Sonst fliegt der Laden auseinander!

In der Diskussion um die Managergehälter zeigt sich die Klassengesellschaft neuen Typs: Die Macht beruht nicht mehr auf Eigentum, sondern auf der Verfügungsgewalt über Kapital. von rainer trampert

Die Debatte um die Managergehälter offenbart eine beachtliche Konfusion. Dass Guido Westerwelle (FDP) sie als »Neiddebatte von Neosozialisten« wahrnimmt, darf man als gewöhnlichen Verfolgungswahn eines Marktdarwinisten abtun. Doch dass er die Bundeskanzlerin meint, überrascht. Ist Angela Merkel neidisch auf den Vorstandsvorsitzenden von Porsche, Wendelin Wiedeking, der es auf 60 Millionen Euro im Jahr bringen soll? Nein, behauptet sie, es gehe gar nicht um eine Neiddebatte, sondern um alles! Zwar solle Leistung sich lohnen, aber zu hohe Managergehälter gefährdeten den Zusammenhalt, »und wenn das nicht mehr funktioniert, fliegt uns der ganze Laden auseinander, um das einmal ganz einfach zu sagen«. Der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sieht die Top-Manager bereits »in abgezäunten Arealen leben, weil die gesellschaftlichen Spannungen zu groß« werden. Ja, ist denn schon Revolution?

Wohl nicht, denn Vertreter des Proletariats springen den Managern zur Seite. Während Merkel das Zwanzigfache eines Durchschnittslohns hoch genug findet, verteidigt Uwe Hück aus dem Betriebsrat bei Porsche Wiedekings Bezüge, also das Tausendfünfhundertfache. Seine Kollegen von Daimler und BASF rechtfertigen den Zaster ihrer Manager als »moderat, gemessen an Bundesliga-Honoraren«, und der IG-Metall-Vorsitzende Bert­hold Huber meint: »Herr Löscher verdient bei Siemens weniger, als er in Amerika verdient hätte.« Aber er hat in »Amerika« nichts verdient. »Amerika« hat bis heute keinem deutschen Top-Manager einen Job angeboten. Man muss es so deutlich sagen: Selbst durch die Halbierung der Bezüge würden wir keinen Manager loswerden. Viele solcher Mythen umgeben das Thema Managergehälter.

Josef Ackermann sagt, Deutschland sei das einzige Land, »wo diejenigen, die Werte schaffen, deswegen vor Gericht stehen«. Ihnen geschieht aber nichts, um bei der Wahrheit zu bleiben, und Leute wie er schaffen keine Werte, sondern spekulieren nur mit ihnen. Dirk Niebel (FDP) behauptet: »Wenn Eigentümer der Meinung sind, ihre Manager sind viel Geld wert, dann müssen sie es auch bezahlen.« Wo haben Eigentümer heute noch das Sagen? Niebel und andere Freunde des ursprünglichen Kapitalismus scheinen die Klassengesellschaft neuen Typs nicht wahrzunehmen. Neben wenigen Familiendynastien wie Oetker, Aldi, Otto oder Schrauben-Würth bilden führende Staatspolitiker und Top-Manager der großen Aktiengesellschaften die herrschende Klasse, mit verschiedenen Aufgaben. Neu ist, dass ihre Macht nicht auf Besitz beruht, sondern auf der Verfügungsgewalt über Kapital. Darauf kommt es aber an.

Die Managerkaste schaltet und waltet in Vorständen und Aufsichtsräten weitgehend unter sich. Sie vergibt Posten, legt ihre Gehälter fest, repräsentiert auf Hauptversammlungen oft die dicksten Aktienpakete und entlarvt den Mythos, dass oben die Luft dünner und das Risiko größer würde. Kaum ein Unternehmer haftet noch mit seinem Privatvermögen, und für Spitzenmanager besteht nur das Risiko, von einem Vorstand in den nächsten zu wechseln. Im Durchschnitt passiert das alle vier Jahre. BMW-Boss Bernd Pischetsrieder setzte bei Rover fünf bis zehn Milliarden in den Sand, wurde danach VW-Chef und ist jetzt wieder frei verfügbar. Jürgen Schrempp vernichtete Milliarden und verließ Daimler mit Aktienoptionen, die auf 100 Millionen geschätzt werden. Die Freiheit, Fehlentscheidungen ungestraft treffen zu dürfen, ist von jeher den Mächtigen vorbehalten. Obwohl: Sie kratzt am Vorbild, weil sie mit dem Dogma, dass nur Leistung sich lohnen soll, bricht. Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten verdienen kaum Beachtung. Sie sind auf ihrem Weg nach oben zu irgendetwas zwischen Hofnarr und hoch dotiertem Sozial-manager für den Betriebsfrieden mutiert.

Der Job als Politiker ist beschwerlich. Die Massen ahnen, dass sie nicht der Souverän sind, und rächen sich für die Lüge am gewählten Personal. Es soll schlecht bezahlt werden und keinen Spaß haben. Einem Politiker haftet der Makel an, einer von uns sein zu können, und ihm wird die Schuld an allem in die Schuhe geschoben. Wegen des Glaubens an die Demokratie bekommen Spitzenpolitiker nur 250 000, Spitzenmanager dagegen durchschnittlich vier Millionen Euro im Jahr. Eine Ungerechtigkeit, wenn man bedenkt, dass Staatschefs dem deutschen Kapital die Welt bis China und Südamerika öffnen, Investitionen und Transportwege sichern und für die harmonische Reproduktion im Heimatland sorgen. Zum Ausgleich sitzt der Kanzler beim Opernball in der teuersten Loge, und er scheffelt nach seiner Amtszeit Millionen für die Beratung von Staats- und Konzernchefs bei der Durchdringung der Welt. Minderbegabte Politiker dürfen überflüssige, aber hoch dotierte Vorträge halten. Nur in besonderen Fällen stehen Politiker höher im Kurs als Wirtschaftsführer: Bismarck, weil er im Krieg die Deutsche Nation schmiedete, die Nationalsozialisten, weil sie Herren über Leben und Tod waren.

Bisher genossen Manager viel Respekt, denselben wie die technische Apparatur und die Logik des Gesamtbetriebs, den sie lenken. Doch ihre Aura entfaltet sich nur, solange sie sich verstecken. Man sieht ihnen an, dass sie sich brutal und manipulativ den Weg nach oben bahnen mussten. Die Managerkaste ist würdelos. Ohne ihren Marktpreis und ihre Befehlsgewalt sieht sie aus wie ihre Marke, so wie Hundehalter ihrem Hund immer ähnlicher werden. Der frühere Daimler-Chef Edzard Reuter schrieb über den Alltag in der Chef­etage. Sein ehemaliger Chef, Joachim Zahn, habe zunächst alle Anwesenden mit der »üblichen Flut von drastischen Beschimpfungen« traktiert und sich dann ihm, dem einzigen SPD-Mitglied, zugewandt: »Kennen Sie den schon? Ein Amerikaner, ein Russe und ein Deutscher prahlen um die Wette … Sagt der Amerikaner … , sagt der Russe … , sagt der Deutsche: Wir haben ein kleines Arschloch aus Norwegen geholt und zum Bundeskanzler gemacht.« Es gehörte zum guten Ton, resümiert Reuter, Nazi-Verfolgte wie Willy Brandt als »Arschlöcher« zu denunzieren. Wer nicht lachte, konnte seine Sachen packen.

Diese verrohte Managerkaste will nun raus aus ihrem Versteck, möchte im Luxus schwelgen wie weiland Könige und Barone, will nicht länger nur das Kapital anderer vermehren, sondern eigenes anhäufen, will echter Kapitalist sein. Sie feiert gleichzeitig die Regression zum Marktdarwinismus, die exorbitanten Profite sowie ihren eigenen Aufstieg zur herrschenden Klasse. In Siegeslaune verdoppelt sie ihre Bezüge, verhöhnt Gerichte und zeigt das Victory-Zeichen. Den Deutschen ist das fremd. Ihnen fehlt eine neue Märchenwelt, in der Managersöhne goldene Schuhe finden und mit Mädchen von der Supermarktkasse Hochzeit feiern. Nun rechnen sie in Umfragen mit Managern genauso ab wie mit Politikern. Nach Angaben des Meinungsforschungsunternehmens Forsa sprechen ihnen 88 Prozent das Misstrauen aus, und 75 Prozent glauben, dass Manager nicht die Ziele der Kunden und Mitarbeiter verfolgten, sondern ihre eigenen. Wer hat sich nur diese Frage ausgedacht?

Warum sollten die Herren über das Kapital nicht selber Kapitalisten werden wollen und feiern? In Deutschland soll partout niemandem auffallen, dass Kapitalismus und Klassengesellschaft ist, der Zeitpunkt für die öffentliche Zeremonie der Thronbesteigung ist nicht gut gewählt. »Unten« privatisiert man gerade die Lebensrisiken und rückt armen Menschen im wahrsten Sinne auf die Bude. »Das Die-da-oben-wir-hier-unten-Gefühl« (Stern) droht wieder aufzukeimen. Erschrocken über die miesen Umfragewerte, redete der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt seiner Zunft ins Gewissen. Sie solle auf »öffentliche Siegesfeiern« verzichten, sie seien »nicht förderlich«. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck, dem wie allen Politikern die Aufgabe zufällt, untere Schichten mit den Wirtschaftsführern zu versöhnen, warnt wie die Kanzlerin vor einem »Zerbrechen der Gesellschaft in unterschiedliche Welten«. Man möchte ihn rütteln und ihm zurufen: Wach auf, die Menschheit ist seit dem Jagen und Sammeln, spätestens aber seit der Getreidehortung in unterschiedliche Welten zerbrochen! Aber er weiß das ja.

Die SPD, die bisher alle Plagen aus Amerika kommen sah, darunter Heuschrecken und Shareholder-Values, wolle nun von einer Arbeitsgruppe prüfen lassen, was man dagegen tun könne, »dass miese Manager, die Unternehmen in den Sand gesetzt haben, mit Millionenabfindungen verabschiedet werden«, sagt Peter Struck. Diese Sichtweise entspricht dem darwinistischen Gesellschaftsbild, das Schwache und Verlierer stigmatisiert, während dem Starken die Beute zusteht. Wolfgang Schäuble (CDU) bringt ein »Vorstands-Vergütungs-Offenlegungs-Gesetz« ins Gespräch. Das findet der CDU-Politiker Günter Krings toll und sagt: »Sonnenlicht ist das beste Reinigungsmittel!« Schade nur, dass dieses Gesetz schon seit zwei Jahren in Kraft ist.

Es wird leider noch etwas dauern, bis die Klassengesellschaft überwunden ist. Bis dahin sollte jemand, der verdienen will wie in »Amerika«, auch mit amerikanischen Risiken leben. Als der Energiekonzern Enron ruiniert worden war, kam der Chef ins Gefängnis, und Vizechef J. Clifford Baxter wurde in seinem Daimler mit einem Kopfschuss tot aufgefunden. Der Wirtschaftsberater des Präsidenten sprach vom »Tribut des amerikanischen Kapitalismus«. Der Finanzminister winkte ab: »Firmen kommen und gehen.« Diese schöpferische Zerstörung, von der der Ökonom Joseph Schumpeter sprach, hilft auch nicht weiter, steigert aber meine Alltagsfreuden.