Steueroase Deutschland

Das Kapital gilt als ein scheues Reh. Derzeit aber ist das Kapital eher der Problembär. Es läuft orientierungslos im näheren Alpenraum herum und treibt sein Unwesen. Scharf geschossen wird auch. kommentar von jürgen kiontke

Das Problemkapital hat in Liechtenstein eine Steuer­oase gefunden. Kein Handy, kein E-Mail ­etcetera. Trotzdem ist man ihm auf die Spur gekommen. Deutschlands Besserverdienende verstecken ihr Geld im Ausland, damit sie es hierzulande nicht versteuern müssen. Das Desaster – so wird es allgemein wahrgenommen, wenn lästige Manager aussortiert werden – betrifft vor allem den mittleren Reichtum. Wer eine Summe von ein paar hunderttausend Euro bis zu ein paar Millionen anlegen will, macht rüber. Wer drüber liegt, der braucht eigentlich kein Geld. Dem gehört der Laden einfach.

Unser weiser Gesetzgeber arbeitet aber schon lange daran, dass das nicht mehr passiert. Die Strategie: Deutschland selbst wird zur Oase. Die Spitzensteuersätze werden kontinuierlich gesenkt, über alle Parteiengrenzen hinweg. Eine deutsche Regierung senkt Steuern für Wohlhabende. Seit Jahrzehnten. Jede. Immer.

Auf dem Bierdeckel wollte der CDU-Finanzexperte Friedrich Merz sein Steuermodell einst erklären können, denn die Steuergesetze seien viel zu kompliziert. Keine Angst, das geht. Die Wörter Unternehmenssteuerreform, Mehrwert- und Abgeltungssteuer passen selbst dann noch aufs Stück Pappkarton, wenn man 40 Bierchen intus hat. Die Unternehmenssteuerreform entlastet die Gewinne von Unternehmen. Zur Freude der Aktionäre. Aber wer hat schon Aktien? Genau.

Die Mehrwertsteuer wurde angehoben. Da sie nicht progressiv ist – wer würde auch schon jedes Mal an der Kasse die Einkommensteuer­erklä­rung vorzeigen wollen –, ist sie für alle gleich. Arme zahlen also die gleichen 19 Prozent bei Porsche wie Wohlhabende bei Humana.

Die Abgeltungssteuer, die am 1. Januar 2009 in Kraft tritt, tut folgendes: Sie ersetzt die jetzt gebräuchliche Zinsabschlagsteuer, nach der Zins­einkünfte nach der Einkommensteuerklasse besteuert werden. Sie wird von deiner Sparkasse ans Finanzamt geschickt. Liegt der Delinquent mit seinem Einkommensteuersatz darüber, muss er nachzahlen. Hat er wenig Einkommen, bekommt er den Differenzbetrag vom Finanzamt erstattet. Die Abgeltungssteuer ist gerechter: Alle zahlen 25 Prozent. Kleine Anleger zahlen also drauf. Große Anleger haben hingegen einen Gewinn von fast 50 Prozent, liegt doch der Spitzensteuersatz bei 42 Prozent. Gewerkschaften und Attac sagen: Die kleinen Leute werden betrogen. Die andere Seite moniert: Alles Sozial­neid – die Abgeltungssteuer ist okay, aber der Steuersatz ist zu hoch. Deswegen ist sie auf 15 Prozent zu senken.

Sozialneid hin und her – der Sinn des Staatswesens ist, dass die Reichen immer reicher werden. Dafür ist komischerweise immer Geld da. Damit das Geld in Deutschland bleibt, korrigiert man den Bierdeckel. Folgerichtig in diesem Sinne wäre also ein umgekehrt progressiver Steuersatz: Je mehr man verdient, desto niedriger die Besteuerung. Ein Spitzensteuersatz läge richtigerweise bei minus zehn Prozent. Keiner hätte Grund zu flüchten, weil der Staat für die Rendite garantiert. Logischerweise steigt die Einkommensteuer für unbewegliche Geringverdiener. Es dürfte auch keinen ernstzunehmenden Grund geben, warum man das Einkommen von Hartz‑IV-Beziehern nicht besteuern sollte – irgendwie muss der Spitzensteuerausfall ja kompensiert werden.

Zwei Schlagzeilen sehe ich in zehn Jahren in der Zeitung stehen: »Massenhafter Steuerbetrug durch Null-Euro-Jobber« (Bild, Hamburg). »Steuer­flucht nach Deutschland – Liechtensteins Millionä­re betrügen unser Finanzamt« (Vaterland, Vaduz).