Der Mond blutet

Zu Unrecht vergessene Musik, letzter Teil: markus ströhlein begibt sich mit Chrome auf den Acid-Punk-Trip

Liebe Mama, die Tripods sind unglaub­lich höfliche Wesen. Deshalb leben wir nun bei ihnen. Du wirst diesen Ort lieben, wenn du in deinem Urlaub nächsten Monat nach Grux kommst. Ich schreibe dir nächste Woche wieder. Liebe Grüße, Damon. P.S.: Wir haben eine wundervolle Zeit.«

Damon Edge, der Schreiber dieser Zeilen, ist seit 1995 tot. Sein letzter Aufenthaltsort war nicht der Planet Grux, wie es die Worte im Booklet der Compilation »Having a wonderful time with the tripods« seiner Band Chrome nahelegen. Edge starb nicht glücklich inmitten freundlicher Außerirdischer, sondern alkoholabhängig, psychisch krank und vereinsamt in Los Angeles. Seine Leiche wurde erst einige Monate nach seinem Ableben entdeckt.

Dafür ist Helios Creed, die andere Hälfte der Band Chrome, bei guter Gesundheit für einen Mittfünfziger, der seit mehr als 30 Jahren Musik macht. Im vergangenen Jahr ist er Großvater geworden. Es wäre dennoch falsch, ihn einen »Rockopa« zu nennen.

Denn was Damon Edge und Helios Creed ab 1976 in San Francisco ausgebrütet haben, hat mit der Rockmusik der Zeit wenig gemein. »Er kam in meinen Proberaum. Er hatte lange, sträh­nige Haare, trug eine große Sonnenbrille und sah aus wie David Gilmour von Pink ­Floyd«, erinnert sich Creed an die erste Begegnung mit seinem Partner. »Damon war wirklich ein seltsamer Mensch, niemand wie du und ich. Er war sehr kreativ und an Kunst interessiert. Wir wurden gute Freunde«, blickt der Mann zurück.

Die beiden produzierten zwischen 1978 und 1983 etliche Alben: »Alien Soundtracks«, »Half machine lip moves«, »Red exposure«, »Blood on the moon«, »Third from the sun«, »No humans allowed«, um einige zu nennen. Die zuweilen unglaublich bizarre Mischung aus Psychedelic, Garagenpunk, Experimenten mit Tape-Loops und mit Synthesizern erzeugter Ambientmusik passte nicht so recht zum Punk-Boom. Rezensenten sprachen von »Acid-Punk«. »Das war ein geläufiges Wort für unsere Musik, bevor die Bezeichnung Industrial für uns verwendet wurde. Als Punk aufkam, war es vollkommen verpönt, Acid zu nehmen. Das galt als Hippie-Scheiße. Unsere musikalischen Acid-Trips waren aber nicht sonderlich bunt und blumig, sondern recht gruselig und Furcht einflößend«, erklärt Helios Creed den Begriff.

»Scary and funny« – so sollte die Musik klingen, hatten sich Edge und Creed vorgenommen. Ein Plattenversand beschrieb Chrome in den Neunzigern, als manche Alben wiederveröffentlicht wurden, als die musikalische Entsprechung zu dem Film »Eraserhead« von David Lynch. Das trifft nicht ganz zu: Um der Wirkung des Klangs von Chrome visuell gleichzukommen, hätte Lynch die surreale Handlung seines Films noch auf einen fernen Planeten verlegen müssen. Nach Grux! Jeder Song der Band ist wie eine musikalische Grußkarte aus einem anderen Universum, in das der Hörer ungefragt teleportiert wird, um dann einsam und allein durch eine bizarre, fremdartige Szenerie zu schweben.

Manchmal zog es Chrome aber auch auf nähere Himmelskörper. Fünf Minuten lang wabert das Instrumentalstück »Blood on the moon« perkussiv und bedrohlich vor sich hin. Doch keine Angst! Es handelt sich höchstwahrscheinlich um Kunstblut wie in einem trashigen Science-Fiction-B-Movie. Wer wie Creed und Edge mit überdrehten, fiepsigen Vokaleinlagen über elektrische Stühle oder mit hallender Roboterstimme über Insektenmenschen singt, hat Humor. Wie gesagt: »Scary and funny!«

So großartig die Band war und ist, so grotesk und traurig waren die Umstände, unter denen sie arbeitete. Damon Edge war nicht nur überaus labil. »Er litt unter Agoraphobie. Vor großen Menschenansammlungen hatte er panische Angst. Deshalb wollte er auch nie live spielen«, bedauert Helios Creed. So traten die beiden in ihrer Karriere nur zweimal live auf. 1984 zog Edge mit seiner Frau nach Europa und betrieb Chrome ohne Creed weiter. Doch ohne den Copiloten blieben die musikalischen Interstellar­reisen enttäuschend. Zusammen aber ist das Duo so weit da draußen gewesen wie niemand zuvor oder danach.

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