Eine Stadt findet ihre Nazis

Überraschung! In Ludwigshafen und Umgebung gibt es eine rechtsextreme Szene. Weil die Ermittler Brandstiftung bei dem Feuer, bei dem an Fastnacht neun Türkinnen und Türken starben, noch nicht ausschließen können, wird auch über die ansässigen Neonazis geredet. von thorsten weber

Wird das rheinland-pfälzische Ludwigshafen künf­tig mit Solingen und Mölln in einem Atemzug genannt? Die Ursache für den Brand in einem Wohn­haus, bei dem am vorletzten Sonntag neun Menschen starben und 60 verletzt wurden, ist nach wie vor ungeklärt. Das Feuer war gleich nach dem Ludwigshafener Fastnachtsumzug ausgebrochen; man konnte ihn vom Haus aus be­obachten, weshalb viele Besucher zugegen waren.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) erklärte, noch bevor die Ermittlungen aufgenommen wurden, dass »keine Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Anschlag« vorlägen. Doch wer Ludwigshafen kennt, bei dem führen Nachrichten über brennende Wohnhäuser und tote und verletzte Migrantinnen und Migranten zu erhöhter Wachsamkeit.

Auch wer den Brandanschlag von drei Ludwigshafener Neonazis auf ein Asylbewerberheim im Stadtteil Oppau im Jahr 2000 schon vergessen hat, dem bleiben die zahlreichen rassistischen und faschistischen Schmierereien und Aufkleber im Stadtbild nur verborgen, wenn er die Augen fest verschließt.

Erst im vergangenen Dezember kam es zu zwei Übergriffen auf farbige Ludwigshafener. Obwohl bei einem der Vorfälle sogar einer der Täter die Hautfarbe seines aus Eritrea stammenden Opfers als Motiv angab, konnte Staatsanwalt Lothar Liebig keinen politischen Hintergrund erkennen. Im Juli vorigen Jahres wurde ein Türke von Neonazis krankenhausreif geschlagen. Im benachbarten Mannheim überfielen drei rechte Skinheads im Dezember einen dunkelhäutigen Mann, im nahe gelegenen Weinheim attackierte Anfang Januar eine Gruppe vermummter und bewaffneter Neonazis vermeintlich »kommunistische« Jugend­liche. Im Anschluss an NPD-Wahlkampfveranstal­tungen in der Vorderpfalz kam es im vorigen Jahr ebenfalls zu Übergriffen auf vermeintlich linke Jugendliche.

In den beiden vergangenen Jahrzehnten ereigneten sich außerdem etwa 15 Brände an türkischen oder als alternativ geltenden Einrichtungen in Ludwigshafen, die die Polizei nie aufklärte. In einigen Fällen stellte sie Brandstiftung als Ursache fest; in anderen kam sie zu keinem eindeutigen Schluss. Auch die türkische Gaststätte im soeben abgebrannten Haus hatten Unbekannte im vorigen Jahr mit Molotow-Cocktails anzuzünden versucht. Die Täter wurden nicht gefasst.

Das Gebäude hat eine besondere Geschichte: Bis 1992 beherbergte es die Kneipe »Crazy Corner«, die den Neonazis der Region als Treffpunkt diente. Nachdem das Haus an einen Türken verkauft wurde, mussten die Rechtsextremen es verlassen. Noch lange nach dem Auszug des »Cra­zy Corner« bedrohten Neonazis regelmäßig die Hausbewohner. Diese berichteten, sie seien auch in jüngster Zeit immer wieder telefonisch oder persönlich bedroht worden – Spiegel online zufolge zuletzt unmittelbar vor dem Feuer.

Die Verwunderung, mit der deutsche Medien in den Tagen nach dem Wohnhausbrand auf die rechten Umtriebe in Ludwigshafen reagierten, zeugt von der Unkenntnis der lokalen Begebenheiten. Die am Haus selbst und in der Nähe angebrachten Naziparolen und Hakenkreuze unterscheiden sich nicht von denen im restlichen Stadtbild und dienen somit kaum als Hinweis auf potenzielle Täter. Latente Drohungen gewalttätiger Neonazis gibt es in ganz Ludwigshafen.

Keine 100 Meter vom zerstörten Gebäude entfernt, am Danziger Platz, wohnen Matthias Hermann, 29jähriger Kader des offen nationalsozialis­tischen Netzwerks »Aktionsbüro Rhein-Neckar«, und seine ebenfalls in der Szene aktive Freundin. Ihre Anwesenheit könnte eine Erklärung für die, inzwischen auch von den zahlreichen angereisten Pressevertretern bemerkte, überdurchschnittlich große Zahl rechtsextremer Aufkleber in der Gegend sein. Anwohner berichten, die Stadt lasse sie angesichts des medialen Interesses derzeit entfernen.

Der Ludwigshafener Sozialdezernent Wolfgang van Vliet (SPD) sprach in der Frankfurter Rund­schau lediglich von fünf bis zehn Nazis, die es in der Stadt gebe. Tatsächlich verfügt das »Aktionsbüro Rhein-Neckar« über enge Kontakte zur NPD und zur militanten Neonazigruppe »Kameradschaft Kurpfalz«, die in der Vergangenheit zu spontanen Propagandaaktionen sowie versuchten Angriffen auf linke Informationsveranstaltungen und alternative Konzerte 20 bis 30 Helfer ver­samm­eln konnte. Zu Demonstrationen in der Stadt kamen immer wieder mehr als 100 Rechts­ex­treme zusammen. Das »Aktionsbüro Rhein-Neckar« sorgte auch dafür, dass Neonazis aus der Region an Demonstrationen in anderen Städten der Republik oder im Ausland teilnahmen.

Die Gegend um Ludwigshafen und das benachbarte Mannheim gilt als westdeutsche Hochburg der rechten Szene. Dazu trägt die Existenz zweier so genannter nationaler Zentren (Schulungs- und Veranstaltungsorte der NPD und des »Aktionsbüro Rhein-Neckar«) in den vorderpfälzischen Dör­fern Kirchheim und Altleiningen bei.

Dass die Republikaner bei den letzten Kommunal­wahlen mit 8,8 Prozent der Stimmen als drittstärkste Kraft in den Ludwigshafener Gemeinderat einzogen, sagt einiges über das gesellschaft­liche Klima aus. Es erklärt auch die große Skepsis antifaschistischer Gruppen gegenüber der Aussage Kurt Becks, dass es keine Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Anschlag gebe.

Das Misstrauen verstärkte sich noch, als zwei türkische Mädchen aussagten, sie hätten unmittel­bar vor dem Brand einen deutschen Mann im Treppenhaus gesehen; beide gelten jedoch als trau­matisiert. Der leitende Staatsanwalt Lothar Liebig wollte eine Woche nach dem Brand noch keine mögliche Ursache ausschließen, obwohl er in der Vergangenheit mit Unschuldsvermutungen bei rechten Übergriffen schnell bei der Hand war.

Spekulationen um einen kurdischen Anschlag entbehren offenbar einer Grundlage, insbesondere weil ausschließlich Angehörige der alevitischen Minderheit das Haus bewohnten. Der darin befindliche Kulturverein galt als unpolitisch, daher weist auch nichts auf türkische Nationalisten als potenzielle Brandstifter hin.

Eine Brandstiftung aus rassistischen Motiven würde Ludwigshafen als Hochburg rechter Gewalt international bekannt machen. Diese Ur­sache lässt sich bislang ebensowenig ausschließen wie ein durch unsachgemäß verlegte Stromkabel verursachtes Feuer. Dass der Brandherd im Keller des Hauses gewesen sein soll und bisher keine Hinweise auf Brandbeschleuniger gefunden wurden, könnten Hinweise auf einen technischen Defekt sein. In diesem Fall dürfte das momentane Interesse an der rechtsextremen Szene der Stadt schnell wieder abflauen.