaubt, demzufolge Moushin und Larami einem selbst verschuldeten Unfall und nicht dem Jagdfieber der Uniformierten zum Opfer fielen.

Nach Angaben der Polizei haben Demonstranten nun sogar mit Schrotgewehren geschossen. Damit nähert sich Frankreich »amerikanischen Zuständen«, doch anders als bei den Aufständen in den Armenvierteln der USA Ende der sechziger Jahre, wo viele Jugendgangs zu politischen Gruppen wurden oder sich solchen anschlossen, gibt es keine Politisierung, ja nicht einmal Forderungen. Auf ihre Weise ordnen sich die Jugendlichen der Banlieues in die Wettbewerbsgesellschaft ein, sie kämpfen mit ihren Mitteln um Status und den Zugang zu Konsumgütern. Das könnte ihre Integration erleichtern, zumal die Alternative zur Lohnarbeit nicht sonderlich attraktiv ist. Soziologische Studien in den USA haben ergeben, dass Kleinkriminelle ein geringeres Einkommen haben als Angestellte bei McDonald’s. In den Banlieues dürfte es nicht anders sein.

Der Trend geht jedoch, nicht nur in Frankreich, in eine andere Richtung. Die Lohnabhängigen sollen länger arbeiten, obwohl die gewaltige Steigerung der Produktivität eine Arbeitszeitverkürzung notwendig macht, wenn Erwerbslose integriert werden sollen. Sarkozy, der seinen Wahlerfolg auch seinem Image als harter Ordnungspolitiker verdankt, zieht es jedoch vor, den Aufstand als polizeiliches Problem zu betrachten.