Solidarität mit der eigenen Scholle

Die deutschen Gewerkschaften fühlen sich von ihren europäischen Kollegen im Nokia-Streit im Stich gelassen. Sie können sich allerdings an die eigene Nase fassen. kommentar von michael r. krätke

Ende Januar trafen sich die europäischen Betriebs­räte des Nokia-Konzerns in Brüssel. Und dann gab es Ärger: Die deutschen Gewerkschafter verließen unter Protest den Saal, Vertreter der IG Metall äußerten ihre Enttäuschung über die mangelnde Solidarität der finnischen Kollegen. Am Schluss verständigten sich die anwesenden Betriebsräte aus immerhin acht verschiedenen europäischen Ländern auf eine gemeinsame Erklärung: Entschieden widersprachen sie der Absicht des Konzerns, das Bochumer Handywerk wegen angeblich zu hoher Personalkosten und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit zu schließen und die Produktion nach Rumänien zu verlagern, in einen neuen Industriepark, der gerade mit reichlich EU-Geldern im Armenhaus der EU aus dem Boden gestampft wurde. Viel genützt hat dies offensichtlich nicht: Am Montag ist das neue Nokia-Werk in Rumänien eröffnet worden.

Die Empörung in Deutschland ist verständlich und die Besorgnis der Kollegen überall in Europa ebenso: Wenn ein Konzern, der wenige Tage nach der Ankündigung der Werksschließung einen Rekordgewinn von 7, 2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr und damit eine Steigerung des Nettogewinns um fast 70 Prozent bekannt gibt, der seinen Marktanteil auf gut 40 Prozent erhöht hat und seinen Umsatz um gut 24 Prozent auf über 50 Milliarden Euro steigern konnte, dennoch über mangelnde Wettbewerbsfähigkeit klagt, dann ist nichts und niemand mehr sicher, auch das profitabelste Werk nicht.

Das Dumme ist nur, dass die Entscheidung absehbar war und dass es die EU selbst ist, die zusammen mit den nationalen Regierungen alles getan hat, um den Wanderzirkus der Subventions­nomaden in Gang zu bringen. Wem dank der entfesselten »Standortkonkurrenz« der Staaten, Länder, Gemeinden und nicht zu vergessen der EU-Regionen staatliche Gelder nur so nachgeworfen werden, der gewöhnt sich daran, Steuergeschenke, Subventionen, Gratisgeschenke aller Art für selbstverständlich zu halten. Die Beschäftigten des Bochumer Werks fallen dem Standort-Nationalismus zum Opfer, den nicht nur die rot-grüne Bundesregierung mit Verve betrieben hat.

Wer dem Kapital mit aggressiver Subventionskonkurrenz Beine macht – wie Clement, Rüttgers und Konsorten es jahrelang getan haben –, darf sich nicht wundern, dass das Kapital dorthin geht, wo noch höhere Geldgeschenke aus öffentlichen Mitteln, noch windelweichere Auflagen, eine noch unfähigere Bürokratie winken.

Die Nokia-Betriebsräte haben nicht mehr verlangt als »konstruktive Gespräche«. Für einen Streik-Beschluss oder einen Boykott-Aufruf fehlt ihnen die Unterstützung vor allem der finnischen Gewerkschafter. Selbst gemeinsame symbolische Aktionen sind kaum zu erwarten.

Den Finnen kann man das nicht einmal übelnehmen. Schließlich sind in der Vergangenheit oft genug Produktionskapazitäten und Arbeitsplätze des Konzerns dank des innereuropäischen Standortwettbewerbs aus Finnland in andere europäische Länder verlagert worden. Den deutschen Gewerkschaften ist allerdings bisher auch nichts anderes eingefallen als der Appell an die eigene Regierung, sie möge doch die Konzernleitung durch Gespräche umstimmen. Das wird aber ebenso wenig nützen wie weitere Angebote des Bochumer Betriebsrats zu freiwilligen Lohnkürzungen. »Nokia ist nicht länger ein soziales Unternehmen«, haben die in Brüssel versammelten Nokia-Betriebsräte gewettert. Auch das wird den Konzern kaum beeindrucken.