»Einmal kam es fast zu einem Streik«

In Liechtenstein gibt es eine einzige Gewerkschaft. Sie hat 1 300 Mitglieder. Ein Gespräch mit Sigi Langenbahn, Präsident des Liechtensteiner Arbeitnehmerverbands LANV. interview: doris akrap

Sind in Ihrer Gewerkschaft nur Bankangestellte organisiert oder sind auch ein paar Müllmänner darunter?

Da liegen Sie falsch. Im Finanzdienstleistungssektor haben wir nie Fuß fassen können. Genauso wenig wie im Niedriglohnsektor, wo sehr viele Grenzgänger angestellt sind, die in Österreich leben und in Liechtenstein arbeiten. Am stärksten sind wir im Industrie- und Gewerbesektor vertreten. In der Industrie gibt es immer noch mehr Arbeitsplätze als im Finanzbereich. Das vergisst man gerne, obwohl beispielsweise die auf der ganzen Welt bekannte Firma Hilti ein Liechtensteiner Familienbetrieb ist.

In Deutschland fordert die Gewerkschaft Verdi die Abschaffung von so genannten Steueroasen. Haben die Liechtensteiner Arbeitnehmer überhaupt ein Interesse daran, dass das Steuerparadies abgeschafft wird?

Jeder Liechtensteiner muss zugeben, dass unsere Steuern nicht zuletzt wegen des Stiftungsrechts sehr niedrig sind. Gleichzeitig hält jeder Arbeitnehmer hierzulande die deutschen Steuern zu Recht für viel zu hoch. Das soll kein Aufruf zur Steuerhinterziehung sein. Aber unser Steuersatz liegt im einstelligen Bereich, und kein Arbeitnehmer möchte, dass sich das ändert. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 2,4 Prozent. Wir haben praktisch so viele Arbeitsplätze wie Einwohner und in vielen Bereichen herrscht Arbeitskräftemangel.

Was sind denn bei diesen paradiesischen Zuständen die drängendsten Probleme der Arbeiter?

Es ist nicht so, wie in deutschen Zeitungen behauptet wird, dass alle Liechtensteiner so reich wären, dass jeder einen Ausländer für sich arbeiten lassen kann. Auch wir haben mit prekären Arbeitsverhältnissen zu kämpfen. Ende 2004 wurde durch den Staatsgerichtshof die Pflichtmitgliedschaft aller Unternehmen bei den Arbeitnehmervereinigungen aufgehoben. Das hat vor allem im Gewerbe zu Lohn- und Sozialdumping geführt, da sich die Unternehmen mit dem Austritt nicht mehr an Mindestlöhne halten mussten. Hinzu kommt, dass 50 Prozent der Angestellten Grenzgänger sind, und viele Unternehmer versuchen darüber, das Lohnniveau zu drücken. Denn ausländische Arbeitskräfte sind billiger. Wir haben es vergangenes Jahr geschafft, dass allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge wieder eingeführt werden. Das bedeutet, dass wir Firmen bei Verdacht auf Lohndumping gesetzlich überprüfen lassen können.

Bekommen die Grenzgänger in Liechtenstein auch zu hören, dass sie den Inländern die Arbeitsplätze wegnehmen?

In den siebziger Jahren haben sich Gewerkschafter tatsächlich für eine restriktive Einwanderungspolitik ausgesprochen. Aber die Wirtschaft braucht Grenzgänger. Man muss sie jedoch auch anständig bezahlen, und darum kämpfen wir für anständige Mindestlöhne. Selbst hierzulande gibt es Familien, die von ihrem Einkommen nicht leben können und auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Wir sind aber gegen eine Erweiterung der staatlichen Unterstützung. Denn es gibt Arbeitgeber, die an die Arbeitnehmer zusammen mit dem Arbeitsvertrag die Antragsformulare für staatliche Beihilfen ausgeben und damit niedrige Löhne legitimieren.

Liechtenstein ist nach wie vor eine Monarchie. Wird die gewerkschaftliche Arbeit von Fürst Hans Adam II. in ihrer Mitbestimmung eingeschränkt?

Nein. Wir sind eine parteipolitisch unabhängige Gewerkschaft, die alle Berufe und alle Branchen vertritt. Wir können relativ frei politisieren. Wir haben auch schon direkte, demokratische Mittel ergriffen und ein Referendum gegen einen Regierungsbeschluss gewonnen.

Haben Sie schon mal einen Streik organisiert?

Nein.

Gab es überhaupt schon mal einen Streik in Liechtenstein?

Einmal kam es fast zu einem Streik. Doch in letzter Sekunde wurde das abgewehrt. Oftmals wird uns vorgehalten, dass wir gar keine richtige Gewerkschaft sind, weil wir nicht auf die Straße gehen. Die Uno wirft Liechtenstein vor, dass das Streikrecht nicht explizit in der Verfassung verankert ist. Das ist ein Mangel, da arbeiten wir dran.