Happy Housewife

Die »Linke« hat es nicht leicht mit ihrer Hausfrauentheoretikerin Christa Müller. Denn sie ist familien­politische Sprecherin der Partei im Saarland und die Ehefrau von Oskar Lafontaine. von regina stötzel

Christa Müller hat wieder zugeschlagen. In ihrem Kampf gegen Teufelszeug wie Kinderkrippen gibt sie alles. Die familienpolitische Sprecherin der Partei »Die Linke« im Saarland und Ehefrau von Oskar Lafontaine sagte vorige Woche im Gespräch mit Spiegel online: »Bei der Genitalverstümmelung handelt es sich um Körperverletzung, bei der Krippenbetreuung in einigen Fällen um see­lische Verletzung – und die ist manchmal schlimmer als Körperverletzung.«

Weil sie als Mitgründerin und Vorsitzende des Vereins Intact »Zehntausende Mädchen in Benin, Togo, Burkina Faso und anderswo vor dieser furchtbaren Operation gerettet« habe, glaubt sie zu wissen, wovon sie spricht. Man darf gespannt sein, ob sie künftig vor die Krippen ziehen und die Kleinkinder den Händen von Erzieherinnen und Erziehern entreißen wird. Denn auf diesem Gebiet fehlt ihr bislang noch ein wenig Praxis.

Die Theorie hat sie dagegen drauf. In ihrem bahn­brechenden Buch »Dein Kind will dich. Echte Wahl­freiheit durch Erziehungsgehalt« zitiert sie »die Ergebnisse aus der Krippenforschung« kurz und knapp in den Worten des australischen Psychologen und Familientherapeuten Steve Biddulph: »Krippenbetreuung verursacht Schäden.« Zwar muss sie zwei Seiten weiter zugeben, dass »es bis­her nur wenig empirische Untersuchungen über die kurz-, mittel- und langfristigen körperlichen, geistigen und seelischen Schäden der noch relativ jungen Krippenerziehung« gibt. Aber es reicht ja, ein paar Horrormeldungen gesammelt zu haben. So erfährt der Leser, dass es sich bei Kindertagesstätten um »Virennester« handelt, wie bereits die FAZ schrieb. Wenn ein Kleinkind wegen Lungenentzündung ins Krankenhaus muss oder vor seinem 15. Lebensmonat an Masern stirbt, könnte die Krippe schuld sein. »Da sollten sich Eltern schon genau überlegen, ob sie das Kind in den ersten Jahren nicht lieber zu Hause großziehen«, legt Müller dezent nahe.

Aber vor allem geht es ihr um die Seelen der Kleinen, die bei »früher Fremdbetreuung« unwei­gerlich Schaden nähmen: »Einstweilen genügt mir persönlich die Beobachtung französischer Kin­der, die brav und wohlerzogen sind ›wie kleine Erwachsene‹, aber auffallend verschüchtert und ernst dreinblicken. Singende, fröhliche kleine Sonnenscheine sieht man selten unter ihnen.« Nein, es genügt ihr nicht. Müller hat mehr gesehen: »Nach meiner Beobachtung leisten die meisten kleinen Kinder Widerstand (…): Sie schreien und strecken die Ärmchen nach ihrer Mutter aus, wenn sie in der Krippe (…) abgegeben werden.« So verträten die Kleinen zunächst ihre Inter­essen, »später« dann, »indem sie unruhig und aggressiv werden, Konzentra­tions­probleme haben, schlechte Leistungen erbringen, und noch später, indem sie egoistisch, asozial, gewalttätig, vielleicht süchtig (nach Drogen oder Alkohol, mager- oder fettsüchtig) oder sogar kriminell wer­den. Aber dann ist das Kind schon in den Brunnen gefallen.« Alles klar?

Viel kann man lernen von Christa Müller. In af­rikanischen »Naturgesellschaften« sind alle Kinder glücklich, hierzulande waren sie es nach dem Krieg. Karrierefrauen »vermännlichen« bisweilen, und »eine pflegeleichte Kurzhaarfrisur« ist selten »überwältigend weiblich«. Nach dem »Gebärstreik« kam der »Hausfrauenstreik«. Und die Gleichberechtigung der Geschlechter war »in der früheren Hausfrauenehe« die Regel.

Müllers Märchen sind neben allerhand katho­lischer Erbauungslektüre im Hausverlag des Augsburger Bischofs Walter Mixa erschienen, mit dem sie sich bekanntlich prima versteht. Kein Wunder: »Der macht linke Politik«, sagte sie Spiegel online, und meinte wohl Politik, die so links ist wie ihre. Ende November schimpften die beiden auf einer Konferenz der ultrakonservativen Paneuropa-Union Bayern in Augsburg auf die political correctness, das vermeintliche Überangebot an Krippenplätzen und den »Zwang zur Fremdbetreuung«. Sie »schoben sich gegenseitig wunderbar die Bälle zu«, resümierte die Welt.

Mit einem weiteren Knüller, der verspricht, »dem ideologischen Fetisch der voll berufstätigen Mutter« zu Leibe zu rücken, ist dem Sankt-Ulrich-Verlag ein kleiner, aber feiner Schwerpunkt zum Thema Familienpolitik geglückt. Jürgen Limins­ki heißt der Verfasser, ist zehnfacher Vater, Autor der neurechten Jungen Freiheit und bekannte sich vor einiger Zeit im WDR zu seiner Mitgliedschaft bei der reaktionären Organisation Opus Dei. Mit Liminski saß Müller Mitte November bei einem Symposium zum Thema »Weniger Staat, mehr Eltern« auf dem Podium. Veranstalter war das christ­lich-konservative Familien­netzwerk, zu dem nicht zuletzt die Hamburger Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft gehört, der vom Verfassungsschutz bereits »personelle Überschnei­dungen zu rechtsextremistischen Organisationen« bescheinigt wurden.

Mitglieder der feministischen Frauenarbeitsgemeinschaft der »Linken« haben unter der Über­schrift »Familienpolitik – rechter Rand« noch einiges mehr an Material zusammengetragen, das im Internet zu lesen ist. Darin geht es vor allem um Christa Müllers direkte und indirekte Kontak­te zu mindestens konservativen Kreisen. Christel Buchinger, eine der Autorinnen, schließt daraus auf Nachfrage der Jungle World: »Christa Müller fühlt sich am rechten Rand wohl.«

Und rechtsextreme Frauen finden Müller knorke. Die Frauenorganisation der NPD, der Ring Nationaler Frauen, bot sich ihr im Herbst als »po­litische Heimat« an. Seine Sprecherin Stella Hähnel zeigte sich ein paar Wochen später beglückt darüber, dass Müller die Forderung der NPD nach einem so genannten Müttergehalt, »wenn auch unfreiwillig«, unterstütze.

»Christa Müller spricht nicht für uns!« hatte die feministische Frauenarbeitsgemeinschaft bereits im vorigen Sommer erklärt. Ihr »so genanntes Konzept« sei »reine Demagogie«, sagt Christel Buchinger. »Sie tut so, als hätte sie etwas zu verteilen.« Und zwar genau 76 900 Euro pro Kind. Die stattliche Zahl verdankt sie einer Berechnung des Münchener Ifo-Instituts, dessen Präsident Hans-Werner Sinn ebenso beharrlich gegen die vermeintliche Ausbeutung der Familien kämpft. Angeblich führt ein im Jahr 2000 geborenes Kind bei durchschnittlicher Biographie und Karriere jenen aus geduldigen Statistiken errechneten Betrag im Laufe seines Lebens dem Fiskus zu. Einbezogen in die Bilanz sind nach der Ökonomin Müller u.a. »die zu erwartenden (Leistungen) der Kindeskinder«. Ein großes mathematisches Abenteuer, zweifellos.

Egal, Müller will demzufolge »jährlich 56 Milliarden Euro an die Familien umverteilen«. Anstelle aller anderen Leistungen will sie Erziehenden für jedes Kind im ersten Jahr 1 600, im zweiten 1 000 und bis zum 20. Lebensjahr 500 Euro pro Monat auszahlen. Aber nur an jene, die ihre »Leistung« erfüllen, was mittels »millionenfach durchgeführ­ter Hausbesuche« von Erziehungsberatern kontrolliert werden soll. Wer versagt, dem drohen Ab­züge. So will Müller nicht weniger als den »Beruf Hausfrau« schaffen, die »finanzielle Ausbeutung der Familien« beenden, die Kinderzahl pro Frau von 1,35 auf 1,65 erhöhen und vielleicht sogar Vollbeschäftigung erreichen. Im übrigen rechnet sie auch mit »positiven Wirkungen« für das Wirtschaftswachstum, was aber keineswegs vergleichbar ist mit den Auswirkungen der gegen­wärtigen Politik, deren Profiteure »die sich in dicken Gewinnen badenden Aktionäre und die gut verdienenden Vorstände deutscher Unterneh­men sind«.

Die Kritik an Müller in der Linkspartei wächst. Von ihrem geschmacklosen Vergleich von Genital­verstümmelung und Krippenbetreuung distan­zierte sich die Bundestragsfraktion, die auch gänzlich andere familienpolitische Vorstellungen hegt. »Das größte Problem ist, dass sie die Frau von Lafontaine ist«, sagt Christel Buchinger.

Der Landesvorstand Saar legte kürzlich einen Beschluss zur Familienpolitik vor, der sich in der knappen Form liest wie »Müller light«. Darin wird bloß für drei Jahre ein Erziehungsgehalt in Höhe von 1 600 Euro monatlich gefordert. Ob das reicht, »damit wir und unsere Kinder mit uns glücklich werden können«?