Tut gar nicht weh

Platte Buch von Markus Ströhlein

Der subkulturell sozialisierte Musikhörer hat seine argen Nöte mit dem Mainstream. Dort geht es nicht um die Musik, sondern um Ausverkauf und Kommerz. Das zumindest hat der Anhänger der Subkultur über Jahre hinweg verinnerlicht. Aber insgeheim stellen sich ihm beim Wort »Charts« die Nackenhaare auf, weil er längst weiß, dass im Mainstream häufig bessere Musik produziert wird als von den Durchschnitts­interpreten angestaubter Nischenkulturen. Und diese Erkenntnis tut weh.

Dabei kann es angenehm sein, sich musikalischen Massenerzeugnissen auszusetzen. Auf dem Cover ihres neuen Albums inszeniert sich Mary J. Blige als die »Grande Dame« des modernen Soul und R’n’B. Und tatsächlich singt sie auch so. Während Amy Winehouse oder Sharon Jones auf die Sechziger und Siebziger zurückgreifen, was die Instrumentierung und die Aufnahmetechnik angeht, klingt bei Mary J. Blige keine Nostalgie an. Die Bässe aus dem Synthesizer vibrieren tief, aber weich, die Beats sitzen immer an der richtigen Stelle, jedes Detail wurde hörbar so poliert, dass es dem Undergroundproduzenten aus dem Hinterhof die Sprache verschlagen dürfte. Die Geschichten von den unglücklich verliebten Jungs und Mädchen, die Mary J. Blige vorträgt, hat man natürlich schon das ein oder andere Mal gehört. Aber noch ehe der Kopf über sie nachdenkt, wackelt schon der Hintern. Am Ende merkt man: »Growing Pains« verursacht alles andere als Schmerzen.

Mary J. Blige: Growing Pains (Geffen/Universal)