Kriminelle in Bewegung

Der Bundesgerichtshof hat die Durchsuchungen vor dem Beginn des G8-Gipfels für rechtswidrig erklärt. Doch die gezielten Einschüchterungen lassen sich nicht rückgängig machen. kommentar von christoph villinger

Bekommen wir jetzt alle Schadenersatz? Das fragen sich seit wenigen Tagen der Berliner Buchladen Schwarze Risse, das Fotoarchiv Umbruch sowie die Rote Flora im Hamburg. Denn am Freitag voriger Woche veröffentlichte der 3. Straf­senat des Bundesgerichtshofs (BGH) seinen Beschluss zu einer Vielzahl von Beschwerden gegen die Durchsuchungsaktionen vor Beginn des G8-Gipfels in Heiligendamm. Alles sei rechtswidrig, entschied der BGH und hob die entsprechenden Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse auf.

Auf Betreiben der Bundesanwaltschaft (BAW) hatte im Mai 2007 das Bundeskriminalamt (BKA) die Wohnungen und Arbeitsstätten von 18 Personen durchsucht. Die BAW warf ihnen vor, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein und zwischen Juli 2005 und März 2007 12 Anschläge mit einem Gesamtschaden von etwa 2,6 Millionen Euro verübt zu haben. Als »Zentrum« dieser »terroristischen Vereinigung« machte die BAW die Autoren des seit Jahren legal erhältlichen Buches »Autonome in Bewegung« aus.

Nun stellte der BGH fest, dass die BAW gar nicht zuständig war. Denn die zwölf Anschläge seien nicht geeignet gewesen, »die Bundesrepublik Deutschland erheblich zu schädigen«. Es handle sich um »mittlere Kriminalität«, die allerdings »nachhaltig zu verfolgen und zu ahnden« sei. Der Paragraf 129 a sei hier nicht anzuwenden, gemäß der föderalen Struktur der BRD seien die Staatsanwaltschaften der Länder zuständig.

Doch der BGH geht in diesem Fall noch weiter. Anders als in dem vor wenigen Wochen veröffentlichten Beschluss zur Militanten Gruppe, in dem er diese von einer »terroristischen« zu einer »kriminellen Vereinigung« herabstufte, stellt der BGH auch die Ermittlungsergebnisse in Frage. So sei »nicht belegt, dass die zwölf Anschläge überhaupt von einer Organisation begangen worden sind«, Schwächen im Gebrauch von »ß« und »ss« in den Bekennerschreiben seien »allenfalls ein Indiz mit äußerst geringem Beweiswert«, und eine »konspirative Arbeitsweise« sei bei angeblichen Mitgliedern einer Vereinigung eben »typisches Verhalten«.

So gesehen verlangt der BGH von den Ermittlern des BKA einfach solides Handwerk und kein wildes Phantasieren. Im Ergebnis ordnen die in den vergangenen Monaten veröffentlichten Beschlüsse des BGH nur die Zuständigkeit der Strafverfolgung neu. Für die von Angehörigen der autonomen Bewegung verübten Anschläge sind in Zukunft die Staatsanwaltschaften der jeweiligen Bundesländer und damit die Landeskriminalämter zuständig. Dass diese weniger repressiv vorgehen, darf bezweifelt werden. Und einige Herren und Damen bei der BAW und dem BKA müssen sich nun dem lange genug vermiedenen Arabischkurs stellen.

Das BKA wird die bei den Durchsuchungen entstandenen Schäden an Türen und Schlössern aus der Portokasse zahlen. Doch die von den Sicherheitsorganen politisch gewollte Einschüchterung der Gegner des G-8-Gipfels von Heiligendamm ist erfolgt. Rückgängig machen kann man sie weder mit Geld noch mit guten Worten.