Bomben bauen und Affen füttern

Um die Stabilität Pakistans nicht zu gefährden, wird Musharraf vom Westen unterstützt. Doch unter der Herrschaft der Oligarchie droht dem Land ein langsamer Zerfall. von jörn schulz

Der Bombenbastler ist ein Tierfreund. »Ich füttere die Affen«, antwortete Abdul Qadeer Khan, der ehemalige Leiter des pakistanischen Atomrüs­tungs­programms, auf die Frage nach seinen Freizeitbeschäftigungen. Einige Jahre lang musste er auf dieses Hobby verzichten. Nachdem bekannt geworden war, dass er nukleares Material und Know-how an Nordkorea, Libyen und den Iran weitergegeben hatte, wurde Qadeer im Februar 2004 unter Hausarrest gestellt, die Affen im Margalla-Park Islamabads mussten ohne seine Erdnüsse auskommen.

Im Juli vergangenen Jahres wurde der Hausarrest gelockert, Qadeer durfte fortan Besuch empfangen und unter Bewachung reisen. Doch selbst diese milden Beschränkungen erscheinen manchen Pakistanis als schändliche Behandlung eines großen Mannes. »Jemand musste ein Opfer im Interesse der Nation bringen, und Qadeer hat dieses Opfer gebracht«, sagte in der vergangenen Woche Mushahid Hussain, Generalsekretär der Pakistanischen Muslim-Liga Quaid, die Präsident Pervez Musharraf unterstützt. Sollte seine Partei die Wahlen am 18. Februar gewinnen, werde sie nicht nur sämtliche Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit aufheben, sondern auch den Status Qadeers wiederherstellen.

Diese Ankündigung stieß ebensowenig auf internationale Kritik wie zuvor die überaus schonen­de Behandlung Qadeers. Die US-Regierung verzichtete auf eine Auslieferung und sogar auf Vernehmungen durch amerikanische Beamte. »Wir haben grundsätzlich Präsident Musharrafs Argument akzeptiert, dass wir keinen Zugang zu A.Q. Khan haben können, weil dies seine Regierung weiter destabilisieren würde«, sagt Jon Wolfsthal vom Center for Strategic and International Studies in Washington.

Die offizielle Version, Qadeer habe ganze Flugzeugladungen nuklearen Materials ohne Wissen des pakistanischen Militärs außer Landes gebracht, glaubte niemand. Doch die US-Regierung wollte ihren Verbündeten im »War on Terror« schonen, ebenso wie die Staaten der EU, die zudem Enthüllungen über die Zulieferung europäischer Firmen wie Urenco für das pakistanische Atomprogramm und seine Lizenznehmer fürchteten. So blieben viele Fragen offen. Dem pakistanischen Journalisten Shahid ur-Rehman zufolge, der Qadeer häufig interviewte, gab es noch ein viertes Abnehmerland, das er jedoch nicht zu nennen wagt. Es sei keineswegs sicher, dass Qadeers Exportnetzwerk zerschlagen wurde, meint Christine Fair vom Think Tank Rand Corporation: »Wir können den Pakistanis in dieser Hinsicht nicht vertrauen.« Möglicherweise haben auch Islamisten vom pakistanischen Atomprogramm profitiert. Zu den führenden Mitarbeitern Qadeers gehörte der Islamist Sultan Bashiruddin Mahmood, der eine Hilfsorganisation für die Taliban leitete und das Buch »Mechanics of the Doomsday and Life After Death« schrieb. Der pakistanischen Wochenzeitung Friday Times zufolge standen Qadeer und Mahmood in Briefkontakt mit der islamistischen Terrororganisation Lashkar e-Toiba.

Glücklicherweise fehlen al-Qaida und anderen jihadistischen Gruppen die technischen und finan­ziellen Ressourcen für ein Nuklearprogramm, denkbar wäre allenfalls Hilfe bei der Entwicklung einer »schmutzigen Bombe«, die radioaktives Material mit konventionellem Sprengstoff verteilt. Ihre eigenen Atomsprengköpfe werden die pakistanischen Generäle sicherlich sorgsam hüten, und soweit ersichtlich sind die Islamisten im Staatsapparat derzeit zu schwach und zu zerstritten, um einen Putsch wagen zu können. Dennoch könnte die zurückhaltende Reaktion auf das pakistanische Atomprogramm und andere Eskapaden der pakistanischen Oligarchie verheerende Folgen haben.

Die Generäle und ihre zivilen Verbündeten zu hofieren, trägt nicht zur erhofften Stabilisierung bei. Vielmehr stärkt diese Politik eine Oligarchie, die weder willens noch in der Lage ist, die für eine Modernisierungspolitik elementaren Reformen durchzusetzen. Im laufenden Haushaltsjahr sind für den Gesundheitssektor umgerechnet knapp 60 Millionen Euro vorgesehen, nicht einmal 30 Cent pro Kopf der Bevölkerung. Die Bildung ist Musharraf 265 Millionen Euro wert, selbst nach offiziellen Angaben liegt die Alphabetisierungsrate kaum über 50 Prozent.

Es sind nicht allein die hohen Rüstungsausgaben, nach offiziellen Angaben drei Milliarden Euro, die höhere Investitionen in den Sozial- und Bildungssektor verhindern. Die gesellschaftliche Modernisierung wird bewusst blockiert. Die derzeit als Hoffnungsträger der Demokratie gefeierte Pakistan Peoples Party (PPP) wird vom Bhutto-Clan und anderen halbfeudalen Großgrundbesitzern dominiert, die kein Interesse daran haben, dass die Bauern Lesen und Schreiben lernen. Kaum anders ist die Haltung der städtischen Bour­geoisie, für Unternehmer vor allem in der Textil- und Bauwirtschaft ist die Kinderarbeit unentbehrlich.

Angesichts dieser Zustände ist es eher erstaunlich, dass die Islamisten so wenig Erfolg haben, obwohl ihre Sozialdienste und Koranschulen von vielen Millionen Pakistanis genutzt werden. Doch nicht zu Unrecht gelten insbesondere die etablierten Organisationen, vor allem die Jamaat-e-Islami, als Teil der Oligarchie, seit sie unter dem Militärregime Zia ul-Haqs (1977 bis 1988) mitregierten. Die meisten Pakistanis folgen lieber den reak­tionären, aber nicht jihadistischen islamischen Bruderschaften.

Eine Ausnahme sind die North West Frontier Province (NWFP) und die Federal Administered Tribal Areas (Fata), die am schwächsten entwickelten Gebiete des Landes an der Grenze zu Afghanistan. In den Fata liegt die Alphabetisierungsrate bei sechs Prozent. Die Regierung hat es nicht nur versäumt, daran etwas zu ändern. Als 1996 erstmals Wahlen in dieser Region geplant wurden, durften Parteien nicht antreten, eine Entscheidung, die Clanführer und islamistische Geistliche stärkte. Zu verantworten hat sie die damalige Premierministerin Benazir Bhutto, unter deren Führung zu dieser Zeit auch die Taliban in Afghanistan unterstützt wurden.

Seit Jahrzehnten benutzt die pakistanische Oli­gar­chie islamistische Gruppen, um innen- und außen­politische Ziele zu erreichen. So konnten die Islamisten den Staatsapparat infiltrieren und in der NWFP gemeinsam mit den Clanführern die Macht an sich reißen. Als Musharraf dann nach den Anschlägen vom 11. September 2001 versuchte, die Jihadisten zurückzudrängen, war es zu spät. Seit knapp vier Jahren operiert das pakistanische Militär in dieser Region, doch trotz des Einsatzes der Luftwaffe hat die Regierung die Kontrolle weitgehend verloren.

Derzeit gelte in der NWFP ein informeller Waffenstillstand, berichtet Ismail Khan von der Tageszeitung Dawn. »Weil die Armee ihre Operationen fast eingestellt hat, entschied der Rat der Taliban, die Aktivitäten im ganzen Land für eine unbefristete Periode einzustellen«, sagte am Donnerstag vergangener Woche Maulvi Umar, der Sprecher Baitullah Mehsuds, eines aufsteigenden Führers der Taliban, der derzeit für die meisten Anschläge in Pakistan verantwortlich gemacht wird. Innenminister Hamid Nawaz kündigte die Einberufung einer Jirga (Ratsversammlung) »für den Dialog mit den Militanten« an. Um Anschläge während der Wahlen zu verhindern, ist die Regierung offenbar zu Kompromissen bereit.

In seiner Autobiografie »In the Line of Fire« bekennt Musharraf offen, dass nicht das Entsetzen über den islamistischen Terror in Afghanistan und New York, sondern allein die Drohungen der US-Regierung ihn zur Teilnahme am »War on Terror« bewogen. Die meisten der unter Zia ul-Haqq eingeführten Regelungen der Sharia gelten noch immer. Dass Musharrafs Politik der »aufgeklärten Mäßigung«, die einen reaktionären Staats­islam gegen die Islamisten propagierte, gescheitert ist, wurde spätestens bei den Auseinandersetzungen um die Rote Moschee in Islamabad (Jungle World, 28/07) deutlich. Zunächst wurde der Tugendterror geduldet, dann folgte der rücksichtslose Einsatz militärischer Gewalt.

So lässt sich freilich auch die westliche Strategie im Umgang mit den Jihadisten zusammenfassen. Musharrafs halbherziges Vorgehen wurde solange akzeptiert, bis die Krise des Landes und die Isolation des Militärherrschers die Befürchtung aufkommen ließen, die Regierung könne völlig die Kontrolle verlieren. Die Alternative zur Militärherrschaft sollte dann eine Koalition Musharrafs mit Benazir Bhutto sein. Eine Zusammenarbeit zwischen dem Atomdealer Musharraf und der Patin der Taliban hätte Pakistan der Demokratie nicht näher gebracht. Nach der Ermordung Benazir Bhuttos ist offen, welche Personen und Koalitionen das Land nach den Wahlen regieren werden. Sicher ist jedoch, dass es weiterhin Repräsentanten der korrupten und inkompetenten zivilen Oligarchie sein werden, während das Offizierskorps in allen wichtigen Angelegenheiten das letzte Wort haben wird.

Pakistan droht derzeit weniger eine islamistische Machtübernahme als ein langsamer Zerfall von Staat und Gesellschaft, der es den Jihadisten erlaubt, ihre Bastionen im Westen des Landes auszubauen. Immerhin regt sich auch in der NWFP Widerstand gegen die Islamisten, die ihre Hegemonie mit aller Gewalt verteidigen. Am Samstag tötete ein Selbstmordattentäter 20 Menschen, die an einer Kundgebung der linken Awami National Party teilnahmen. Bereits im Dezember wurde Abdullah Qureshi ermordet, ein Abgeordneter der trotzkistischen Labour Party Pakistan, der sich um die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiter in den Kleinbetrieben des Swat-Tales bemühte.

Dass Juristen und Studenten in zahlreichen Aktionen gegen autoritäre Maßnahmen protestier­ten, zeigt, dass die Mittelschicht sich gegen die Oligarchie zu wenden beginnt. Bei dem Aufstand Ende Dezember nach der Ermordung Bhuttos wurden zahlreiche Banken, Privatautos und auch Busse der Transportunternehmen angezündet, die dem Militär oder seinen Günstlingen gehören. Ein politisch unartikulierter Protest, dessen Zielrichtung dennoch deutlich war. Noch allerdings sind die Kräfte, die sich jenseits der oligarchischen Politik organisieren, zu schwach, um einen Regime Change zu erkämpfen.