Die Rückseite der Cornflakespackung

Die streikenden Hollywood-Autoren können sich über einen Mangel an Aufmerksamkeit nicht beklagen. Doch welche Bedeutung hat der Streik für Autoren, die nicht für die Filmstudios in Los Angeles arbeiten? Würden sie nur noch den Text auf der Rückseite ihrer Cornflakespackung veröffentlichen, würde es auch in Hollywood zu größeren Problemen kommen. Ein Plädoyer für die Ausweitung des Streiks. von steven lee beeber, boston

Nach fünf Wochen Autorenstreik in den USA fragt man sich als Autor, dessen Auftraggeber nicht für Hollywood arbeiten, worin eigentlich die Bedeutung dieses Streiks liegt. Selbstverständlich sind die Autoren ein wesentlicher Teil des immer wichtiger werdenden kreativen Bereichs, sei es in Hollywood, in Studio City, der Heimat vieler Sitcoms, aber auch in downtown New York. Aber sie scheinen nicht kreativ genug zu sein, um die Aufmerksamkeit, die sie derzeit erhalten, dafür zu nutzen, um über die Vermark­tung ihrer Ideen grundsätzlich zu diskutieren

Bislang sind die Ergebnisse des Hollywood-Streiks minimal. Beliebte Formate wie »The Daily Show« und weniger geschätzte wie »Are You smarter than a fifth grader« werden ständig wiederholt. Die Produzenten können keine neuen Inhalte präsentieren, da ihre Schreiber die Stifte nicht mehr in die Hand nehmen. Verschiedene Projekte mit großem Budget mussten gestoppt werden, da die Autoren mehr Geld dafür verlangen, die immer wieder nach dem gleichen Schema gestrickten Liebes-, Mord- oder Sexszenen zu überarbeiten.

Und was tun die unzähligen arbeitslosen Autoren im Wartestand? Sie lauern bei Starbucks mit Latte macchiato hinter ihren Laptops und warten darauf, endlich auch für Hollywood schreiben zu dürfen.

Das Image der Fernsehproduzenten jedenfalls wird durch den Streik keinen größeren Schaden davontragen. Hollywood verliert nicht an Glamour. Und das liegt unter anderem daran, dass bekannte Schauspieler wie Ben Stiller (»Starsky and Hutch«) und Jack Black (»King Kong«) und Regisseure wie James Cameron (»Terminator«) sich als Streikposten zur Verfügung stellen. Diese prominenten Unterstützer der streikenden Autoren verleiten einige Beobachter sogar dazu, den Eindruck zu erwecken, man sei Teil eines großen Films, der an andere berühmte Streiks erinnert, wie den wilden Generalstreik in Paris 1968 oder gar die Revolution der Bolschewiken gegen den Zaren und die Zarin.

Doch weder haben sich die Arbeiter im ganzen Land den Streiks angeschlossen und die Fabriken besetzt, noch wurde das Weiße Haus gestürmt.

Der Autorenstreik könnte allerdings durchaus eine größere Wirkung entfalten. Denn der Ausstand in Hollywood hat gezeigt, dass es lediglich eines Funkens bedarf, um ein Feuer in einem Regenwald zu entzünden. Es braucht nur eine Wiederholung der beliebten Serie »Desperate Housewives«, um die Zuschauer davon zu überzeugen, dass sie diese nicht mehr anzuschauen brauchen, wenn sie auf der verzweifelten Jagd nach Liebesaffären sind. Durch den Autorenstreik sind sie gezwungen, sofern sie dem langweiligen Alltags­trott entkommen wollen, in der realen Welt oder in Büchern nach Ersatz zu suchen.

Und hier könnte die Bedeutung des Autorenstreiks versteckt sein: Alle Autoren im ganzen Land sollten sich, wie die Arbeiter in Frankreich 1968, dem Streik anschließen. Denn durch die Wiederholungen der Fernsehserien und das damit verbundene Nachlassen des Interesses steigt die Nachfrage nach Literatur. Stellt sich nur noch die Frage, welche Rolle in diesem Streik die Autoren spielen können, die keine Bestseller verkaufen, in denen primitive Jagdgelüste befriedigt werden, sondern das Ziel haben, Leidenschaft und Schmerzen, Wahrheit und Schönheit so miteinander zu verbinden, dass der Leser seiner bisherigen Gewohnheiten in Frage stellen muss.

So wie 1969 in Chicago die Days of Rage aus einem einfachen Lagerfeuer hervorgingen, müssten sich alle Literaten den streikenden Holly­wood­autoren, Müllmännern, Taxifahrern, Metro- und Broadwayangestellten anschließen und in den Ausstand treten. Keine Metaphern mehr und keine Symbole. Keine Zeile über die Bedürfnisse des Menschen und den Zustand der Gesellschaft. Gelesen wird nur noch der Text auf der Rückseite der Cornflakespackung.

Damit soll aber nicht gesagt sein, dass ein Streik aller Autoren keine Auswirkungen hätte. Denn nicht nur der Literaturbetrieb will in Gang gehalten werden, auch die Produzenten von Fernsehserien in Hollywood sind darauf angewiesen, Einsichten in den Zeitgeist zu bekommen, damit sie ihn füttern können. Die alte Weisheit, nach der die Welt ohne Literatur ärmer wäre, würde endlich voll zur Geltung kommen. Darum: Organisiert euch, Autoren dieser Welt! Denn ihr habt nichts zu verlieren, außer ignoriert zu werden.