Das Treffen der »Heimattreuen Jugend« in Lübeck

Vorsicht, Weltbürger!

Bei den Treffen der »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) werden Kinder und Jugendliche gedrillt. Der Verein gilt vielen als eine Nachfolgeorganisation der verbotenen Wiking-Jugend.

Die Innenstadt blieb der NPD versperrt. Am vergangenen Wochenende marschierten knapp 350 Neonazis in Lübeck auf, um allein der Deutschen zu gedenken, die in der Nacht zum Palmsonntag des Jahres 1942 starben, als die britische Luftwaffe die Stadt bombardiert hatte. »Die Ge­sin­nungs­­mafia trägt wieder die Fahnen der Täter«, schimpfte Thomas Wulf, Mitglied des Bundesvorstand der NPD und Kader der »Freien Kameradschaften«, als er die Gegendemonstranten erblickte: »Sie zeigen die britische, amerikanische und israelische Fahne.« Auch eine Sitzblockade ließ die Neonazis laut wettern, obwohl sie doch eigentlich schweigend durch die Stadt ziehen wollten. Wegen der Blockade mussten sie fast eine Stunde beim Bahnhof ausharren.

Mit dabei im Nieselregen: Anhänger und Freunde der »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ), die seit fast 17 Jahren Kinder und Jugendliche drillt. Bei der Gegenkundgebung vor dem Holstentor fragte daher Jürgen Klitzschmann, Geschäfts­­­füh­rer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in der Region Lübeck: »Warum schreitet nicht das Bundesinnenministerium gegen die HDJ ein?«
Selbstbewusst marschierte an jenem Samstag auch der Sohn von Manfred Börm mit. Papa, Mitglied des Bundesvorstandes der NPD und Leiter des Ordnungsdienstes, dürfte stolz sein. Seit Jahren bemüht sich die Familie Börm aus einem kleinen Ort nahe Lüneburg bei der HDJ um die rechte Erziehung. Der Sohn, der 2007 seinen Bundeswehrgrunddienst ableistete, hat bereits mit zu Sonnenwendfeiern geladen.
Seit etwa 1990 bemüht sich die HDJ um den politischen Nachwuchs. Im Vereinsmagazin Funkenflug legte der erste Bundesführer Alexander Scholz ihre Ziele dar: »Wir verpflichten uns Deutschland, indem wir geistige und körperliche Wehrhaftigkeit ausbilden.« Die pädagogischen und politischen Ziele der HDJ erklärt der heutige Bundesführer, Sebastian Räbiger, in der gleichen Zeitung nicht minder deutlich: »Wir brauchen Kämpfer von fanatischer Besessenheit und zäher Ausdauer.« Auf der HDJ-Website findet sich eine Warnung: »Eltern aufgepasst«, eine »Schar von internationalistisch/multikulturell gesinnten ›Leh­rerInnen‹« übernehme »einen Großteil der Erziehung« und forme die Kinder zu »multikulturell denkenden Weltbürgern«.
Die HDJ hat ihren Bundessitz in Berlin. Aus mehreren regionalen Einheiten besteht der Verein bundesweit. Zur Einheit »Nordland« etwa gehören Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen. Im schleswig-holsteinischen Plön wurde der Verein auch am 19. März 1990 unter der Nummer »672 PL« mit dem Namen »Heimatreue Deutsche Jungen (HDJ) – Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat« registriert. Noch im vergangenen Jahr hatte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums erklärt, die HDJ sei »eine rechtsextreme Organisation«, die zumindest »formal« nicht in der gesamten Republik aktiv sei, weswegen sich das Ministerium zu jener Zeit nicht für zuständig hielt. Doch das änderte sich schnell. Noch im Herbst untersagte es der Organisation, Uniformen zu tragen.

Gegen das Verbot trotzt die HDJ sichtbar auf ihrer Website. In einem Werbefilm stehen dort Kinder und Jugendlichen im Schnee beim Fahnenappell stramm. Aus dem Off erklingt eine Stimme: »Wir suchen den treuen und tapferen Gefährten, der mit uns schreitet zu neuen Werten.« Bekleidet sind die Zöglinge mit dunklen Jacken mit dem Logo der HDJ, einer roten Flamme auf schwarz-weißem Grund. Räbiger schreibt auch im Funkenflug trotzig: »Mäßig beeindruckt zeigen wir uns (…), dass man uns in die stillose BRDisten-Uniform zwingen will.«
In der vergangen Woche richtete die HDJ im Schul­landheim Limbach im sächsischen Vogtland wieder ein »Lager« aus – eine jener regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen, bei denen Kindern und Jugendlichen im Alter von sieben bis 25 Jahren eine »heimat- und volksbewusste Einstellung« beigebracht werden soll. Mit 50 Kindern hielten sie dort ihr »Osterlager« ab. Die örtlichen Behörden erfuhren erst von der mehrtätigen Veranstaltung, als die Presse nachfragte. Bis zum vorigen Sommer will nicht einmal die Landesregierung etwas von Aktivitäten der HDJ in Sachsen gewusst haben. Das berichtete Johannes Lichdi, Landtagsabgeordneter der Grünen, dessen Partei im August 2007 im Landtag über die HDJ informierte. Dass im März 2008 dennoch in Sachsen ein solches »Lager« stattfinden konnte, ist für ihn kaum zu fassen.
An Ostern hatte die HDJ auch im mecklenburg-vorpommerischen Tückhude ein »Familientreffen« ausgerichtet. Dort fand man sich ebenso in einem Landschulheim zusammen, dessen Betreiber der regionalen Presse erklärte, die »wirtschaftliche Not« treibe ihn dazu, der HDJ die Räum­lichkeiten zu vermieten. Die Behörden schritten nicht ein, weil sie »keine Gefahr für die öffentliche Ordnung« feststellen konnten. »Solche Einschätzungen können nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen werden«, sag­te Peter Ritter, der Vorsitzende der Linksfraktion des Landes. Es sei hinlänglich bekannt, dass dort mit rechtsex­tremem Gedankengut geschult werde.

»Jeder, der in der Szene was auf sich hält, schickt seine Kinder dorthin«, sagte Tanja P., eine Aussteigerin der rechten Szene, im Gespräch mit der Journalistin Andrea Röpke. »Die Kinder werden dort vorbereitet auf den zu erwartenden Straßen­kampf, auf Demonstrationen.« Tanja P. kennt sich aus, denn auch sie schickte früher zwei ihrer fünf Kinder zur HDJ. Nur ihr ältester Sohn war bei Veranstaltungen der Organisation unerwünscht. Denn der ist behindert. »Eine Katastrophe«, habe Manfred Börm gesagt.
Der Fraktionsvorsitzende der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs, schwärmt von der HDJ: »Die machen sehr gute Jugendarbeit, kann ich Eltern nur empfehlen.« Er selbst war bei der 1994 verbotenen Wiking-Jugend (WJ). Indessen hat der Innenexperte der SPD im Bundes­tag, Niels Annen, ein Verbot des Vereins gefordert. Vielen Experten gilt die HDJ als eine Nachfolge­organisation der WJ. Der Rechtswissenschaftler Günther Frankenberg betonte im Gespräch mit dem ARD-Magazin »Panorama«: »Die HDJ ist deshalb besonders gefährlich, weil sie zugreift auf die Seele von Kinder und Jugendlichen.« In den vergangenen Wochen beobachtete Röpke, dass die HDJ vereinzelt auch Jugendliche anspreche, die noch nicht zur Szene gehörten.