Das Böse kommt von oben

Rechtsextremismus? Problem? Nach mehreren rassistischen Angriffen diskutieren die Magdeburger darüber, was zu tun ist. von daniel steinmaier

Eine irakische Familie steigt in Magdeburg in einen Nachtbus und wird von einer Gruppe Deutscher beschimpft. Es fallen Sprüche wie »Macht mal die Tür auf, Ausländer stinken«. Ein 30jähriger schlägt der 20jährigen schwangeren Irakerin ins Gesicht, ein anderer stößt sie gegen ihren Kinderwagen. Die Angreifer fliehen, die Irakerin wird mit Unterleibsschmerzen ins Krankenhaus gebracht. Das war eine von mehreren rassistischen Attacken in Magdeburg Anfang Dezember.

In der Lokalpresse gibt man sich zunächst ausgie­big entrüstet, um dann, nachdem man den Empörten gespielt hat, befriedigt festzustellen, dass es ja doch nicht ganz so gewesen sei wie zunächst angenommen. »Nicht zum ersten Mal erscheint der Ablauf von Ereignissen dieser Art näher betrachtet sehr viel komplizierter als zunächst angenommen«, heißt es in der Magdeburger Volksstimme. Ein Anrufer habe »von einem Faustschlag nichts gesehen«. Stattdessen wusste er zu berichten, eine Irakerin habe so laut geschrien, »dass mehrere anwesende Kinder angefangen hätten zu weinen«. In dem Kommentar ist klar, wer die Opfer sind. »Immer, wenn es zwischen Arendsee und Zeitz auch nur den geringsten Anschein gibt, dass etwas ›rechts‹ oder ›ausländerfeindlich‹ sein könnte, wird das von einigen überre­gio­nalen Medien sofort als erwiesene Tatsache hinausposaunt. Weil es ja so gut ins ›Ossi‹-Bild von ›arbeitslos und rechts‹ passt.«

»Das ist hier die Grundstimmung: Wenn so etwas passiert, dann müssen ja die Ausländer etwas gemacht haben«, sagt Martina Nees von der Magdeburger »Mobilen Opferberatung«, die sich um die irakische Familie kümmert. Vor allem, wenn die Täter keine organisierten Rechten seien. »Bei normalen deutschen Familienvätern meint man irrtümlicherweise, es könnte sich nicht um einen rassistischen Angriff handeln«, erklärt ihr Kollege Kevin Stützel. Klar könne es in einem überfüllten Bus auch unter Deutschen Ärger geben. »Aber dass dabei einer deutschen Frau ins Gesicht geschlagen wird?« fragt Nees zweifelnd. Die Mitarbeiter der Opferberatung berichten von mehreren Fällen rassistischer Gewalt, bei denen Schaulustige recht couragiert die Täter unterstütz­ten. Zwar gebe es auch immer wieder Leute, die sich schützend vor die Opfer stellten, aber das seien eben zu wenige.

Und was tut die im Kampf gegen Rassismus oft beschworene »Zivilgesellschaft«? Die Sportclubs, Kirchen und Vereine? »Wir haben da, glaub’ ich, schon eine Funktion«, sagt Herr Jagade vom Bauarbeitersportverein 79 Magdeburg, »dass man mit den Ausländern bei Fußballspielen respektvoll umgeht.« Nur mit einem »Vietnamesen-Team« habe es mal Ärger gegeben. »Die haben sich untereinander attackiert und auch andere gehauen, die fühlten sich ständig benachteiligt«, erzählt er. »Dabei ging es aber um sportliche Entscheidun­gen und nicht um Rechtsextremismus.«

Der Chef des Magdeburger Boxclubs kennt keine Probleme mit Nazis. »Weil die sich an uns Boxer nicht rantrauen.« Ob Rechtsextreme hier trainieren? »Nee, ich schau mir die Jungs genau an«, sagt er, »auf der Straße prügeln, das ist dem Boxer streng verboten.« Bei ihm trainieren viele Ausländer. »Russen, Albaner, Afrikaner, haben wir alles. Und das ist gut. Weil die Ausländer auch sportlich sehr gut sind.«

Martin Höckmann vom Landesverband der Arbeiterwohlfahrt in Sachsen-Anhalt hat immer wieder mit Rechtsextremismus zu tun. »Zum Beispiel, wenn Klienten unserer Schuldnerberatung ihre Schulden damit begründen, dass ›ihnen die Farbigen die Arbeit wegnehmen‹.« Zum Jahreswechsel soll ein »Referent für Demokratie und Toleranz« eingesetzt werden. »Dass der nicht Antirassismus-Referent heißt, hat natürlich Gründe«, deutet Höckmann an. »Wir sind zwar stark sozialdemokratisch geprägt, aber auch bei uns gibt es Menschen mit Ängsten vor Zuwanderung.«

In der katholischen Gemeinde zu St. Marien gibt es so etwas nicht. Das meint zumindest Pfar­rer Günther Brozek. »Wir haben auch arbeitslose Gemeindemitglieder, aber die schieben das nicht auf Ausländer.« Die Kirche engagiere sich gegen Rechts, indem sie »schlicht und einfach die Menschen aufnimmt und akzeptiert, wie sie zu uns kommen und wie sie sind«, erklärt der Pfarrer salbungsvoll. »Zu uns kommen Vietnamesen und Schwarze, die singen auch im Kirchenchor mit.« Ob sich damit die Kirche im Kampf gegen Rechtsextremismus engagiere? »Wir hängen das nicht an die große Glocke, wir leben das«, meint Brozek. Für politische Äußerungen sei »der Bischof zuständig, beziehungsweise der General­vikar«.

Beim Reservisten-Schützenverein Magdeburg-Buckau weiß man, was gegen Rechtsextreme zu tun ist. »Ganz einfach: Wir lassen die nicht mitmachen«, sagt der Vorsitzende Martin Boelke. Vor einiger Zeit seien drei Männer bei ihnen eingetreten, die dann mit rechtsextremen Äußerungen auffielen. »Wir haben sie rausgeschmissen.« Warum es in Magdeburg ein Problem mit Rechtsextremismus gibt, ist für Martin Boelke »klare Sache«: »Meine Meinung ist ja, das wird von oben gesteuert.« Man könne die NPD ja verbieten, »statt nur darüber rumzudebattieren«. Vor allem aber werde den Rechten viel zu viel Auf­merksamkeit zuteil. Etwa bei der Kranznieder­legung für die Magdeburger Bombenopfer am 16. Januar, bei der auch sein Schützenverein mitmacht. »Wir laufen da mit unseren Uniformen und einem Trauerflor über der Fahne mit.« Weil aber mittlerweile dort so viel Polizei sei, die versuche, die Rechtsextremen an ihrer Kranzniederlegung zu hindern, hat sein Verein keine Lust mehr. »Klar, die legen ihren Kranz da mit einer anderen Gesinnung nieder als wir«, so Boelke. »Aber wenn die Polizei nicht wäre und man die Rechten einfach machen lassen würde, dann gäb’s das Problem gar nicht.«

Ralf Dobberitz betreut die Fans beim 1. FC Mag­de­burg. Gegen Nazis gebe es bei ihnen einen Bekleidungskodex. »Mit Thor Steinar kommt man nicht ins Stadion.« Dass mal einer »›schwarzer Penner‹ oder so was« sagt, könne man aber nicht vermeiden. »Wichtig ist, dem sagt dann jemand, dass es so nicht geht, weil sie den Verein in der Öffentlichkeit repräsentieren.« Seiner Meinung nach ist Magdeburg aber nicht anders als andere größere Städte im Westen. »Wir werden immer in die rechte Ecke gestellt, weil man hier im Osten besonders hinguckt, wenn mal was passiert.« Dabei gebe es doch in jeder Stadt »ein paar Idioten«.

Dass Magdeburg zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt werde, glaubt die junge Frau, die bei der »Ehrenamtlichenagentur« ihr freiwilliges soziales Jahr ableistet, nicht. »Magdeburg hat ein Nazi-Problem, auch wenn es in Schönebeck, wo ich herkomme, noch schlimmer ist.« Ihrer Meinung nach kann man das gar nicht übersehen. »Die sind doch überall präsent.« Ob sich bei der »Ehren­amtlichenagentur« Menschen melden, die sagen: »Ich möchte mich gegen Rechtsradikale engagieren«? Nein, dass passiere nicht, sagt Frau Bousse, die Leiterin der Einrichtung. Aber das fände sie auch irgendwie merkwürdig. »Natürlich sagt man eher, man will sich für Flüchtlinge einsetzen.« Dass sich niemand direkt gegen Nazis wenden wolle, liege nun mal einfach daran, »dass mit solchen Blödmännern eben niemand etwas zu tun haben will«.

Und was macht die Antifa? »Wegziehen«, sagt Thorsten Stein vom Antifa-Infoportal bestimmt, »das ist die einzige Option.« Wenn man in Magde­burg wohne und sich gegen Rechts engagiere, sei man »spätestens nach fünf Jahren ausgebrannt«. Die so genannte Zivilgesellschaft klop­fe sich nur selbst auf die Schulter und mache vielleicht mal eine Veranstaltung zum Thema »So sehen Nazis aus«. Vereint gehe man am 16. Januar zum »Heulen über die armen Magdeburger Bombenopfer« und setze da das »richtige« gegen das »falsche Gedenken« der Rechtsextremen, ohne sagen zu können, wo genau der Unterschied sei.