Propaganda bestraft, Gewalt vergessen

Zwei der Männer, die im Sommer im sächsi­schen Mügeln acht Inder durch den Ort gehetzt haben, sind inzwischen verurteilt: wegen Propagandadelikten, nicht aber we­gen ihrer Gewalttaten. Das Urteil deutet eine Wende in der juristischen Behandlung rechtsextremer Straftaten an. Von Ron Steinke

Mit seinem kriminalistischen Gespür erlangte Gott­hard Deuse (FDP) diesen Sommer weit über die sächsische Provinz hinaus Bekanntheit. Von ­einer »an sich unpolitischen Prügelei« sprach der Bürgermeister von Mügeln, nachdem im August acht Inder bei einem Stadtfest über den Marktplatz gejagt worden waren. Die Inder waren in eine Pizzeria geflüchtet, das Gebäude war darauf­hin von etwa 50 der 5 000 Einwohner Mügelns umzingelt und angegriffen worden.

Im Amtsgericht Oschatz sind kürzlich die ersten beiden Urteile gesprochen worden. Während die Polizei unmittelbar nach der Hetzjagd noch betont hatte, »in alle Richtungen« zu ermitteln, und wie Bürgermeister Deuse »keinen rechtsex­tremen Zusammenhang« erkennen konnte, hat die sächsische Justiz den Fall anders bewertet.

Nicht die schlichte Gewalt, sondern die Gesinnung der Täter stand während des Verfahrens im Vordergrund. Die Staatsanwaltschaft klagte die Täter in erster Linie wegen Volksverhetzung an – also wegen eines Delikts, bei dem es »nur« um politische Äußerungen, nicht aber um physische Gewalt geht. Nach Zeugenaussagen hatten sie bei dem Angriff Parolen wie »Ausländer raus« oder »Hier regiert der nationale Widerstand« gerufen. Daneben legte die Staatsanwaltschaft dem Mob, der von der Polizei gerade noch an der Erstürmung der Pizzeria gehindert werden konnte, eine Sachbeschädigung am Gebäude zur Last.

Und das ist ein juristisches Kunststück: Die Op­fer, die, in der Pizzeria verschanzt, wohl mehr um ihre körperliche Unversehrtheit als um das bloße Gebäude bangten, tauchen in dieser Defini­tion des Geschehens gar nicht mehr auf. In der gerichtlichen Sichtweise spielen sie lediglich als Anlass für ein paar verbotene Äußerungen der örtlichen Dorf­jugend eine Rolle. Und als Grund dafür, dass in je­ner Nacht in Mügeln Fensterschei­ben zu Bruch gingen.

Besonders interessant erschien dem Gericht dabei die Frage, ob der Angeklagte Frank D., der seine Beteiligung an dem Angriff auf die Pizzeria im Wesentlichen einräumte, wirklich ein Rassist sei. »Ich habe nichts gegen Ausländer, ich arbeite sogar mit welchen zusammen«, sagte der 23jährige. Amtsrichter Klaus Denk äußerte zwar seine Zweifel. Aber um Gewalt gegen Personen ging es während des Prozesses nur am Rande.

Von den acht Opfern wurde lediglich der Besitzer der Pizzeria, Amarijt Singh, als Zeuge geladen. Ursprünglich hatte der Richter auch das nicht für nötig befunden. Erst auf die Nachfrage der Anwältin hin hatte der Richter ihn kurz vor der Verhandlung noch in die Liste der Zeugen aufgenom­men. Singh beschrieb im Amtsgericht, welche To­desangst er in der Pizzeria habe ausstehen müs­sen, während der Mob damit begann, Fenster und Türen einzuschlagen. Seine Aussage wurde nach Auskunft einer Gerichtssprecherin aber lediglich bei der Gewichtung des Propagandadelikts der Volksverhetzung mitberücksichtigt.

Eine Anklage wegen strafbarer Bedrohung, wegen Nötigung, Landfriedensbruchs oder wegen versuchter Körperverletzung wurde gegen die Täter nicht erhoben. Weil das Gericht kein einziges Gewaltdelikt anklagte, erhielten die Opfer nicht die Möglichkeit, sich als Nebenkläger in das Verfahren einzuschalten. Sie können auch nicht gegen die Urteile in Berufung gehen. Als Ende No­vember das erste Urteil gegen einen 18jährigen Täter erging – er muss 600 Euro wegen Volksverhetzung zahlen –, erfuhren die Opfer davon aus den Medien.

»Ich benutze jetzt bewusst das böse Wort vom Po­grom«, resümierte der Richter in der Begründung des Urteils gegen den 23jährigen Frank D. am 4. Dezember. Dann verkündete er die Strafe: acht Monate Haft ohne Bewährung. Die Staatsan­waltschaft hatte lediglich eine Bewährungsstra­fe gefordert. Der Richter betonte aber, eine Haftstra­fe sei zur Abschreckung geboten. In Zeitungs­berich­ten wurde er dafür durchweg gelobt.

Das, was rassistische Übergriffe von »rassistischen Meinungsäußerungen« unterscheidet, hat die sächsische Justiz jedoch erfolgreich ausgeblendet. Marianne Thum von der Opferberatung RAA, die die Mügelner Opfer betreut, kritisiert, dass der Rich­ter am Amtsgericht Oschatz von einem »Po­grom« spreche, aber darunter offenbar vor allem eine Form der politischen Propaganda mit ein bisschen Sachbeschädigung verstehe und nicht etwa ein Gewaltverbrechen.

Fast wirkt es so, als habe das Gericht genau das Gegenstück zu jener Sichtweise einnehmen wollen, die zu Beginn der neunziger Jahre von vielen Gerichten im Umgang mit Übergriffen auf Auslän­der demonstriert worden war. Im Jahr 1992 erging im Bezirksgericht Potsdam ein Urteil wegen eines Vorfalls, welcher der Hetzjagd von Mügeln durchaus ähnelte. Etwa 50 Deutsche hatten am 2. Mai 1991 nach einem Streit vor einer Diskothek in Wittenberge das Wohnheim der an dem Streit beteiligten Namibier überfallen und dabei mehre­re Menschen schwer verletzt. Der zuständige Rich­ter wurde nach dem Prozess scharf kritisiert, weil er nicht von Rassismus hatte sprechen wollen.

»Ausländerfeindlichkeit« hatte nach seiner Auf­fassung als Motiv bei der »regelrechten Hetzjagd auf die Hausbewohner« nur eine »gewisse Rolle« gespielt. Schwerer wog für das Gericht damals die »grundsätzliche Gewaltbereitschaft der Angeklagten«. Drei der Tatbeteiligten wurden wegen besonders schweren Landfriedensbruchs, Beteili­gung an einer Schlägerei und schweren Hausfriedensbruchs zu dreieinhalb bzw. zweieinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt.

Die einen wollen keine »Ausländerfeindlichkeit« erkennen, die anderen keine Gewalttaten: In den Mügeln-Urteilen ist vor lauter Erforschung der rassistischen Motive von der physischen Brutalität keine Rede mehr. Stattdessen behandelte die sächsische Justiz den Fall als Propagandadelikt. Die Hetzjagd von Mügeln wird somit, den Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) wird es freuen, nicht einmal in die Gewaltstatistik von Sachsen eingehen.

Im benachbarten Sachsen-Anhalt kennt man im Umgang mit rechtsextremer Gewalt eine ähnlich kreative Strategie. Vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtages sagten in der vergangenen Woche drei ehemalige Staatsschützer aus, wie es zum Rückgang der offiziell registrierten Zahl rassistischer Gewalttaten im vergangenen Jahr gekommen sei. Der damalige stellvertretende Polizeipräsident von Dessau ha­be im Februar angesichts der dramatisch zunehmenden Fälle politisch motivierter Kriminalität gesagt, »dass man nicht alles sehen müsse«.

Was das lästige Thema der Gewalt angeht, so will die für Mügeln zuständige Staatsanwaltschaft erst im nächsten Jahr Anklagen erheben. Die Verfahren wegen Körperverletzung sollen sich allerdings ausschließlich auf die Streitereien auf dem Mügelner Stadtfest beschränken, mit denen die Hetzjagd in der Nacht zum 19. August begonnen hatte. So bahnt sich in Mügeln diese Lösung an: Die polizeilichen Ermittlungen wegen Körperverletzung, die derzeit noch nicht abgeschlossen sind, richten sich gegen vier Deutsche und vier Inder.