Die Paten der Palästinenser

In der italienischen Linken wird weiter um die Einladung Israels zur Turiner Buchmesse gestritten. Von Catrin Dingler

Die Staatsgründung Israels wird in der Übersetzung der italienischen Linken zur »Katastrophe«, zu jenem Ereignis, das den Beginn der palästinensischen nakba markiert. Dieser Ausdruck steht im Arabischen für die Gründung des jüdischen Staates und die in der Folge einsetzende Flucht und Vertreibung der Palästinenser. Deshalb löste die Ankündigung, Israel sei anlässlich seines 60. Jahrestages als Gastland auf die Turiner Buchmesse (8. bis 12. Mai) eingeladen worden, heftige Proteste aus.

Sergio Cararo vom Palästina-Forum rief, zusammen mit dem italienischen Ableger des International Solidarity Movement (ISM-Italy) und der arabisch-palästinensischen demokratischen Union (UDAP), zum Boykott der Veranstaltung auf.

Es sei eine »Schande«, tönten die Anhänger Palästinas, die israelische Kultur zu ehren, ohne die palästinensische »Katastrophe« zu erwähnen. Die Messeleitung versuche mit der Einladung, Israel als »normalen« Staat zu legitimieren, während eine solche Legitimierung unmöglich sei, solange die israelische Regierung in Gaza ein »Projekt zur militärischen, ökonomischen und humanen Vernichtung der Palästinenser« verfolge. Mögliche Einwände wurden im Voraus abgeschmettert: Dass arme palästinensische Hirten in den Medien als Terroristen dargestellt würden, sei allein der »systematischen Subalternität der Presseagenturen gegenüber den offiziellen Verlautbarungen der israelischen Streitkräfte« geschuldet, die vereinzelten palästinensischen Raketenabschüsse würden schließlich »mehr Lärm als Schaden« verursachen.

Um der Boykottforderung Nachdruck zu verleihen, besetzte Anfang Februar eine kleine Gruppe von Anhängern des Palästina-Forums das Büro der Turiner Messeleitung. Der Spruch auf dem mitgebrachten Transparent war eindeutig: »No Israel«. In einem Flugblatt wurden die Veranstalter aufgefordert, die an Israel ergangene Einladung rückgängig zu machen. Während der Messetage werde man eine Gegenveranstaltung organisieren und mit Demons­tra­tio­nen den Ablauf der offiziellen Veranstaltungen zu stören versuchen. Verlage, die ausstellen würden, ohne sich ausdrücklich gegen die Einladung Israels auszusprechen, müssten ebenfalls mit Boykottaktionen rechnen.

Der Aufruf wurde zunächst nur in La Rinascità, der Online-Zeitschrift der Partei der italienischen Kommunisten (PDC), veröffentlicht. Maurizio Musolino, der Chefredakteur des Magazins, forderte jedoch die Kollegen anderer »progressiver Medien« auf, den Appell ebenfalls abzudrucken und sich den Boykottforderungen anzuschließen.

Liberazione, die Parteizeitung der Rifondazione Comunista, druckte zwar den Aufruf, distanzierte sich aber gleichzeitig von den Boykott­aktio­nen. Fausto Bertinotti, der als Spitzen­kandidat bei den bevorstehenden Parlamentswahlen die Einheitsliste der Regenbogen-Linken anführt, sprach sich mit einer für die italienische Linke ungewohnten Deutlichkeit gegen den Boykott aus.

In der unabhängigen linken Tageszeitung il Manifesto nannte Valentino Parlato, der zur Gründungsgruppe der Zeitung gehört, den Boykottaufruf »falsch«. Damit zog er den Zorn der Leserschaft und den Unmut einiger Redaktionskollegen auf sich.

Dass sich beide großen linken Tageszeitungen gegen den Boykott aussprachen, mag angesichts der sonst üblichen Israel-Kritik nach antiimperialistischen Denkmustern überraschen. Die Argumente, die gegen den Boykott vorgebracht wurden, geben jedoch keinen Anlass zur Hoffnung, es gäbe in der italienischen Linken nun Ansätze für eine längst überfällige Auseinandersetzung mit dem eigenen Israel-Bild.

Zumeist wird der kulturelle Boykott als politisches Kampfmittel prinzipiell abgelehnt, entweder weil für eine strikte Trennung von Kultur und Politik plädiert wird oder weil kulturelle Veranstaltungen als Ort des Dialogs und der Kritik gelten. Und an Kritik ist den Boykottgegnern ganz besonders gelegen. Jeder ihrer Beiträge beginnt deshalb mit einer Art kritischer Vorbemerkung, in der Israel als »kolonialistischer« und »rassistischer« Staat apostrophiert und für alle Probleme des Nahen Ostens verantwortlich gemacht wird. Nicht jeder Boykottgegner behaup­tet, dass Israel »das palästinensische Volk« im Westjordanland in ein »Ghetto« sperrt und in Gaza wie in einem »Lager« hält, aber dass der jüdische Staat ein »Apartheidsstaat« ist, scheint Konsens zu sein. Immerhin, so wird stets betont, seien mit Amos Oz und David Grossmann israelkritische Autoren nach Turin geladen worden. Doch bleiben bei manchem Boykottgegner Zweifel an der Radikalität der Schriftsteller. Südafrikanische Autoren, so das Argument, hätten zu Zeiten der Apartheid auch nie auf einer Veranstaltung zu Ehren ihres Landes gelesen.

Der Vorwurf, die israelische Regierung wolle die Turiner Buchmesse nutzen, um das vermeint­lich negative Image des Landes zu verbessern, stützt sich auf einen im vergangenen Sommer in der israelischen Tageszeitung Ha’aretz erschienenen Artikel, in dem der ehemalige Chef der kulturpolitischen Abteilung des israelischen Außenministeriums, Dan Orian, über die positiven Auswirkungen der Zusammenarbeit seines Ministeriums mit dem israelischen Kulturbetrieb berichtete.

Insbesondere der den Boykott unterstützende Islamwissenschaftler Tariq Ramadan unterstellte der Turiner Messeleitung, sie habe auf Drängen der israelischen Botschaft die ursprünglich vorgesehene Einladung an Ägypten zurückgezogen. Ernesto Ferrero, der Direktor der Messeleitung, betonte dagegen, dass man sich in Absprache mit dem arabischen Nachbarn Israels darauf geeinigt habe, Ägypten erst im nächsten Jahr als Gastland vorzustellen, weil dann gleichzeitig mit der Buchmesse eine archäologische Ausstellung zu Ägyptens versunkenen Schätzen gezeigt werden könne.

Nach einem Treffen mit dem Kulturattaché der israelischen Botschaft bestätigte der Präsident der Messeleitung vergangene Woche die Einladung an Israel. Den von vielen Boykottgegnern eingebrachten Vorschlag, neben Israel auch die palästinensischen Autonomiegebiete als Gastland einzuladen, lehnten beide Seiten ab. Tariq Ali, der nach dem Vorbild von Daniel Barenboims israelisch-palästinensischem Orches­ter einen literarischen west-östlichen Diwan organisiert haben wollte, sagte daraufhin seine Teilnahme an der diesjährigen Bücherschau ab.

Auch auf der französischen Buchmesse Mitte März ist Israel als Ehrengast geladen. Doch eine der italienischen vergleichbare französische Debatte um den Salon du livre wird es nicht geben. Marek Halter veröffentlichte in Le Monde eine harsche Anklage gegen die italienischen Intellektuellen, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts tatsächlich noch einmal zur Bücherverbrennung aufriefen. Zwar verwechselte der französische Autor in der Aufregung die Namen der Befürworter und Gegner des Boykotts, doch trifft er einen Punkt, der in der italienischen Diskussion überhaupt nicht vorkam. Selten gab es vage, erinnerungspolitische Anmerkungen, der konkrete historische Kontext, der 70. Jahrestag der italienischen so genannten Rassegesetze blieb dagegen unerwähnt. An den Ausschluss der jüdischen Professoren, Lehrer und Schüler aus den italienischen Universitäten und Schulen wollte sich in der Linken niemand erinnern.