It’s the economy, stupid!

Die Finanzkrise hat die Wirtschafts- und Sozialpolitik ins Zentrum des Wahlkampfs gerückt. Kein Kandidat kann mehr auf ein Konjunkturprogramm verzichten. von lutz getzschmann

Die Angst vor dem wirtschaftlichen Abschwung hat mehr und mehr Auswirkungen auf den Vorwahlkampf sowohl der Republikaner als auch der Demokraten in den USA. War noch vor einem halben Jahr allenthalben erwartet worden, dass der Krieg im Irak die größte Rolle im US-Wahlkampf spielen würde, verlagert sich der Schwerpunkt zunehmend. Der Kampf um die republikanischen Delegiertenstimmen im von der Krise der Automobilindustrie beeinträchtigten Michigan könnte fast so etwas wie ein symbolträchtiger Auftakt für das gewesen sein, was in den nächsten Monaten zu erwarten ist. Denn hier konnten die Kandidaten nicht mit ihren Veteranenabzeichen Sympathie gewinnen oder damit, wiedergeborene Christen zu sein, gefragt waren vielmehr wirtschaftspolitische Programme.

Dieser Trend setzt sich fort. Die jüngsten hektischen Maßnahmen, wie etwa die Senkungen der Leitzinsen durch die US-Notenbank und das von Präsident George W. Bush vorgeschlagene Konjunkturprogramm stießen auf ein geteiltes Echo. Dieses Programm sieht Steuerrückzahlungen für mehr als 100 Millionen US-Haushalte vor. Damit sollen der Konsum der verschuldeten Mittelklasse wieder angekurbelt und Investitionsanreize für Unternehmen geschaffen werden. Zwar stimm­ten die Demokraten der Verabschiedung der Maßnahmen zu, um angesichts der Krise nicht als untätig dazustehen. Jedoch war hinter den Kulissen hart über Verbesserungen des Programms verhandelt worden, das zunächst vor allem eine Senkung der Einkommenssteuer vorgesehen und damit die vielen Millionen Arbeiterhaus­halte ignoriert hätte, deren Einkommen so gering ist, dass sie gar keine Einkommenssteuer bezahlen. Nach dem nun erzielten Kompromiss sollen sie einmalig einen Scheck in Höhe von mindestens 300 Dollar erhalten. Ledige mit einem Einkommen bis 75 000 Dollar im Jahr können auf 600 Dollar, Ehepaare mit Bezügen bis 150 000 Dollar auf 1 200 Dollar hoffen. Zusätzlich soll es für jedes Kind 300 Dollar geben.

Die Präsidentschaftskandidaten nutzten das Thema, um sich mit Vorschlägen zur Konjunktur­belebung und Reform des Steuersystems zu profilieren. Wenig Anklang scheint vor allem das radikale Steuerprogramm des evangelikalen Kandidaten Mike Huckabee zu finden, der die Abschaffung aller Steuern und ihre Ersetzung durch eine einheitliche, fair tax genannte Mehrwertsteuer fordert. Ansonsten funktionieren bei den Republikanern noch immer die üblichen Reflexe. John McCain schlug eine Senkung der Unternehmenssteuern von 35 auf 20 Prozent vor, um die US-Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen. Ähnlich äußerte sich auch der frühere Bürgermeister von New York, Rudy Giuliani. Der Sieger von Michigan, Mitt Romney, schlug vor, Familien mit einem Jahreseinkommen bis 200 000 Dollar von Steuern auf Kapital- und Zins­erträge sowie Dividenden zu befreien.

Noch bemühter um wirtschaftliche Kompetenz waren die Demokraten, deren letzte Vorwahlen in Bundesstaaten stattfanden, die von der Konjunkturschwäche und der Immobilienkrise besonders hart betroffen sind: Nevada und South Carolina. Hillary Clinton schlug Mitte Januar ein gut 70 Milliarden Dollar schweres »Notfallprogramm« vor. 30 Milliarden davon sollen als Zuschüsse an die Bundesstaaten sowie Städte und Kommunen fließen und ihnen helfen, die Folgen der Immobilienkrise zu mildern und Zwangsversteigerungen abzuwenden. Weitere 25 Milliarden sollen dazu verwendet werden, Familien mit geringem Einkommen bei der Bezahlung der gestiegenen Heizkosten zu helfen. Zehn Milliarden Dollar will Clinton für eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ausgeben. Zudem forderte sie den Kongress auf, im Falle einer weiteren Verschlechterung der Wirtschaftslage zusätzlich Steuersenkungen für Geringverdiener und die Mittelschicht in Höhe von 40 Mil­liarden Dollar zu verabschieden.

Kurz darauf stellte auch Barack Obama ein Konjunkturprogramm vor. Dieses hat je nach Konjunkturentwicklung ein Volumen von 75 bis 120 Milliarden Dollar, von denen zehn Milliarden für in Schwierigkeiten geratene Hausbesitzer vorgesehen sind. Unter anderem sieht der Plan sofortige Steuerbegünstigungen für Arbeiter vor. Der Vorschlag beinhaltet außerdem, dass 150 Millionen Beschäftigte für die ersten 8 100 Dollar ihres Einkommens einen Steuernachlass von 250 Dollar erhalten. Die Bundesstaaten, die unter einem Rückgang der Steuereinnahmen zu leiden haben, sollen unterstützt werden. Schließlich plant Obama, die Arbeitslosenversicherung zu verbessern.

Der ewige Dritte bei den demokratischen Vorwahlen schließlich, John Edwards, hat einen Vorschlag zur Schaffung von Arbeitsplätzen vorgelegt, der die Regierung zunächst 25 Milliarden Dollar kosten würde. Sollte sich die Wahrscheinlichkeit einer Rezession erhöhen, wären weitere 75 Milliarden Dollar vorgesehen. Der Demokrat plant Investitionen in eine Infrastruktur zur sauberen Energiegewinnung, außerdem soll die Regierung den Bundesstaaten bei der Unterstützung von in Schwierigkeit geratenen Familien helfen. Und schließlich soll die Regierung die Arbeitslosenversicherung reformieren und die Wohnungskrise bekämpfen.

Am Ende ist dies aber alles leeres Gerede, das lediglich zeigen soll, dass die Kandidaten über wirtschaftspolitischen Sachverstand verfügen. Dabei offenbaren sie eher einen sehr begrenzten politischen Horizont, der über Almosenzahlungen und Lebensmittelbeihilfen bei den Demokraten und Steuerentlastungen für die Unternehmen bei den Republikanern kaum hinausgeht.

Das jetzt gemeinsam von beiden Parteien auf den Weg gebrachte Konjunkturprogramm hat einen Umfang von 145 Milliarden Dollar und ist damit erheblich beträchtlicher als die Summe der Steuernachlässe von 38 Milliarden, die die Bush-Regierung zur Bekämpfung der vorigen Rezession 2001 bis 2003 gewährt hatte. Wobei diese Zahl verdeckt, dass die gewaltigen Aufrüstungsprogramme und Kriegsvorbereitungsmaßnahmen dieser Zeit die Wirkung eines groß angelegten Beschäftigungsprogramms hatten. Solche Möglichkeiten hat die US-Regierung derzeit nicht mehr. Der militärisch-industrielle Komplex ist nicht mehr weiter aufzublähen, wenn gleichzeitig die Verschuldung nicht unbeträchtlicher Bevölkerungsteile zunimmt und neben dem Immobilienmarkt auch ganze Produktionszweige der herkömmlichen Industrie stark krisenhafte Tendenzen zeigen.

Niemand weiß wirklich, wie dramatisch sich die Lage für die US-Bevölkerung in den nächsten Monaten entwickeln wird. Die Kreditkartengesellschaft American Express rechnet für das vierte Quartal 2007 mit mehr als 440 Millionen Dollar Ausfall, weil Kunden ihre Kreditkartenschulden nicht mehr bezahlen können. Gute 937 Milliarden Dollar an Kreditkartenschulden haben die US-Amerikaner bereits angehäuft. Und für jene, die nicht zu der von allen Seiten beschworenen Mittelklasse gehören, haben die vorgeschlagenen Krisenprogramme kaum eine Bedeutung. Diese Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung bleibt größtenteils seit langem schon den Wahlen fern. Für beide großen Parteien war sie bisher allenfalls Manövriermasse, jedoch kaum ein ernsthaft angesprochenes Wählersegment. Lieber vertraut man in den Wahlkampfzentralen auf den immer illusorischer werdenden Wunsch der Massen, zur immer weiter schrumpfenden Mittelklasse zu gehören.

Womöglich wird vor allem Obama demnächst stärker sein soziales Engagement betonen. Er wird es wohl schon allein deshalb tun müssen, um beim Super Tuesday am 5. Februar nicht in die Nische der chancenlosen afroamerikanischen Bürgerrechtskandidaten abgedrängt zu werden.