Gegen LSD und DSL

Die Musikindustrie will Hippies und High-Tech-Firmen bekämpfen. Doch hinter den Kulissen hat der radikale Rückbau längst begonnen.

Abbie Hoffman sei schuld am Niedergang der Musikindustrie, glaubt Paul McGuinness. Der Manager der Band U2 hielt vorige Woche auf der Musikindustrie-Messe Midem in Cannes eine Brandrede zur Rettung der Branche und erklärte, Hoffman habe mit seinem Machwerk »Steal this book« den Grundstein für die Entwertung geistigen Eigentums gelegt. »Ich glaube, er hat sich für einiges zu rechtfertigen«, meint McGuinness.

Klar, Hoffman hätte es nie im Alleingang geschafft, eine ganze Branche zu ruinieren. Geholfen haben ihm dabei seine Freunde von den Yippies, die in den Sechzigern den Aufstand probten und heute in den Chefetagen des Silicon Valley sitzen, glaubt McGuinness. »Die meisten von ihnen stammen aus der so genannten Gegenkultur der Westküste«, dozierte er in Cannes. »Sie haben Multi-Milliar­den-Industrien mit unseren Inhalten aufgebaut, ohne dafür zu zahlen.«

Doch damit soll jetzt Schluss sein – jedenfalls, wenn es nach dem Willen des U2-Managers geht. Seine Forderungen sehen so aus: Hippie-Firmen wie Apple, Google, AOL und Nokia sollen die Musik­industrie an ihren Profiten teilhaben lassen. Internet-Anbieter sollen zudem mit massiven Filtern gegen die Nutzung von Tauschbörsen vorgehen. McGuinness’ Hippie-Verschwörungstheorie klingt exzentrisch, doch mit seinen Forderungen steht er nicht alleine da.

Der internationale Dachverband der Musik­industrie (IFPI) verlangte vor zwei Wochen, dass Provider den Dateientausch in ihren Netzwerken beenden. Der ehemalige Viva-Chef und jetzige Vorsitzende des Deutschen Phonoverbands, Dieter Gorny, sagte: »Die Internet-Zugangsanbieter können nicht einerseits von den Inhalten anderer profitieren und sich gleichzeitig beim Schutz der Urheberrechte der Verantwortung entziehen.«

Diese frontale Attacke auf Internet-Provider ist nicht zuletzt auch ein Ausdruck wachsender Hilflosigkeit. Über Jahre versuchte die Musikindus­trie, Tauschbörsen mit Klagen gegen ihre Anbieter zu bekämpfen. Doch auf Napster folgte Kazaa, auf Grokster Bittorrent, und selbst P2P-Tauschbörsen wie Limewire werden trotz bevorstehender Gerichtsverfahren fröhlich weiterbetrieben. Die Bran­che begann deshalb massive Klagekampagnen gegen P2P-Nutzer. Allein in Deutschland wurden im letzten Jahr schätzungsweise mehr als 20 000 Musiktauscher verklagt.

Der erhoffte Abschreckungseffekt stellte sich jedoch nicht ein. Die Leipziger Firma für Netzwerkanalyse, Ipoque, berichtete im November, dass rund 70 Prozent des deutschen Datenverkehrs im Internet nach wie vor von Tauschbörsennutzern verursacht wird. Wer Angst davor hat, erwischt zu werden, weicht stattdessen auf die Nutz­ung von Web-Hostern wie Rapidshare oder Mega­upload aus. Auch unlizenzierte russische Download-Plattformen erfreuen sich weiter großer Beliebtheit, obwohl die Musikindustrie seit Jahren für die Schließung von Firmen wie Allofmp3.com kämpft.

Der legale Download-Markt ist im Vergleich zu diesen ungeliebten Piratenplattformen immer noch ein Randphänomen. Zwar feiern iTunes und andere zweistellige Zuwachsraten, doch den starken Rückgang der CD-Verkäufe können sie damit bei weitem nicht verhindern. So wurden im vergangenen Jahr in den USA 19 Prozent weniger CDs als im Vorjahr verkauft. In Frankreich lag der Rückgang bei 17 Prozent, für Deutschland werden kaum bessere Werte erwartet. 1999 wurden in den USA noch 933 Millionen CDs in den Handel ausgeliefert. Im vorigen Jahr waren es nur noch 449 Millionen.

Fans von Tauschbörsen und Vertreter der Musikindustrie streiten gerne leidenschaftlich darüber, welche Auswirkungen der illegale Tausch auf die Ver­kaufs­zahlen hat. Beide Seiten haben ihre Studien und Statistiken, um die jeweils eigene Sicht der Dinge zu bestätigen. Für Musiker und Mitarbeiter von Plattenfirmen sind derartige Auseinandersetzungen jedoch irrelevant. Warum sollte man auch noch lange über die Rolle der Henne streiten, wenn das Ei eh längst kaputt ist?

Wie ernst es wirklich um die Branche steht, zeigte nicht zuletzt der Bankrott der US-Einzelhandelskette Tower Records Ende 2006. Die Firma war mit rund 90 Plattenläden in den USA über Jahrzehnte hinweg der größte Musikverkäufer. Für zahllose Indie-Bands war Tower die einzige Chance, jemals ihre Titel in den Regalen im ganzen Land zu sehen. Die Schließung der Kette macht sich mittlerweile drastisch bemerkbar. So berichtet der Besitzer eines Indie-Labels in Los Angeles, dass er vom letzten Album eines seiner etablierten Acts in den ganzen USA weniger als 200 Exemplare verkauft hat. Beschweren kann sich der Labelchef, der lieber anonym bleiben möchte, jedoch nicht. Hollywoods Studios haben ihm einen hohen fünfstelligen Betrag dafür geboten, einzelne Songs der CD als Filmmusik verwenden zu dürfen.

Das Geschäft mit den Tonträgern ist tot. Diese Botschaft ist mittlerweile auch bei EMI angekommen. Der Musikkonzern befindet sich spätestens seit seiner Übernahme durch eine Investmentfirma im vergangenen Mai in einer radikalen Umstrukturierung. Vor zwei Wochen kündigte EMI an, mit 2 000 Entlassungen mehr als ein Drittel seiner Mitarbeiter vor die Tür zu setzen. Gleichzeitig will man sich von zahllosen Bands trennen, die sich für die Firma nicht mehr rechnen. Verschont von der Radikalkur bleibt einzig der Musikverlag, der die Rechte an den Kompositionen von Künstlern wie Coldplay und The Verve hält und dank wachsender Lizenzeinnahmen der einzig profitable Zweig des Konzerns ist. Video­games, Klingeltöne und Filmmusik für Hollywood gelten als die wahren Geldbringer, der mühselige Verkauf von CDs drückt dagegen nur noch auf die Quartalsbilanz.

Es dürfte kein Zufall sein, dass EMI auch führend beim Abschied von digitalen Kopierschutzmechanismen gewesen ist. Der Konzern erklärte sich als erster bereit, den Inhalt seines Katalogs über iTunes und Amazon im ungeschützten MP3-Format zum Download anzubieten. Der überfällige Schritt sichert EMI größere Einnahmen aus digitalen Downloads und sorgt gleichzeitig dafür, dass sich die Firma früher als geplant aus dem althergebrachten Geschäft verabschieden kann. MP3s bei Amazon ersetzen eben nicht in erster Linie Downloads aus Tauschbörsen, sondern die neben den MP3s angepriesenen, zumeist jedoch teureren CDs.

Wie ernst EMI die Transformation von der Plattenfirma zum Lizenzhandelsunternehmen für Musik meint, zeigt schließlich auch die Tatsache, dass die Firma bereits darüber nachdenkt, ihre Mitgliedschaften bei den Branchenverbänden IFPI und RIAA zu kündigen. Ganz so weit ist man bei der Konkurrenz noch nicht. Zwar haben auch Universal, Warner und Sony BMG sich mitt­lerweile murrend vom Kopierschutz losgesagt. Doch am lieb gewonnenen Musikgeschäft will man weiter festhalten. Dazu gehören auch die Klagen gegen Tauschbörsenbetreiber und Musiktauscher. So sorgte die Branche dafür, dass schwedische Staatsanwälte in der vergangenen Woche ein Verfahren gegen die Betreiber der Bittorrent-Website The Pirate Bay eröffneten. Ihre Plattform soll dabei geholfen haben, das Urheberrecht zu verletzen. Auf ihrem Blog haben die Betreiber allerdings angekündigt, dass The Pirate Bay auch im Fall ihrer Verurteilung online bleibt: »Uns wird es noch viele Jahre geben«, so Pirate-Bay-Mitbegründer Peter Sunde. In Dänemark hat ein Gericht allerdings in dieser Woche einen Internetprovider dazu verurteilt, den Zugang zu Pirate Bay zu blockieren.

Gute Nachrichten gibt es für Tauschbörsennutzer. Der europäische Gerichtshof entschied vergangene Woche, dass Internetanbieter nicht dazu verpflichtet sind, Auskünfte über die Identität mutmaßlicher Musiktauscher an Plattenfirmen zu geben. Datenschutzrechte gelten auch für P2P-Nutzer, befanden die Richter, die sich damit auf die Seite des spanischen Internet­anbieters Telefonica stellten. Das Unternehmen hatte sich zuvor geweigert, mit dem lokalen Musikindustrieverband Promusicae zu kooperieren. Die Internet-Hippies sind eben einfach überall.

Vom Autor erschien das Buch »Mix, Burn & RIP. Das Ende der Musikindustrie«. Er bloggt unter www.p2p-blog.com.