Razzia im richtigen Moment

Ein Großaufgebot der Polizei nahm in der Pariser Vorstadt Villiers-le-Bel Verdächtige fest. Viele Beobachter halten die Aktion für einen Wahlkampfcoup der Regierungspartei UMP. von bertold du ryon, paris

»Ich habe noch nie eine Polizeioperation solchen Ausmaßes gesehen.« Marie-Thérèse Givry, Staatsanwältin der Bezirkshauptstadt Pontoise, war offenbar beeindruckt. 1 100 Uniformträger, unter ihnen 100 Polizisten des mit der deutschen GSG9 vergleichbaren Elitekommandos Raid, das fast in seiner Gesamtheit an dem Einsatz teilnahm, hatten zuvor am Montag Wohnungen in der Pariser Vorstadt Villiers-le-Bel durchsucht. Sie fahndeten nach Heranwachsenden und jungen Erwachsenen, die an den Unruhen in den Nächten vom 25. bis 27. November vorigen Jahres teilgenommen haben sollen. (Jungle World, 49/07)

33 »Ziele«, so der Polizeijargon, wurden am Montag im Morgengrauen in Gewahrsam genommen, zwei weitere gegen Mittag. Alle sollen wegen kleinerer Straftaten »polizeibekannt« sein. Die Staatsanwaltschaft fügte hinzu, »einige« seien mehrfach vorbestraft.

»Man muss den richtigen Moment abwarten«, rechtfertigte die Staatsanwaltschaft den Zeitpunkt der Razzia. Damit dürfte sie den Stand der Ermittlungsverfahren gemeint haben, die meisten Beobachter glauben aber, dass es vornehmlich der richtige Moment im Wahlkampf war. In knapp drei Wochen finden landesweite Kommunalwahlen statt, die Regierungspartei UMP hat schlechte Umfragewerte und versucht, mit dem Thema »innere Sicherheit« Stimmen zu gewinnen.

Auch moderate bürgerliche Politiker, die kaum irgendeiner Sympathie für revoltierende oder randalierende Jugendliche verdächtig sind wie die rechte Sozialdemokratin Ségolène Royal und der Christdemokrat François Bayrou, bezeichneten die Durchsuchungswelle als Medienspektakel und wahlpolitisch motivierten Coup. Als ausgesprochen fragwürdig gilt zudem die Rolle der Medien. Dutzende von Kameraleuten und Übertragungswagen waren unterwegs. Viele von ihnen warteten schon um 5 Uhr 30 morgens auf den Einsatz. Dieser begann 20 Minuten später. Der Bürgermeister von Villiers-le-Bel, der Sozialdemokrat Didier Vaillant, beschwerte sich darüber, dass er erst kurz nach sechs Uhr informiert worden sei.

Während die bürgerlichen Medien die spektakulären Aufnahmen vom Aufgebot an Uniformierten verbreiteten, gingen im Internet andere Bilder um. Darauf sieht man die Familie von Lakamy Samaoura, des senegalischstämmigen Jugendlichen, dessen Tod bei einer Kollision mit einem Poliziauto im November die Unruhen mit ausgelöst hatte. Der Vater wird von Polizisten zu Boden gedrückt. Die Mutter, die ein Baby auf dem Rücken trägt, fällt hinterrücks in einen Sessel und ruft: »Einen Sohn habt ihr mir schon genommen, den anderen bekommt ihr nicht!« Der Bruder des getöteten Lakamy, der 22jährige Mamadou, wird mitgenommen.

Das bürgerliche Publikum, das nach Schutz vor den »gefährlichen Klassen« verlangt, hat Bilder, die es beruhigen sollen, und die anderen, die in den Banlieues wohnen, haben die ihren, die dem Unmut neue Nahrung geben werden.