Das infrastrukturelle Großprojekt Plan Puebla Panama

Kampf gegen Windmühlen

Der Plan Puebla Panama ist ein ökonomisches und infrastrukturelles Großprojekt, das eine wirtschaftliche Umstrukturierung Südmexikos und Zentralamerikas vorsieht. Nach den Protesten der lokalen globalisierungskritischen Bewegung wurden viele der im Plan vorgesehenen Projekte gestoppt. Nun soll eine »Wiederbelebung« des Plans stattfinden. Argumentationshilfe bietet der mexikanischen Regierung dabei der so genannte Klimaschutz.

Salina Cruz ist nicht der Ort, an dem man als Besucher länger als nötig bleiben möchte. Ein heißer, trockener Wind fegt Tag und Nacht durch die Hafenstadt im Süden Mexikos, wirbelt Staub und den Ruß der Mopeds durch die Straßen. Ein hoher Zaun schützt den Hafen. Misstrauische Bli­cke von den Militärs, die das Tor bewachen. Öltanks glänzen am Hang gegenüber in der Sonne.
Salina Cruz ist der größte pazifische Ölhafen Mexikos, die Ölgesellschaft Pemex betreibt hier eine große Raffinerie, aber das Öl wird weit draußen verladen, zu sehen sind davon nur dunkle Wolken und hohe Türme fern der Stadt. Salina Cruz liegt auch am Isthmus von Tehuantepec, einer Landenge, die den Atlantik vom Pazifik trennt. Das ist der Grund, warum in Salina Cruz bald alles anders werden soll, zumindest wenn man den Worten des mexikanischen Präsidenten Fe­lipe Calderón glauben will: Ein neuer Frachthafen soll enstehen und der alte modernisiert werden, Straßen und Schienen sollen einen »Korridor« schaffen, um Güter von einem Ozean zum anderen zu transportieren.
Neu sind diese Pläne nicht. Die Idee, quer über den Isthmus einen trockenen Kanal für den Güter­­transport zu bauen, kam schon im frühen 19. Jahr­hundert auf. 1893 wurde die erste Eisenbahnlinie fertiggestellt, die die beiden Küsten verband, mit dem wenig später eröffneten Panama-Kanal jedoch nicht konkurrieren konnte. Aber der nun wieder geplante »Korridor« für Waren hat eine jüngere Geschichte. Er gehört zum »Plan Puebla Panama« (PPP), einem Großprojekt, das der damalige mexikanische Präsident Vicente Fox im Jahr 2000 präsentierte.
Fox war damals mit der konservativen Partei der Nationalen Aktion (Pan) an die Macht gekom­men und hatte die über 70jährige Herrschaft der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) beendet, seine Wahl wurde als demokratischer Aufbruch gefeiert und der PPP war sein erstes großes Projekt. Es sollte vom Bundesstaat Puebla bis nach Panama wirken und sah über 100 Großprojekte vor: Staudämme und Straßen, Stromleitungen und Häfen, Freihandelszonen, maquiladoras. Ziel war es, den armen mexikanischen Süden und die Staaten Zentralamerikas zu fördern, Märk­te zu schaffen und die Region für Investoren attraktiv zu machen.
Das Projekt erregte viel Aufsehen. Allerdings nicht bei denen, für die es gedacht war, nämlich Unternehmen, Banken, Entwicklungshilfeorganisationen, sondern bei der lokalen Bevölkerung. Linke Intellektuelle durchforsteten die im PPP vorgesehenen Projekte und wiesen auf deren »neo­liberale und neokoloniale« Komponenten hin. Die mexikanische Guerillagruppe EZLN in Chiapas – einer der wichtigsten Bezugspunkte der mexikanischen sozialen Bewegungen und der Globalisierungskritik weltweit – kündigte an, die Ausführung von PPP-Projekten in den von ihr kontrollierten Gebieten zu verhindern.

Der PPP wurde rasch zum Symbol der neoliberalen Umgestaltung Lateinamerikas – und des Widerstands dagegen. Im Mai 2001 fand in Chiapas das erste internationale Forum zum PPP statt. Daraus entstand die größte grenzübergreifende Mobilisierung, die es in den Ländern Mittelamerikas je gegeben hat. Jeder kannte den Plan Pue­bla, fast alle waren dagegen.
Doch plötzlich verschwand der PPP aus der öffentlichen Diskussion. Die Mobilisierung geriet in eine Krise. Im Herbst 2003 wurde bekannt, dass die USA mit den Staaten Mittelamerikas über ein Freihandelsabkommen verhandeln. Die sozialen Bewegungen Mittelamerikas wandten sich abrupt diesem Thema zu. Spätestens ab 2004 war der PPP kein Thema mehr.
Das soll sich jetzt ändern: Im April vergangenen Jahres kündigte der mexikanische Präsident Felipe Calderón bei einem Treffen mit den Staats­chefs Zentralamerikas überraschend an, den PPP »neu beleben« zu wollen. Das ist in den vergangenen Jahren mehrmals verkündet worden, verwirklicht wurde es allerdings nie. Heute sind jedoch die Umstände für eine »Wiederbelebung« günstiger denn je: Calderón, der bei einer umstrittenen Wahl 2006 seinen Parteifreund Fox als Präsident Mexikos ablöste, scheint es mit seinem Vorhaben ernst zu meinen. Er hat einflussreiche Mitstreiter wie die Interamerikanische Entwicklungsbank (Bid), die schon vor acht Jahren Initiatorin und Hauptgeldgeberin des PPP war. Die Bid stellte im Frühjahr 2007 Mexiko 2,5 Milliarden Dollar für Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung; im November sagte sie zu, die Reaktivierung des PPP mit »Geld, technischer Hilfe und Begleitung« zu unterstützen. Großunternehmen aus der Energiebranche und der Telekommunikation sind wieder eingestiegen.

Vom Aufbruch ist in Salina Cruz noch nicht viel zu sehen. Gras wächst auf den Gleisen am Stadtrand. Außerhalb der Stadt verlegen Bauarbeiter neue Gleise, auf der kürzlich eröffneten Schnellstraße nach Oaxaca-Stadt glänzt der Teer in der Sonne glatt und schwarz. Immer wieder Militärkontrollen, bunt gestrichene comedores, der Rauch der Holzkohlengrills vom Wind zerfetzt. Stromleitungen folgen der Straße, die alten spannen sich in wilden Schleifen zwischen verwitterten Holz­masten; daneben neue, silbern glänzend, zwischen hohen Masten aus hell gestrichenem Beton. Stacheldraht säumt die Umspannwerke.
Das kleine Dorf La Venta liegt auf der anderen Seite der Lagune, die hinter Salina Cruz beginnt. In der Ferne erheben sich dunstig die Berge. Hier bläst der Wind mit Macht über Maisfelder und Weiden – beste Bedingungen für den Windpark La Venta II. Knapp 100 weißgetünchte Windräder drehen ununterbrochen ihre Flügel, nachts sind ihre roten Leuchten von Weitem zu sehen. Sie sind etwa 30 Meter hoch, groß war die Aufregung, als die mexikanische Stromgesellschaft CFE den »ersten Windpark Mexikos« im Frühjahr 2007 einweihte.
Ob La Venta II Teil des Plan Puebla Panama ist, lässt sich nicht genau bestimmen. Seit den Protesten gegen den Plan versuchen Politiker und Unternehmer, den PPP zu erwähnen, wenn sie Straßenabschnitte oder Grenzübergänge eröffnen. Viele umstrittene Projekte wurden weitergeführt, ohne dass sie unter die gemeinsame Bewerbung und Finanzierung des PPP fallen. Dennoch gilt: Wie kaum ein anderes Projekt zeigt La Venta II, wie der »neue« Plan Puebla Panama aussehen kann.
Polizisten mussten die Anlage und die umliegen­den Stromleitungen bis zur Fertigstellung überwachen, nachdem die Bewohner von La Venta protestiert hatten, der Windpark stehe auf ihrem Gemeindeland, und nur durch Betrug und ­Erpressung habe die CFE die nötigen Unterschriften der rechtmäßigen Besitzer erhalten. Nicht Windmühlen, sondern Monster würden hier errichtet, sagte Subcomandante Marcos, Sprecher der im benachbarten Bundesstaat Chiapas beheimateten EZLN, als er im Mai 2006 im Rahmen der »Anderen Kampagne« La Venta besuchte.
Was die einen als Monster sehen, das die mexikanischen Behörden gegen den Willen der Menschen vor Ort errichtet haben, betrachten die anderen als ein Klimaschutzprojekt. Finanziert wur­de der Windpark vom spanischen Energiekonzern Iberdrola, dem größten privaten Stromversorger der Welt. La Venta II ist offiziell ein CDM-Projekt, was für »Clean Development Mechanism« steht und zu den so genannten »flexiblen Mechanismen« gehört, die das Kyoto-Protokoll seinen Unterzeichnern erlaubt. Was der Windpark in Me­xi­ko an CO2 mutmaßlich spart, kann sich das spanische Unternehmen als CO2-Minderung gutschreiben lassen, oder die Zertifikate verkaufen, die es dafür erhält.
Damit bieten sich den Ländern des globalen Südens neue Chancen für Investitionen, und das weiß man auch im mexikanischen Außenministerium.
Dieses hat seinen Sitz in zwei neu errichteten Türmen im Zentrum von Mexiko-Stadt. Im Büro von Bosco Martí ist es, als würde das andere Mexi­ko da unten gar nicht existieren. Es ist angenehm kühl, und durch die Glasfassade des 14. Stocks kann man die Stadt sehen, die in einen transparenten, blauen Nebel gehüllt ist.
Bosco Martí ist Beauftragter für den PPP, ein junger, schlanker Mann, glatt rasiert. Mit 27 fing er an, im Außenministerium zu arbeiten. Die eng­lischen Wörter, die er in seine Rede flicht, spricht er betont amerikanisch aus. »Wir befinden uns in einer Übergangsphase«, sagt er. Im Juni treffen sich die Präsidenten der beteiligten Länder im südmexikanischen Tuxtla Gutiérrez, bis dahin werde der Plan überarbeitet, »schlanker und effektiver« gemacht. Von den über 100 Projekten sollen rund 20 übrig bleiben, die jedoch 80 Prozent des gesamten Investitionsumfangs ausmachen, mindestens sieben Milliarden US-Dollar.
Es habe in der Vergangenheit eine Reihe von Problemen bezüglich des PPP gegeben, gibt Martí zu, mit der internen Struktur, vor allem aber was die Kommunikation nach Außen betreffe. Als der PPP kritisiert wurde, hätten die Verantwortlichen sich wie ein U-Boot verhalten, sie seien abgetaucht und hätten im Stillen weitergearbeitet, anstatt den Plan offen zu verteidigen. »Aber wir haben unsere Lektion gelernt. Wir werden in Zukunft sehr viel aktiver über das Projekt informieren, um seine sozialen Aspekte bekannt zu machen.« Teil der neuen Strategie ist auch ein neuer Name: »Um die Ziele mit größerer Klarheit zu kommunizieren«, so Martí, werde der Plan in Zukunft anders heißen.
»Wir werden uns in dieser neuen Phase stärker auf die weichen Themen konzentrieren«, fährt er fort. »Dazu gehört, eine regionale Strategie angesichts des Klimawandels zu entwickeln, mit Projekten, die speziell auf die neuen Anforderungen zugeschnitten sind: Aufforstungen und erneuerbare Energien, der Umgang mit Wasser und Biokraftstoff. Auch Gesundheit und Bildung sind Thema.«
An der Grundausrichtung des Plans allerdings ändern die neuen Aspekte wenig. Die beiden Achsen des PPP heißen weiterhin Infra­struktur und Energie. Das wird spätestens dann klar, wenn Martí aufzählt, welche Projekte weiterlaufen wer­den. Eins der größten ist das Interamerikanische Straßennetz Mittelamerikas, Ricam. Es sieht 12 000 Kilometer Straßen vor: einen »Korridor« entlang des Atlantik, einen am Pazifik, mehrere an anderen günstigen Stellen. 8 000 Kilometer sind bereits gebaut.
»Ende 2008 wird auch die Verbindung der Strom­netze Mexikos und Guatemalas abgeschlos­sen sein« erzählt Martí, ein Jahr später soll in ganz Mittelamerika ein gemeinsames Stromnetz existieren. Siepac heißt das Projekt, von dem er schwärmt: »Ein gemeinsamer Markt, auf dem Staaten und Unternehmen kaufen und verkaufen können, und alle von den unterschiedlichen Kapazitäten der einzelnen Länder profitieren.«

»Profitieren werden vom PPP vor allem die großen Unternehmen«, sagt Miguel Pickard vom Zen­trum für politische und ökonomische Forschung (Ciepac). Ziel des Plans sei es von Anfang an gewe­sen, transnationalen Unternehmen den Zugang zu den Reichtümern der Region zu erleichtern. Und davon gebe es, trotz aller Armut, viele: »Mittelamerika ist reich an Bodenschätzen, an Biodiversität, vor allem aber an Wasser und Energie«, sagt Pickard. »Und vor allem letztere werden derzeit immer wichtiger.«
Pickard lebt und arbeitet in Chiapas, wo am 1. Januar 1994 die EZLN Städte und Kasernen besetzte und damit den Startschuss für die latein­amerikanische globalisierungskritische Bewegung gab. Es folgten Jahre eines schwelenden Krieges zwischen der EZLN, ihren Sympathisanten und den Paramilitärs, die die Regierung teils neben dem Militär einsetzte. Aber auch Jahre, in denen in Chiapas eine Vielzahl von Initiativen entstanden, Kooperativen und Organisationen gegründet wurden. Ciepac ist eine von diesen Organisationen, die ab 2001 die Proteste gegen den PPP organisierten.
»Seit 2003 haben wir zunehmend den Kontakt zu den mittelamerikanischen Organisationen verloren«, sagt Pickard. Seit 2005 findet kein Gegengipfel zum PPP mehr statt. »Wir werden uns in nächster Zeit wieder verstärkt mit dem PPP be­schäftigen«, sagt er. »Aber auch die politische Situation hat sich seit 2001 verändert und macht Widerstand schwieriger.«
Die Repression richtet sich nicht nur gegen soziale Bewegungen, erklärt Pickard: »Die neue Regierung unter Calderón hat gezeigt, dass sie mit harter Hand gegen jede Form von Opposition vorgeht. Und das richtet sich auch gegen die Gruppen, die solche Projekte kritisieren.« Mit Gesetzesänderungen und Erweiterung der Befugnisse für Polizei und Militär »hat Calderón das Land in den vergangenen Monaten ­militarisiert«, sagt Pickard.
Das sei auch in Chiapas zu spüren: »Die Situation ist hier derzeit so angespannt wie lange nicht mehr«, dabei verweist er auf Morde an Sympathisanten der EZLN, die sich in den letzten Monaten gehäuft haben. »Das Militär zeigt mehr Präsenz, die neue Phase des Plan Puebla Panama ist auch eng verbunden mit einem anderen Plan: dem Plan México.« Das geplante Abkommen zwischen den USA und Mexiko wurde im August bekannt und ist inzwischen in Initiative Mérida umbenannt worden. Rund acht Milliarden Dollar wollen Mexiko und die USA in den Kampf gegen Drogen, Terrorismus und Migration investieren.
Die entscheidende Änderung in dieser neuen Phase des PPP sei aber eine andere, meint Pickard: »Energie ist jetzt eines der zentralen Themen. Die Verbindung der Stromnetze hat enorme Bedeutung. Zwischen Mexiko und den USA besteht bereits ein Netz an Fernleitungen, das nun auf ganz Mittelamerika ausgedehnt wird – bis nach Kolumbien.«
So ist die große Rolle, die Energie derzeit spielt, auch ein Grund für die »Wiederbelebung« des PPP. Die Energiepreise sind hoch und steigen wei­ter, was viele Projekte in Mittelamerika für Investoren und Banken wieder attraktiv macht. Zum Beispiel die großen Staudämme und Wasserkraft­werke, die zwischenzeitlich schon als gescheitert galten. Oder die Förderung von Öl und Gas aus den unberührten Waldgebieten in Chiapas und Gua­temala. Nicht zuletzt Projekte zum Klimaschutz, für die großzügige Zahlungen aus den Industrieländern winken. Im September kündigten Vertreter des PPP an, dass im Süden Mexikos eine gi­gantische Holzpflanzung entstehen soll, die sich über fünf Bundesstaaten erstreckt: 2,5 Millionen Hektar Wald zur industriellen Nutzung, schnell wachsende Bäume wie Eukalyptus, um die Ansied­lung von Zellulose- und Papierfabriken anzukurbeln. Auch das wird mit Sicherheit ein »Klimaschutzprojekt«.
»Niemand hier ist gegen Entwicklung«, sagt Pickard. »Im Gegenteil, sie ist dringend notwendig. Aber die Menschen in der Region werden vom PPP nur als Hindernis betrachtet, das es schwe­rer macht, Naturressourcen auszubeuten.« Der Plan Puebla Panama ist eins der besten Beispiele, wie Energiepolitik derzeit funktioniert. Und zwar einerseits unter dem Begriff »Energie­sicherheit«, wobei der Zugang zu Ressourcen not­falls mit Druck gesichert wird. Auf der anderen Seite wird der »Klimaschutz« ständig thematisiert, um jede energiepolitische Handlung als Beitrag zur Rettung der Menschheit zu verkaufen .