Der Strom bleibt sächsisch

In Leipzig wird ein neuer Versuch gemacht, die kommunalen Stadtwerke zum Teil zu privatisieren. Ein französisches Unternehmen möchte die Hälfte der Anteile erwerben. Ein Bürgerentscheid könnte das Vorhaben verhindern. von hannes delto

»Kommunale Unternehmen zu privatisieren, die der Vorsorge unserer Stadt dienen, heißt, dass sie den Bürgern für immer verloren gehen. Aber man sieht schon das Geld auf dem Tisch liegen«, klagt der Rentner Armin Drosel. Er war von 1985 bis 1995 als Generaldirektor in der Schicht bei den Leipziger Stadtwerken beschäftigt. Bereits im November 2006 hat der Stadtrat beschlossen, einen Teil der kommunalen Stadtwerke zu verkau­fen. Und das, obwohl Leipzig im Jahr 1998 schon einmal an einer Privatisierung gescheitert ist. Da­mals wurden 40 Prozent der Stadtwerke Leipzig an die Mitteldeutsche Energieversorgung Halle (Sachsen-Anhalt) veräußert. Wegen strategischer Differenzen hat die Stadt Leipzig die Anteile 2003 jedoch wieder zurückgekauft.

Burkhard Jung (SPD), der seit 2006 regierende Oberbürgermeister, will seinem langjährigen Amts­vorgänger, dem derzeitigen Bundesverkehrs­­minister Wolfgang Tiefensee (SPD), in nichts nachstehen und unternimmt erneut den Versuch, einen Teil der Stadtwerke an ein privates Unternehmen zu verkaufen, um die Haushaltslage der Stadt zu verbessern. Schließlich hat Leipzig nicht nur Schulden von über 900 Millionen Euro, sondern benötigt auch Investitionen. Für Kinder­tagesstätten fehlen beispielsweise rund 60 Mil­lio­nen Euro. »Allein 160 Millionen Euro wären zur Verfügung, die ich ganz gezielt in ein Programm für Kindertagesstätten, Schulen, Stadterneuerung und Straßensanierung einsetzen möchte«, erläutert Jung der Jungle World. Zudem sollen Schulden abgebaut werden, die teilweise im Jahr 2003 für den Rückkauf der Stadtwerke aufgenommen wurden. Denn insgesamt bietet das fran­zösische Unternehmen Gaz de France 520 Mil­lionen Euro für den Anteil von 49,9 Prozent an den Stadtwerken Leipzig.

Obwohl sich mehr als 20 Interessenten beworben hatten, waren der Stadtverwaltung zufolge lediglich vier Unternehmen am Bieterverfahren be­tei­ligt. Neben Gaz de France waren das der deutsche Konzern EnBW, das französische Unternehmen Veolia und der belgische Anbieter Electrabel. Gaz de France erhielt den Zuschlag. Im Tagesspiegel kündigte der Vorstandsvorsitzende des Konzerns, Jean-François Cirelli, daraufhin an, sich von Leipzig aus auf dem deutschen Markt etablieren zu wollen. »Die Stadtwerke Leipzig sind doch ein gefundenes Fressen und ein Filetstück mit ihrem jährlichen Gewinn von 54 Millionen Euro. Und im Gasgeschäft ist Gaz de France ein potenzieller Konkurrent ohne Bezug zur Region. Die wollen doch hier satte Gewinne mitnehmen, schließlich leben wir im Kapitalismus«, empört sich Drosel, der Generaldirektor in Rente.

»Wir müssen uns stärker in eine echte Liberalisierung des Energiemarktes hineinbegeben, was dafür spricht, es mit einem privaten Investor zu tun und es nicht weiter allein zu probieren«, sagt Jung. Erst im Jahr 2005 wurde Gaz de France privatisiert. Nachdem die Unternehmensvorstände von Gaz de France und Suez, beide mit Unternehmenssitz in Frankreich, im September 2007 einer Fusion zugestimmt haben, entsteht recht bald eines der größten europäischen Energieversorgungsunternehmen, an dem auch der französische Staat einen direkten Anteil von 34 bis 35 Pro­zent halten wird. Suez besitzt außerdem einen Anteil von 49,9 Prozent am Energiekonzern Electrabel, der voraussichtlich im Sommer dieses Jahres mit Gaz de France fusionieren wird. Der belgische Konzern war zwar beim Bieterverfahren um die Stadtwerke Leipzig ausgeschieden, wird so aber trotzdem in Leipzig vertreten sein.

Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass Privatisierungen die Kommunen stärker belasten als entlasten können. Hamburgs erster Bürgermeister, Ole von Beust (CDU), gestand im vergangenen Jahr, dass der Verkauf der Hamburgischen Elektrizitätswerke, die nun Vattenfall Europe Hamburg heißen, ein Fehler gewesen sei, da die Stadt keinen Einfluss mehr auf die Strompreise habe. Auch der Verkauf der Kasseler Stadtwerke ist »finanzwirtschaftlicher Unsinn«. Zu diesem Schluss kommt Heinz Josef Bontrup, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule Gelsenkirchen. Nach den Berech­nungen des Wirtschaftswissenschaftlers sei der Verkaufserlös zur Schuldentilgung viel zu gering.

Nicht nur die Leipziger Stadtratsfraktionen der Grünen und der Linkspartei sind gegen die Priva­tisierung kommunalen Eigentums. Bedenken gibt es auch innerhalb der SPD-Fraktion. Corne­lius Weiss, Landtagsabgeordneter und ehemaliger Fraktionsvorsitzender der sächsischen SPD, sagt der Jungle World: »Die Stadtwerke erwirtschaften im Durchschnitt eine Rendite von 5,5 Prozent, die Zinslast für Schulden liegt jedoch bei 4 bis 4,5 Prozent, sodass sich ein Teilverkauf der Stadt­werke überhaupt nicht lohnt. Zudem wird Energie zur wichtigsten strategischen Ressource der Welt, da sie immer knapper wird.«

»Die Menschen, die in den Stadtwerken arbeiten, fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Wir selbst haben das gesamte Ausmaß der Teilprivatisierung erst im Juli 2007 richtig erkannt und dann Unterschriften gesammelt gegen einen Verkauf«, sagt Drosel. Der 69jährige hat mit der Initiative Bürgerbegehren »Stoppt den Ausverkauf unserer Stadt« insgesamt 42 000 Unterschriften gesammelt. Es seien lediglich etwa 21 000 Stimmen notwendig gewesen, um einen Bürgerentscheid herbeizuführen. »Die Bürger wollen über so eine wichtige Frage selbst entscheiden, und das kann mit dem Bürger­ent­scheid endlich geschehen. Denn eine breite Diskussion gab es vorher nicht, weil der beabsichtigte Verkauf anfangs vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden sollte«, führt Mike Nagler, ein Mitglied der Bürgerinitia­tive, aus. Dabei geht es der Initiative keineswegs nur um die bevorstehende Teilprivatisierung der Stadtwerke Leipzig.

»Man darf sich keine Illusionen machen: Die Energiepreise werden mit einem privaten Partner auf jeden Fall steigen«, sagt Nagler. Langfristig verliere die Stadt jedes Jahr einen Teil des Gewinns der Stadtwerke. Dieser fehle dann zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr.

Am 27. Januar sollen die Bürger nun entscheiden, ob kommunale Unternehmen und Betriebe der Stadt Leipzig, die der Daseinsvorsorge dienen, weiterhin zu 100 Prozent in kommunalem Eigentum verbleiben sollen. Mindestens 25 Prozent der über 400 000 Wahlberechtigten müssen sich gegen den unmittelbar bevorstehenden Verkauf der Stadtwerke Leipzig und weitere Versuche der Privatisierung im kommunalen Bereich aussprechen, um das derzeitige Vorhaben vorerst zu verhindern. An den Bürgerentscheid müsste sich die Stadt Leipzig dann zumindest drei Jahre lang halten.