Die Auftragsmacher
Nein, das Bundeskanzleramt gibt noch keine Auskunft, über welche Themen Angela Merkel (CDU) mit Vietnams Premierminister Nguyen Tan Dung sprechen wird, den man Mitte dieser Woche in Berlin erwartet. »Die Themen befinden sich noch in der Feinabstimmung«, hieß es gegen Ende voriger Woche. Aber auch ohne Hellseher zu sein, kann man davon ausgehen, dass es um die Wirtschaftskontakte mit dem boomenden Land und um den Bau einer U-Bahn in Vietnams größter Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt gehen wird.
Die politischen Beziehungen zwischen beiden Staaten sind unspektakulär. Eines der wenigen Probleme aus der Sicht der deutschen Regierung besteht darin, dass Vietnam seine abgelehnten Asylbewerber aus Deutschland zu zögerlich zurücknimmt.
Vietnam will eine U-Bahn bauen, und Siemens hat sich, neben zahlreichen anderen Unternehmen aus Frankreich, Japan, Russland und Südkorea, um den Auftrag beworben. Mitte März entscheiden die Stadtväter von Ho-Chi-Minh-Stadt, wer den Zuschlag bekommt, was fast so lukrativ ist wie eine Lizenz zum Gelddrucken. Denn Vietnam hat ein Wirtschaftswachstum von acht Prozent, das von Ho-Chi-Minh-Stadt liegt im zweistelligen Bereich. Und die Infrastruktur hat riesigen Nachholbedarf, da der Individualverkehr die Stadt verstopft.
Die Chancen von Siemens wären größer, wenn mehr deutsche Entwicklungshilfe nach Vietnam fließen würde. Was sich anhört wie eine Idee aus der PR-Abteilung von Siemens, hat der Haushaltsausschuss des Bundestags vor zwei Wochen mit den Stimmen aller Fraktionen abgesegnet. Im laufenden Haushaltsjahr soll Siemens 750 000 Euro bekommen, und 85 Millionen Euro zusätzlich zur Entwicklungshilfe werden in den nächsten Jahren gen Ho-Chi-Minh-Stadt fließen, falls Siemens den Auftrag bekommt. Nur dann. Wenn sich die Diplomaten beider Staaten hinter den Kulissen einigen, könnten Merkel und Dung diese Woche mit ihrer Unterschrift das Geschäft absegnen.
85 Millionen sind mehr als das Doppelte der derzeitigen jährlichen Entwicklungshilfe Deutschlands für Vietnam. Das Geld fließt normalerweise eher in abgelegene Landesteile und nicht nach Ho-Chi-Minh-Stadt mit sechs Millionen Einwohnern.
Der Deal wird seit fast zwei Jahren im Bundestag debattiert. Der Entwicklungshilfeausschuss hatte sich geweigert, das Geld aus dem Etat des Entwicklungshilfeministeriums bereitzustellen, auch Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) war dagegen. Mit Vietnam seien als Felder der Entwicklungszusammenarbeit die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Ökologie und Gesundheit vereinbart worden, erklärte der Sprecher des Ministeriums, Stephan Bethe. »Der Transportsektor ist kein Schwerpunkt. Und bei der Auswahl von Projekten stehen nicht außenwirtschaftliche Kriterien im Vordergrund.«
Wie gut für Siemens, dass das Wirtschaftsministerium offenbar anderer Meinung ist und die 85 Millionen aus seinem Etat zur Verfügung stellen will. Auch der Haushaltsausschuss, der die Gelder bewilligen muss, teilt die Bedenken des Entwicklungshilfeausschusses nicht. Schließlich schaffe der Auftrag Arbeitsplätze in Deutschland und trage zur Entlastung der Umwelt in der ökologisch problematischen Region bei. Glaubt man dem grünen Abgeordneten Thilo Hoppe, dann geht es um 400 Arbeitsplätze in Nürnberg. Pro Arbeitsplatz bedeutete das, vorausgesetzt, die Angaben stimmen, eine Subvention von mehr als 200 000 Euro. Hoppe nennt das »einen Fall von Staatskorruption«.
Auch der Dachverband der entwicklungspolitischen NGO, Venro, findet klare Worte. »Die Zuschüsse dienen einzig und allein dazu, deutschen Unternehmen wie Siemens einen Vorteil gegenüber Mitbewerbern zu verschaffen«, sagt sein Sprecher Claus Körting. »Aus entwicklungspolitischen Gründen ist das abzulehnen.«
Tatsächlich steht gar nicht mehr zur Debatte, ob in Ho-Chi-Minh-Stadt eine U-Bahn gebaut wird oder nicht. Die Stadtverwaltung hat längst begonnen, die dafür benötigten Grundstücke aufzukaufen. Die Frage ist also bloß noch: Wer erhält den Zuschlag für den U-Bahnbau?
Neben seinem Besuch bei der Kanzlerin und dem Treffen mit deutschen Wirtschaftsbossen, die in Vietnam investieren wollen, wird sich Dung vor allem seinen Landsleuten widmen. Geplant ist ein Treffen mit vietnamesischen Verbänden, ebenfalls in Berlin und hinter verschlossenen Türen. Vermutlich werden die Vietnamesen ein Spalier für ihren Premier bilden und Fähnchen schwenken, so wie im Juni, als die Vizepräsidentin Troung My Hoa einen vietnamesischen Markt in Berlin besuchte. Die Verbände der Bootsflüchtlinge aus den westlichen Bundesländern sind zu dem von Sicherheitsdiensten abgeschirmten Treffen nicht eingeladen. Die insgesamt 2,7 Millionen Landsleute im Ausland sind für die vietnamesische Wirtschaft enorm wichtig. Nach offiziellen Angaben aus Hanoi schicken sie allein 3,8 Milliarden US-Dollar pro Jahr an ihre Familien. Das ist gut dreimal so viel, wie Vietnam von allen Staaten der Welt zusammen an Entwicklungshilfe erhält. Auslandsvietnamesen bringen zudem durch Börsenspekulationen Geld in Vietnams Wirtschaft.
Das darf nach dem Willen der vietnamesischen Regierung gern so bleiben. Seit wenigen Jahren unterhält sie ein Programm, das den Zusammenhalt der Landsleute im Ausland und ihre Bindung an das Herkunftsland festigen soll. Mit anderen Worten, ihre Integration in die Aufnahmestaaten soll behindert werden. Die Botschaften organisieren vietnamesische Sprachkurse und Ferienfahrten für die Kinder von Vietnamesen, die kaum Vietnamesisch sprechen. Ehemalige Staatsbürger erhalten unbürokratischer Visa, sie dürfen Grundstücke in Vietnam erwerben und genießen eine Vorzugsbehandlung bei der Gründung von Firmen. Hanoi wirbt zudem unter Auslandsvietnamesen, ihren Alterssitz in der alten »Heimat« zu nehmen, vorausgesetzt sie haben Rentenansprüche im Ausland erworben. Idealerweise sollen sie ihre Kinder und Enkel gleich mitbringen. Haben die an ausländischen Eliteuniversitäten studiert, dürfen sie auch ohne vietnamesischen Pass im Staatsapparat oder in Unternehmen Führungspositionen übernehmen. »Sozialfälle« will der sozialistische Staat dagegen nicht ins Land holen.