Das Thema, das kein Thema ist

Einen handfesten innerparteilichen Streit über das Thema race konnte die Demokratische Partei gerade noch vermeiden. Aber unabhängig davon, ob letztlich Clinton oder Obama im November gegen die Republikaner antreten wird, ein rassistischer Subtext wird die Wahlen begleiten. von william hiscott

In den kalten Januartagen nach den ersten Vorwahlen in Iowa und New Hampshire leisteten sich die Verantwortlichen der Clinton-Kampagne einen schweren Patzer: Um die von Barack Obama pathetisch verkündete Vorstellung, er sei der »Kandidat der Hoffnung«, zu konterkarieren, merkte Hillary Clinton trocken an, dass Hoffnung nicht alles sei. Vielmehr solle man eine erfahrene Politikerin wählen, die »vom Tag Eins an« durchgreifend regieren könne. Bis dahin handelte es sich um eine gewöhnliche politische Auseinandersetzung. Irgendwann im Hin und Her der Debatte aber wurde Martin Luther King erwähnt. Daraufhin sagte Clinton, dass es für die Realisierung des von King ausgesprochenen Traums eines würdevollen Lebens für die Unterdrückten in Amerika letztlich doch eines durchsetzungsfähigen Präsidenten wie Lyndon Johnson bedurft habe.

Damit lag sie zwar nicht falsch, da der Demokrat Johnson in der legislativen Phase der Bürgerrechtsbewegung 1964/1965 sein ganzes politisches Kapital aufs Spiel gesetzt hatte, um die Senatoren seiner eigenen Partei aus den Südstaaten dazu zu bringen, nicht mehr länger am rassistischen System der Segregation festzuhalten. Doch auf der anderen Seite ließ sich einwerfen, dass Clinton damit eine codierte rassistische Botschaft in die Welt setzte. Sie wolle damit sagen, so interpretierte das beispielsweise Debra Dickerson in der linken US-Zeitschrift Mother Jones: »Es war schön, dass ihr Neger marschiert seid, aber es bedurfte der Weißen, um etwas zu erreichen.« Sprich: Wähle mich, und die Macht bleibt bei uns Weißen.

Es war nicht das erste Mal, dass die Clintons eine rassistisch codierte Sprache während eines Wahlkampfs benutzten. Während der Vorwahlen 1992 suchte und fand Bill Clinton die Unterstützung der schwarzen Wähler in den Südstaaten und später in den urbanen Zentren des Nordostens, darunter auch die von prominenten Bürgerrechtlern wie Jesse Jackson. Als es dann im Präsidentschafts­wahlkampf gegen den amtierenden Präsidenten George Bush ging, kritisierte Bill Clinton in einer Rede vor Jacksons Rainbow Coalition die umstrittene schwarze Rapperin Sister Souljah, die Verständnis für die Riots in Los Angeles geäußert hatte, indem er sie mit einem Ku-Klux-Klan-Mitglied verglich. Offenbar wollte Bill Clinton damals den weißen Wählern seine Unabhängigkeit vom schwarzen politischen Establishment zeigen. Die Äußerung wurde jedoch als Affront gegen Schwarze gewertet. Ebenso wie in der darauf folgenden heißen Debatte im Jahr 1992 wurde auch die Auseinandersetzung um Hi­llarys »Sister-Souljah-Moment« Mitte Januar von den Parteioberen schnellstmöglich unterdrückt. Pünktlich zum Martin Luther King Day waren sich Clinton, Obama und der dritte Mitbewerber bei den Demokraten, der ehemalige Senator John Edwards, darin einig, dass race jedenfalls bei den Vorwahlen kein Thema mehr sein werde.

Es ist unklar, ob die Kandidaten sich daran halten werden. An sich wäre eine innerparteiliche Debatte dazu dringend nötig, denn der Rassismus bleibt Alltag in den USA. Jedes innenpolitische Wahlkampf­thema der Demokraten – sei es die Bekämpfung der Armut, die Einführung einer umfassenden Gesundheitsvorsorge, die Krise in der Schulbildung, die harte Strafgesetzgebung, der gescheiterte war on drugs – hat einen rassistischen Subtext, der dringend gesellschaftlich thematisiert werden müsste. Eine Ironie des Wahlkampfs bislang ist, dass Edwards, also der weiße Südstaatler im Rennen, der einzige Kandidat ist, der diesen Subtext offen anspricht.

Man könnte es schlicht als parteipolitisches Kalkül abtun, dass das Thema race in den Vorwahlen nicht behandelt werden soll. Um im November den Sieg gegen den republikanischen Kandidaten davonzutragen, brauchen die Demokraten sowohl einen Großteil der afroamerikanischen als auch die Mehrheit der weißen Wähler in den so genannten battleground states, vor allem in Ohio und Florida. Die offene Thematisierung dieses Subtextes bei John Edwards zeigt, dass er an die Bereitschaft der Weißen glaubt, im November für die Interessen der schwarzen Minderheit zu votieren, ohne Angst zu haben, damit gegen die eigenen Interessen zu handeln. Die Planer der Obama- und Clinton-Kampagnen zeigen sich allerdings skeptischer und schweigen lieber zu dem ganzen Themenkomplex. Die Erfahrung zeigt, dass immer noch zu viele weiße Wähler vor zu vielen »schwarzen« Themen im Wahlkampf zurückschrecken und bei der Wahl schließ­lich entweder zu Hause bleiben oder dann doch die Republikaner wählen.

Bis auf zwei entscheidende Momente in der Geschichte der Partei Thomas Jeffersons hat sie auf innerparteilichen Streit zum Thema race stets in derselben Weise reagiert: Augen zu und durch. Das erste Mal, als die Debatte 1861 in der Partei eskalierte, endete die Auseinandersetzung mit dem Verlust des Präsidentenamts an eine neue Partei – die Republikaner – und einem vierjährigen Bürgerkrieg. Das zweite Mal war 1964/1965, als Präsident Johnson die Civil-Rights-Gesetze durchdrückte. Danach merkte der Texaner Johnson an, dass damit die Demokraten »die Südstaaten für die nächste Generation verloren« hätten. Johnson sollte Recht behalten, allerdings: Die Civil-Rights-Ära ist nun bereits zwei Generationen her, aber die Republikaner – als die Partei des »laissez-faire racism« (Lawrence Bobo) nach 1964 – gewinnen den Süden immer noch. Genau deswegen gibt es überhaupt battleground states wie Ohio oder Florida. Denn der, der den Süden nicht auf seiner Seite hat, muss irgendwo anders auf Teufel komm raus gewinnen, egal wie latent rassistisch die dortigen weißen Wähler sein mögen.

Selbstverständlich werden die Republikaner dies zu ihrem Vorteil nutzen, denn sie wissen auch, dass der Ausgang der Wahl im November – wie der Ausgang jeder Wahl seit der Civil-Rights-Ära – am Erfolg ihrer kaum schlagbaren southern strategy hängt. Auf die Mehrheit im Wahlmännergremium zielend, richtet sich der Fokus dieser Strategie darauf, genügend Siege in den Südstaaten und den großen Flächenstaaten im Bibelgürtel zu erzielen, so dass die Wahlmänner der bevölkerungsstarken Nordost- und Westküstenstaaten überstimmt werden, egal wie stark diese für die Demokraten votieren oder wie knapp die Siege für die Republikaner ausfallen werden. Insbesondere da sich in demographischer Hinsicht die southern strategy auch auf die Stimmen konservativer weißer Männer stützt, gelten Hillary Clinton als Frau und Barack Obama als Afroamerikaner sogar als perfekte Zielscheiben für den im christlich-konservativen Milieu der USA virulenten Sexismus und Rassismus.

So sehr sich die legendären Wahlkampfstrategen der Republikaner wie Karl Rove darüber freuen, identitätspolitische Ressentiments schüren zu dürfen, so hoch ist auch das Risiko. Denn wenn die Demokraten am Ende gewinnen sollten, wäre erstmalig bewiesen, dass der Erfolg der Südstaatenstrategie verhindert werden kann. So gesehen wäre ein Scheitern ihrer Strategie für die Konservativen doppelt ärgerlich, wenn der Afroamerikaner Obama gewinnen sollte und nicht Clinton. Doch unabhängig davon, ob letztlich Obama oder Clinton im November antritt, wird die Frage, ob der Rassismus noch eine Rolle im US-Präsidentschaftswahlkampf spielen wird, nicht von den Demokraten, sondern erneut von den Republikanern beantwortet werden. Daher geht die plakative Frage, die insbesondere in der deutschen Presse gestellt wird, ob die US-Bevölkerung »bereit« für einen »schwarzen Präsidenten« sei, an der politischen Realität vorbei. Denn viel grundlegender geht es wie jedes Mal um die Frage, ob die weiße US-Bevölkerung bereit ist, die derzeit rassistischere Partei im Zwei-Parteien-Wettstreit diesmal nicht zu wählen.