Proteste gegen Rentenreform in Griechenland

Länger arbeiten für weniger Rente

Die konservative Regierung Griechenlands hat die seit Jahren umstrittene Renten­reform verabschiedet. Die Gegner wollen dennoch nicht aufgeben und streben ein Volksbegehren an.

Da haben alle Streiks nichts genützt: Die konservative Regierung unter Ministerpräsident Kós­tas Karamanlís hat am Mittwoch voriger Woche die umstrittene Reform der Renten- und Sozialversicherung von Arbeitsministerin Fáni Petraliá verabschiedet. Dabei hatten die Streiks die grie­chische Gesellschaft empfindlich getroffen. Die Bediensteten im Transportwesen und bei der Müll­abfuhr, der Post, der staatlichen Wasserwerke und der Stromgesellschaft beteiligten sich daran, aber auch Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten und Bankangestellten.
Die Rentenreform gilt seit mehreren Jahren als »heißes Eisen«, die sozialdemokratische Vorgängerregierung war mit der Durchsetzung gescheitert. Die konservative Regierung hat sich nun dafür entschieden, ihre Reform durchzuziehen, obwohl sie deswegen mit Stimmenverlusten rech­nen muss. In aktuellen Umfragen kommt die Regierungspartei nur noch auf 27 Prozent. Offensichtlich beruht das Vorgehen der Regierung auf der Einschätzung, dass die Proteste nach der Verabschiedung der Reform in sich zusammenfallen werden.
Diese Hoffnung der Regierung scheint sich allerdings nicht zu bestätigen. Die jeweiligen Spartengewerkschaften verlangen die Rücknahme des Gesetzes und haben angekündigt, die bis August geplante Umsetzung mit weiteren Streiks verhindern zu wollen. Gleichzeitig bereiten die Gewerkschaften die gerichtliche Anfechtung der »Plünderung unserer Rentenkassen durch die Re­gierung« vor, da sie diese für verfassungswidrig halten. Notfalls wollen sie bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.
Die Regierung hat auf die massiven Proteste vor allem mit plumper Propaganda reagiert und sprach von »unverantwortlichen Streiks privilegierter Gruppen«. Interessanterweise sind allerdings Politiker von der Reform ausgenommen, sie erlangen bereits nach zehn Jahren den vollen Rentenanspruch, Minister sogar bereits nach vier. In Umfragen bezeichnen 80 Prozent der Befragten die Reform als sozial ungerecht und verlangen deren Rücknahme. Der Gewerkschaftsdachverband und die Gewerkschaft der öffentlich Angestellten haben bereits damit begonnen, Unterschriften zur Einleitung eines Volksbegehrens gegen die Rentenreform zu sammeln. »Da die gesamte griechische Bevölkerung von der Reform betroffen ist«, so ein Gewerkschaftssprecher, sei es nur natürlich, dass die »Gesellschaft über die Annahme der Reform« entscheide. Aller­dings ist für die Einleitung eines Volksbegehrens die Zustimmung von 180 Parlamentsabgeordneten nötig. Die Oppositionsparteien verfügen jedoch nur über 148 Abgeordnete.
Spekuliert wird jedoch darauf, dass sich Karamanlís durch den steigenden Druck – Ende der Woche sollen dem Parlament eine Million Unterschriften gegen die Reform übergeben werden – zu neuen Verhandlungen bereit erklären wird. Karamanlís schloss dies bisher allerdings kategorisch aus und kündigte stattdessen für die zwei­te Jahreshälfte an, die staatlichen Häfen, die Flughäfen, die Bahn, die Post und die Olympic Airways zu privatisieren.

Die verabschiedete Reform sieht eine Verlän­gerung der Lebensarbeitszeit um zwei bzw. fünf Jahre vor, in Sonderfällen sogar um bis zu zehn Jahre. Betroffen sind davon in der Mehrzahl Frauen. Gleichzeitig verlieren viele Beschäftigte, verglichen damit, wenn sie heute in Rente gingen, zwischen zehn und 40 Prozent ihrer Rentenansprüche. Männer und Frauen, die nach den derzeitigen Regelungen nach 35 Jahren lohnsteuerpflichtiger Arbeit im privaten Sektor mit 55 Jahren in Rente gehen können, sollen zukünftig bis 60 Jahre arbeiten. Mütter mit drei Kindern sollen in Zukunft bis 59 weiterarbeiten, während sie heute mit 56 in Rente gehen. Im öffentlichen Sektor und im Bankenbereich wird das Renteneintrittsalter für alle auf 60 Jahre angehoben. Ausgenommen sind Mütter mit minderjährigen Kindern, die jedoch statt wie heute mit 50 erst mit 55 Jahren ver­rentet werden sollen.

Auch im Bereich der Jobs, die körperlich schwer belasten, oder bei Berufen, die die Gesundheit gefährden wie z.B. auf dem Bau, bei der Feuerwehr oder bei Hafenarbeitern, wird das Renteneintrittsalter von 53 beziehungsweise 55 Jahren auf 58 Jahre angehoben. Die Höhe der dann ausgezahlten Renten verringert sich dadurch erheblich. In Griechenland ist die Rente mehrheitlich von der Höhe der in den einzelnen Spartenkassen angesparten Zusatzrenten abhängig. Da der Anteil der Zusatzrente, die heute oft die Hälfte der Gesamtrente ausmacht, auf höchstens 20 Pro­zent beschränkt wird, und zudem für jedes Jahr vorzeitigen Ruhestandes eine Rentenkürzung von sechs Prozent abgezogen wird, ergeben sich Rentenverluste von bis zu 40 Prozent.
Für Jobber, Tagelöhner und Migranten ohne feste Arbeitsstelle besteht nun zudem die Gefahr, aus der staatlichen Krankenversicherung heraus­zufallen. Waren sie bisher nach fünfzig steuerpflichtigen Arbeitstagen pro Jahr versichert, soll dies in Zukunft erst ab einhundert offiziellen Arbeitstagen pro Jahr gelten. Eine Hürde, die für die meisten unerreichbar ist, da viele Arbeitgeber, um Abgaben zu sparen, nicht bereit sind, Tagelöhner offiziell anzustellen.
Für fünf Gewerkschaftsführer der Gewerkschaft Genop-Dei, die beim staatlichen Strommonopolisten Dei aktiv ist, haben die Arbeitskämpfe der letzten Wochen inzwischen auch ein juristisches Nachspiel. Nachdem der oberste griechische Gerichtshof den Streik der Genop-Dei gegen die Rentenreform Mitte März für illegal erklärt hat, sehen sich die Gewerkschafter nun mit einem Ermittlungsverfahren wegen »Herbeiführung des allgemeinen Notstands« konfrontiert. Der zweiwöchige Arbeitskampf hatte zu täglichen Stromabschaltungen und Verkehrschaos in den Großstädten geführt.
Dennoch lassen sich die Gewerkschaften nicht abschrecken. Nachdem bekannt wurde, dass 20 Prozent der staatlichen Telefongesellschaft OTE an die Deutsche Telekom verkauft werden sollen, traten die Gewerkschafter der Firma am 26.März in einen dreitägigen Streik. Dieser soll weitergeführt werden, bis das Geschäft geplatzt ist.