Sieg an der Westfront

Mit dem Einzug in die Landtage von Hessen und Niedersachsen haben in der Linkspartei vor allem die keynesianischen und nationalbolschewistischen Strömungen um Oskar Lafontaine an Einfluss gewonnen. Weitere Erfolge im Westen könnten eine Richtungsentscheidung für die Partei bedeuten. von ivo bozic
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Alles redet vom vermeintlichen Linksruck, von »Linksruck« aber redet kaum jemand. Dabei feiert die trotzkistische und antizionistische Splittergruppe, die sich im vergangenen Jahr aufgelöst hat, um möglichst wirkungsvoll in der Partei »Die Linke« mitzumischen, fröhlich Erfolge. Im Studentenverband »SDS. Die Linke« spielt sie eine wichtige Rolle, und mit dem im September gegründeten Netzwerk »marx21« hat sie eine eigene Unter­organisation für ihre Leute in der Linkspartei geschaffen. Mit dem Bundesvorstandsmitglied der Linken, Janine Wissler, zieht in Hessen auch eine frühere Linksruck-Aktivistin in den Landtag ein.

Von der 26jährigen Trotzkistin abgesehen, handelt es sich bei der künftigen hessischen Linksfraktion jedoch eher um gestandene westdeutsche Altlinke, fünf der sechs Abgeordneten sind über 50 Jahre alt. Unter ihnen ist der bekannte langjährige Friedensaktivist und künftige Fraktionsvorsitzende Willi van Ooyen, der es quasi direkt vom Ostermarsch in den Landtag geschafft hat.

Die von der CDU im Wahlkampf geschmähten »Kommunisten« sind in der künftigen hessischen Linksfraktion jedoch nur schwer auszumachen. In den achtziger Jahren war van Ooyen Geschäftsführer der von der DDR finanzierten Deutschen Friedens-Union und Barbara Cárdenas Mitglied der DKP. Alles in allem wirkt die hessische Fraktion im Vergleich zu dem, was sonst so in der westdeutschen Linkspartei herumgeistert, recht harmlos. Mit dem Unternehmensberater Ulrich Wilken hat »Die Linke« sogar jemanden ins Parlament geholt, der in einem Fragebogen die Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali als Person aufführt, die seinen Respekt verdient. Eine Meinung, die unter echten Kommunisten, aber auch in der Linkspartei nicht eben mehrheitsfähig sein dürfte.

Der künftige Abgeordnete und Verdi-Gewerkschaftssekretär Hermann Schaus war 20 Jahre lang Mitglied der SPD. Dass er bei der Landtagswahl für die Linkspartei angetreten ist, hat etwas Absurdes und etwas Symptomatisches zugleich. Grund für seinen Austritt aus der SPD im Jahr 1993 war nämlich die Änderung des Asylrechts und die unrühmliche Rolle, die die SPD dabei gespielt hatte. Dass er sich heute für »Die Linke« engagiert, die nun ausgerechnet von jenem Mann mit angeführt wird, der damals in der SPD für diese Asylrechtsänderung Stimmung machte, Oskar Lafontaine, zeigt, wie unwichtig »kapitalistische Nebenwidersprüche« wie Rassismus in der Linken geworden sind, in einer Zeit, in der sich alles nur noch um soziale Gerechtigkeit und vielleicht noch um Antikriegspolitik dreht. Das gilt übrigens nicht nur für die Linkspartei, sondern für einen Großteil der linken Bewegung.

Ausdruck dieser Tendenz in der Partei sind vor allem die altbewährte orthodox-marxistische Kom­munistische Plattform, das linksradikale klassenkämpferische Bündnis »Antikapitalistische Linke« und vor allem die der Wasg entwachsene keynesianische und nationalstaatsfixierte Strömung »Sozialistische Linke« (SL). Sie sind die Sammelbecken der antiemanzipatorischen Kräfte in der Linkspartei und bilden zusammen, vereinfacht ausgedrückt, den Lafontaine-Flügel. Die SL ist ein anerkannter Zusammenschluss innerhalb der Partei, der berechtigt ist, Delegierte zu Parteitagen zu entsenden. Linksruck hatte seine Mitglieder aufgefordert, sich in der SL zu organisieren.

Auch der niedersächsische Landesvorsitzende Diether Dehm ist dort Mitglied. Dehm, der als europapolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag derzeit versucht, seine Partei auf einen nationalen Anti-Europa-Kurs zu trimmen, fühlt sich durch die Wahlergebnisse im Westen mächtig gestärkt. Die Landtagsfraktion, die er in Nieder­sachsen geschmiedet hat, entspricht denn auch mehr noch als die hessische seinem national-antiimperialistischen Weltbild. Unter den elf künftigen Abgeordneten finden sich zwei mit DKP-Vergangenheit und ein aktiver DKP-Kader. Christel Wegner ist seit 40 Jahren bei den Kommunisten organisiert und deren Landesvorsitzende in Niedersachsen. Ihr Landtagsmandat wurde von der DKP begeistert gefeiert.

Politisch entscheidend aber sind nicht Mitgliedschaften, sondern Standpunkte. Zum Glück, so muss man sagen, geht es im Landtag nicht um Außenpolitik. Hans-Henning Adler, ein Getreuer Diether Dehms, forderte 2006 in einer Rede anlässlich eines Ostermarschs indirekt dazu auf, Israel für seine Besatzungspolitik mit Sanktionen zu belegen (»Warum ist immer nur von Sanktionen gegen Hamas die Rede … ?«), während er Sank­tionen gegen den Iran selbstverständlich ablehnt. Der jüngste Abgeordnete, Victor Perli, ist Sprecher des Chávez-treuen Bündnisses »Venezuela avanza«.

Auch der ehemalige DKP-Kader Manfred Sohn ist ein antiimperialistischer Theoretiker und widmet sich im Gegenzug, wie sein Spezi Dehm, leidenschaftlich der nationalen Frage. Diether Dehm zitierte ihn in einem Artikel mit diesen geradezu lyrischen Zeilen: »Die ersten Klänge, die der werdende Mensch – noch im Leib seiner Mutter – hört, werden ihn bis zum Tode als Muttersprache begleiten. Die ersten Eindrücke von unserem Globus, die Art der Bäume, die Länge der Tage, die Weite oder Enge des Blicks prägen den heranwachsenden Menschen ebenso bis ans Lebensende, in welche Landstriche ihn immer die wütenden Kämpfe unserer Tage auch treiben mögen. Dort ist seine Heimat, und je mehr sie ihm gestohlen, geraubt, entfremdet wird, desto mehr entsteht entweder eine Leere in der Seele oder die Sehnsucht nach dem Verlorenen.«

Insgesamt ist der nationalbolschewistische Flügel um Lafontaine, Dehm und Sahra Wagenknecht, der mit seinem Weltbild nach dem Motto »Wir hier unten gegen die da oben« perfekt zum aktuellen Zeitgeist passt, mit den Erfolgen im Westen enorm gestärkt worden. Das sehen die Ostrealos in der Partei mit Sorge. Sie müssen befürchten, dass auf dem anstehenden Bundesparteitag im Mai, bei dem ein neuer Parteivorstand gewählt werden soll, die Lafontaine-Anhänger vermehrt Ansprüche stellen und Erfolge erringen könnten. Bisher spekulierten die Reformer um Lothar Bisky, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow wohl darauf, Oskar Lafontaine bis zur Bundestagswahl 2009 relativ freie Hand zu lassen, weil nur er mit seinem Populismus die Stimmen zu holen vermag, die die Partei im Westen braucht. Danach jedoch wollte man die Dominanz des ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Bundesfinanzministers wieder zurückdrängen. Es stellt sich die Frage, wie das jetzt noch gelingen soll. Selbst wenn sich Lafontaine nach 2009 wieder zurückziehen sollte, wird er die Partei bis dahin dauerhaft geprägt haben.

Dass derzeit vor allem aus konservativen Kreisen mit dem Argument vor der erstarkten Linkspartei gewarnt wird, es handele sich immer noch um die alte SED, deren Kader zum großen Teil aus dem DDR-Apparat stammten, ist grotesk und zeigt, wie wenig diese Partei im Westen verstanden wird. Völlig zu Recht weist Lafontaine regelmäßig darauf hin, dass nicht er, sondern die amtierende Bundeskanzlerin von der CDU ein Pionier­hemd getragen habe. Mehr noch: Sie war sogar »Sekretärin für Agitation und Propaganda« der FDJ.

Die tatsächliche Gefahr, die von der Linkspartei ausgeht, besteht in der nationalbolschewistischen Allianz aus ehemaligen Sozialdemokraten wie Lafontaine und Dehm mit alten Stalinisten – aus West und Ost. Mit dem verkürzten, tendenziell völkischen Antikapitalismus, wie ihn diese Leute vertreten, sind unappetitliche Bündnisse in die Mitte der Gesellschaft und bis nach Rechtsaußen möglich.

Obwohl der Erfolg der Klassenkampf-Wessis im Osten so manchen Reformer verunsichert, wünscht sich natürlich niemand im Parteivorstand oder in der Berliner Landesregierung ein Scheitern der westdeutschen Linksfraktionen. Und der nächste Wahlerfolg, bei der Bürgerschafts­wahl am 24. Februar in Hamburg, ist recht wahrscheinlich.

Bei der Wahl der Parteivorsitzenden im Mai wird der Ostrealo-Flügel dem mit ziemlicher Sicherheit kandidierenden Lafontaine wieder einen einflussreichen Politiker statt einer Nachwuchskraft an die Seite stellen müssen, und das kann wohl ein weiteres Mal nur Lothar Bisky sein. Der seit langem angestrebte Generationswechsel dürfte noch einige Zeit auf sich warten lassen.