Macht essen Seele auf

Die Landesmitgliederversammlung der Grünen in Hamburg hat in aller Offenheit gezeigt: Bei der Frage nach einer schwarz-grünen Koalition redet die Gal mehr über Emotionen als über Politik. von andreas blechschmidt

Einen nennenswerten Widerspruch hat es nicht gegeben. So hat die Grün-Alternative Liste (Gal) in Hamburg in der vergangenen Woche ein neues Kapitel in ihrer Geschichte begonnen. Die Landes­mitgliederversammlung stimmte am Donners­tag mit großer Mehrheit zu, Sondierungsgespräche über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU zu führen. Mit etwa 300 Teil­nehmern war die Mitgliederversammlung so gut besucht wie schon lange keine mehr. Zahlreiche Journalisten und Dutzende Kamerateams zeigten, dass hier mehr als nur eine Hamburgensie verhandelt werden sollte. Immerhin könnte in Hamburg in Zukunft das erste schwarz-grüne Bünd­nis auf Landesebene regieren.

Die Gal-Spitzenkandidatin Christa Goetsch ­eröffnete die Veranstaltung mit demonstrativ zur Schau gestellter Unaufgeregtheit. »Wir müssen heute entscheiden, ob wir die Einladung annehmen, nicht mehr und nicht weniger«, erklärte sie. Dann redete sie von »grüner Identität« und der »grünen Seele«. Spätestens, als sie auf die Notwendigkeit zu sprechen kam, »politische Verantwortung übernehmen zu wollen« und eine »intelligente Großstadtpolitik« zu verfolgen, wuss­te man, wie es in jener grünen Seele aussieht. Statt politisches Machtstreben infrage zu stellen – gerade nach den Erfahrungen mit rot-grünen Bündnissen –, strebt die Seele nach der Macht und will ausgerechnet mit jener politischen Kraft regieren, die bis vor kurzem in der Gal so beliebt war wie ein neues Atomkraftwerk.

Als der Gal im Juni 1982 in Hamburg erstmals der Einzug in die Bürgerschaft gelang, waren die neuen Abgeordneten angetreten, mit Fundamentalopposition den ritualisierten Parlamentsbetrieb aufzumischen. Gut 25 Jahre später will die Partei auf unerwartet andere Art radikal die po­litischen Verhältnisse aufmischen. Die Geschwin­digkeit, mit der sich die Hamburger Grünen da­ran machen, die noch im Wahlkampf verbissen bekämpfte CDU zum politischen Partner auszurufen, ist erstaunlicherweise aber nur wenigen Parteianhängern nicht ganz geheuer.

Die neue Lust der Gal an der Kumpelei mit den Konservativen wird von der grünen Funktionärsriege weniger als politisches, sondern vor allem als psychologisches Problem gesehen. Entsprechend hat man sich für die Salamitaktik entschie­den. Die Parteibasis wird häppchenweise an das gewöhnt, was in einem Diskussionspapier eines Kreisverbands umrissen wurde mit den Worten: »Ungewohntes, aber nicht wirklich Ungewöhnliches zu denken und zu versuchen«.

Und so nannte die Vorsitzende Anja Hajduk das Wahlergebnis »anstrengend«. Es sei »emotional schwierig, mit der CDU zu reden«. Aber sich einem Sondierungsgespräch zu verweigern, hieße, sich »wegzuducken«. Hajduk schwieg weise dazu, dass sich die Gal konsequenterweise danach in Koalitionsverhandlungen begeben müsste, um entscheiden zu können, wo die Schwierigkeiten und vermeintlichen Chancen eines schwarz-grünen Bündnisses lägen. In dieser realpolitischen Logik wäre es zudem nur noch ein kleiner Schritt, dieses Bündnis einer echten politischen Probe in der Praxis unterziehen zu wollen.

Man wurde an diesem Abend den Verdacht nicht los, dass die Reden, mit denen die Partei­basis auf eine schwarz-grüne Koalition eingeschworen wurde und denen jede bundespolitische Signalwirkung abgesprochen wurden, bereits in den Schubladen der Parteiführung bereit lagen. Tatsächlich liegen die Probleme der Vermittelbarkeit eines solchen Bündnisses nicht bei der Partei, sondern bei den Wählern. Farid Müller aus dem Kreisverband Hamburg-Mitte weiß: »Unsere Wähler wollten nicht Schwarz-Grün.« Er riet daher: »Wir müssen unsere Wähler emo­tional mitnehmen.«

Diese Wähler sind vermutlich wirklich ziemlich erstaunt darüber, mit welcher Schlichtheit eine Notwendigkeit, mit der CDU Sondierungsgespräche zu führen, von der Parteiführung begründet wurde. Die bisherige gesundheitspolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion, Katja Husen, meinte dazu keck: »Die CDU weiß, dass wir die intelligenteste Partei sind.« Die alte und neue Bür­gerschaftsabgeordnete Christiane Blömeke beklagte die mangelnden Arbeitsmöglichkeiten in der Opposition, dies sei »ein Schritt in die Bedeutungslosigkeit«. Der bisherige stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Christian Maaß, befürchte­te, neben der »Linken« kein wahrnehmbares po­litisches Profil in der Opposition entwickeln zu können. Die nahe liegende Frage, wieso er glaube, die Gal würde dieses politische Profil ausgerechnet in der Regierung an der Seite der CDU entwickeln, wurde ihm nicht gestellt.

Lediglich von denen, die einer Annäherung an die Christdemokraten skeptisch gegenüber stehen, wurden Argumente formuliert. Sie verwiesen auf die Erfahrungen der rot-grünen Koalition zwischen 1997 und 2001 in Hamburg, die als wenig geglücktes und kaum aufgearbeitetes Projekt gilt. Parteiaktivistin Ulrike Brackmeier war eine der wenigen, die sich dezidiert gegen ein Bündnis mit der CDU aussprachen. Sie wolle nicht, dass die Partei zum »grünen Feigenblatt auf schwarzem Grund« degeneriert. Ihre Prognose, im Falle der schwarz-grünen Koalition in Hamburg werde die Partei eine »grün angestrichene FDP, ehemals Gal«, wurde an diesem Abend nur von einer Minderheit geteilt und mit Buhrufen bedacht.

Dementsprechend konnte Krista Sager vom Bun­desvorstand unwidersprochen loslegen. Spätestens nach ihrem Auftritt war den Beobachtern im Saal klar, dass die Befürworter eines schwarz-grünen Bündnisses einen Teilsieg davontragen würden. Sie habe die »Schnauze voll von ritualisierter Politik«, ließ Sager die Anwesenden wissen. Das Argument der politischen Moral im Hinblick auf Koalitionsentscheidungen wollte sie nicht gelten lassen. »Die SPD macht’s doch auch mit allen anderen Parteien«, rief sie den Versammelten zu. Sie wolle nicht in der Opposition »auf Godot warten«. Am Ende wurde ihre Rede mit fast schon frenetischem Applaus gefeiert.

Die Botschaft an die CDU war unüberhörbar. Wenn Ole von Beust es schafft, die politischen Zu­mutungen seiner neoliberalen Politik nicht allzu drastisch hervorzukehren, ist die Gal vermutlich leicht zu haben. Dass er die nötige Flexibilität hat, bewies Beust bereits 2001 in der Koalition mit dem Rechtspopulisten Ronald Schill.

Sinnigerweise wird die Gal die nächste Mitgliederversammlung, auf der dann über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entschieden werden soll, in der Hamburger Handelskammer abhalten.