Gott anrufen

Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat die Religion als Ordnungsfaktor entdeckt und wirbt für einen »positiven Laizismus«. Von Bernhard Schmid

Hat der französische Präsident aufgehört, »in Sünde« zu leben? Das dürfte Auffassungssache sein. Tatsache ist, dass die französische Klatschpresse am Diens­tag voriger Woche meldete, Nicolas Sarkozy habe Carla Bruni »heimlich« geheiratet. Das Model war seit fünf Wochen offiziell seine neue Freundin, nachdem die Ehe mit Cécilia Sarkozy im Oktober geschieden worden war. Aus streng katholischer Sicht dürfte die Heirat mit Bruni nicht akzeptabel sein, denn es handelt sich um Nicolas Sarkozys dritte Ehe, und Scheidung sowie wiederholtes Heiraten sind im Katho­lizismus nach wie vor nicht vorgesehen. Aus Sicht weniger verbohrter, und dennoch in moralischer Hinsicht eher konservativer, Zeitgenossen dürfte der neue Eheschluss freilich dazu beitragen, seiner Lebenssituation einen legitimen Anstrich zu geben.

Bruni wird den französischen Präsidenten wohl künftig auch auf Auslandsreisen begleiten dürfen. Jüngst wurde ihr Aufenthalt, als persönliche Begleiterin Nicolas Sarkozys, sowohl in Saudi-Arabien als auch in Indien für unerwünscht erklärt: Establishment und Bevölkerung würden es aus religiösen Gründen für unschicklich halten, die beiden unverheiratet in einem gemeinsamen Hotelzimmer übernachten zu lassen. Da etwa der Islam das Recht auf Scheidung, vorwiegend das des Mannes, anerkennt, würde es in Saudi-Arabien nun vielleicht weniger Probleme geben. Sarkozy jedenfalls wurde dort in der vergangenen Woche freundlich aufgenommen. Vor allem seine Rede dürfte den wahhabitischen Sittenwächtern gut gefallen haben, auch wenn Sarkozy – was der saudischen Staatsdoktrin widerspricht – Christen- und Judentum auf eine Stufe mit dem Islam stellte. Aber dass er in seiner Rede ständig von »Gott« sprach, dürfte Wohlwollen hervorgerufen haben. Und mehr noch das, was Sarkozy inhaltlich zu sagen hatte: »Gott macht den Menschen nicht unfrei, sondern befreit ihn. Gott ist der Schutz gegen den unmäßigen Stolz und die Verrücktheit der Menschen. (…) Das religiöse Gefühl ist genauso wenig wegen des Fanatismus zu verurteilen, wie das Nationalgefühl es wegen des Nationalismus ist.« Und er fügte hinzu: »Ich habe die Pflicht, das Erbe einer langen Geschichte, einer Kultur und, ich wage das Wort zu benutzen, einer Zivilisation zu verteidigen. Und ich kenne kein Land, dessen Erbe, dessen Kultur, dessen Zivilisation nicht religiöse Wurzeln hätten.« Um mit folgendem Aufruf fortzufahren: »Es ist nicht an der Zeit, dass die Religionen sich untereinander bekämpfen, sondern Zeit dafür, dass sie gegen den Niedergang der moralischen und spirituellen Werte kämpfen, gegen den Materialismus, gegen die Exzesse des Individualismus.«

Schon zuvor, und auch als die außereheliche Liaison Sarkozys noch nicht durch das »Sakrament der Ehe« die nötigen Weihen erhalten hatte, hatte sich auch das Zentrum der katholischen Strenggläubigkeit nicht davon abhalten lassen, Sarkozy einen warmherzigen Empfang zu bereiten. Seine Verbindung mit der italienischstämmigen Carla Bruni wollte man dort nicht kommentieren, als sich Sarkozy vier Tage vor Weihnachten in Rom und insbesondere im Vatikan aufhielt. Nachdem er sogar die Kühnheit besessen hatte, zwar nicht die Auserwählte selbst, wohl aber deren Mutter zur Audienz beim Papst mitzunehmen, hüllte man sich seitens der Geistlichkeit in vornehmes Schweigen. »Wir kennen die Dame nicht«, kommentierte ein Kardinal gegenüber der Pariser Abendzeitung Le Monde, die süffisant bemerkte, der Mann habe bei diesen Worten direkt neben Signora Bruni gestanden.

Wichtiger war aus Sicht des Vatikan, dass das französische Staatsoberhaupt als geeignetes Medium für die »richtige« Botschaft erschien. Und da lässt man selbst unter Gläubigen auch mal Fünfe gerade sein, wie dereinst zu den Glanz­zeiten des guten alten Ablasshandels. Am Vortag des Vatikan-Aufenthalts von Nicolas Sarkozy titelte Le Monde in dieser Hinsicht: »Benedikt XVI. setzt auf Nicolas Sarkozy, um in Europa die Werte der Kirche zu verteidigen«. Eine gute alte Bündnisstrategie eben. Und der Papst sollte nicht enttäuscht werden: Nicolas Sarkozy würde bei seinem Auftritt in der römischen Lateranbasilika eine Rede hinlegen, die sich gewaschen hatte. Sie ließ bei den französischen Befürwortern einer Trennung zwischen Religion und Staat schlimme Befürchtungen wach werden und rief heftige Kritik hervor. Doch die Rede stand zugleich in einer geraden Linie mit früheren Äußerungen Sarkozys, die der damalige Minister – am intensivsten im Herbst 2004 – getätigt hatte. (Jungle World 50/2004)

»Die Laizität«, also die Trennung zwischen Religion und Staat, »im Weihwasserkessel der Lateranbasilika ertränkt« sieht etwa der französische Lehrergewerkschaftsbund FSU. Dessen wichtigste Mitgliedsgewerkschaft, der Verband der Lehrer an Oberschulen (SNES), wandte sich in der zweiten Januarwoche in einem offenen Brief an Präsident Sarkozy, um sich über dessen Angriffe auf den laizistischen Charakter der französischen Republik zu beschweren. Zugleich kün­digte die Gewerkschaft an, »alle nötigen Kontakte im Bereich von Gewerkschaften, Vereinen und Politik zu ergreifen, um ein breites Bündnis zur Verteidigung des Laizismus« zu bilden. Anlass dafür war die Rede, die Sarkozy am 20. Dezember in der Lateranbasilika in Rom gehalten hatte und die in Frankreich von einer starken Medieninszenierung begleitet wurde. Die Aufmerksamkeit ist inzwischen abgeebbt, da die Medien sich inzwischen längst mehr für Sarkozys Liebes­leben interessieren. Die Befürchtungen der Kritiker haben keineswegs abgenommen.

Die Lateranbasilika ist die Kirche in Rom, in der der Papst persönlich sein Bischofsamt ausübt. Im Jahr 1593 hatte sich der damalige französische König Heinrich IV. vom Protestantismus zum Katholizismus bekehrt – daher der berühm­te Ausspruch: »Paris ist eine Messe wert« – und im selben Atemzug der Basilika in Rom das Benediktinerkloster von Clairac in Südfrankreich mitsamt größeren Ländereien vermacht. Zum Dank ernannte daraufhin der Stift der bereits im 4. Jahrhundert erbauten christlichen Kirche Heinrich IV. zum »ersten und einzigen Ehrenstiftsherren«. Seitdem dürfen seine Nachfolger an der Spitze des französischen Staats, trotz Umbruchs von der Monarchie zur Republik, dieses Amt antreten und symbolträchtig auf einem Pferd in die Basilika einreiten.

Nicht alle Präsidenten der laizistischen französischen Republik nahmen das Amt wirklich entgegen. Bei Nicolas Sarkozy wird alles anders. Er wollte anscheinend zum Helden der Kardinäle werden. Auch wenn der hypernervöse und hektische Präsident es mit dem Protokoll nicht so genau nahm und noch während der Begrüßungsformalitäten zwischen seiner Delegation und dem Papst einfach mal am Handy telefonierte und dem Papst die ihn begleitenden Journalisten mit lockeren Sprüchen vorstellte – wo die Tradition eher Gesten der Zurückhaltung vorsieht.

Sarkozy: »Und hier sehen Sie die Journalisten, die mich begleiten. Sie sind nicht immer nett zu mir.« Ein Journalist zum Papst: »Aber zu Ihnen immer, Exzellenz!« Sarkozy: »So ungerecht sind die!«

Auch wenn er, neben den beiden ihn begleitenden Intellektuellen – seinem Redenschreiber Henri Guaino und einem Autor von Büchern über »große Männer« und schwülstig-patriotischen Historienschinken, Max Gallo –, auch einen populistischen Komiker und Klamauk­macher mit Namen Jean-Marie Bigard in seiner Delegation dabei hatte –, auf solche Kleinigkeiten kam es dem Vatikan nicht an, denn die wirkliche inhaltliche Bedeutung seines Auftritts lag woanders.

Schon lange wurden die Kleriker im Vatikan von der französischen Republik nicht mehr derart hofiert. Und noch nie nahm ein französisches Staatsoberhaupt einen Besuch in Rom zum Anlass, um so offen Grundkonzeptionen des seit 1905 offiziell im Lande herrschenden Laizismus infrage zu stellen. Sarkozys in den Jahren 2003/04 erprobtes politisches Spiel mit den Repräsentanten des Islam in Frankreich, das ihm dazu diente, sich auf die »besonderen Schutzbedürfnisse einer Minderheitsreligion« zu berufen, um eine Lockerung der Spielregeln des Laizismus und eine Erleichterung staatlicher Subventionen für Kultusbauten zu fordern, ist vorüber. Im Wahlkampf des vergangenen Jahrs hat der konservative Kandidat Sarkozy vielmehr den barbarischen Islam – metaphorisch dargestellt durch »Schafe, die in der Badewanne geschlachtet werden« – als Gefahr für das Abendland beschworen und zugleich den verstorbenen Papst Johannes Paul II. als eine der größten historischen Figuren dargestellt. Nunmehr hat Nicolas Sarkozy sich ganz auf das Christentum als gesellschaftlichen »Ordnungsfaktor« eingeschworen. Auch im Vatikan versteht man sich auf Realpolitik. »Wir empfangen nicht einen Politiker als Privatmenschen, sondern Frankreich«, erklärte man dazu an der römischen Kurie.

In seiner inzwischen berühmt gewordenen Ansprache bemühte sich Nicolas Sarkozy um eine Definition eines »positiven Laizismusverständnisses«. Dieses soll zwar formal die in Frankreich gesetzlich festgeschriebene Trennung von Kirche und Staat nicht aufbrechen. Wohl aber lässt Präsident Sarkozy durch die von ihm vorgenommene Umdeutung des Laizisimus- und Staatsverständnisses in dieses einfließen, dass »die Republik Menschen, die glauben und (darum) hoffen, benötigt«, um die Grundlagen einer gesellschaftlich verbindlichen Moral definieren zu können. Ansonsten drohten nämlich ethnische Anarchie und »Nihilismus«, folglich gerate eine Gesellschaft an die Abgründe von Verrohung und Verbrechen. Allein die Gläubigen aller Richtungen könnten solche moralischen Grundlagen vorgeben und darum allen von Nutzen sein.

Sarkozy schickt beruhigend voraus: »Jene, die nicht glauben, müssen vor allen Formen von Intoleranz und Bekehrungseifer geschützt werden. Aber ein Mann, der glaubt, ist ein Mann, der hofft und zuversichtlich ist. Und das Interesse der Republik liegt darin, dass möglichst viele Männer und Frauen hoffen und zuversichtlich sind.« Damit nahm der französische Staatschef explizit eine Hierarchisierung zwischen Bürgern mit unterschiedlicher Welt­anschauung vor. Seit den Tagen des autoritären, katholisch-militaristischen Vichy-Regimes hat es dies offiziell nicht gegeben.

Sarkozy warnte vor den Gefahren, die von einem »ermüdenden« Laizismus und dem auf seinem Nährboden gedeihenden, religionsfeindlichen »Fanatismus« ausgingen. Und er fügte hinzu: »Meine Anwesenheit unter Ihnen heute abend zeugt von der Treue Frankreichs zu seiner Geschichte und einer der hauptsächlichen Quellen seiner Zivilisation«, nämlich dem Christentum. »Der christliche Glaube hat die französische Gesellschaft, seine Kultur, seine Landschaften zutiefst geprägt. Die Wurzeln Frankreichs sind im Wesentlichen christlich. (…) Die Wurzel auszureißen, bedeutet, den Kitt der nationalen Identität zu schwächen und die gesellschaftlichen Beziehungen noch weiter auszutrocknen, die sowohl Symbole als auch ein Gedächtnis benötigen.«

Alles in allem ein Diskurs, den die Anhänger der traditionellen Konterrevolution nicht ablehnen würden. Aber präsentiert im Gewand einer äußerst coolen Modernität, die auf Konventionen keine Rücksichten nimmt und mit Handy beim Papst aufläuft.