Der oberste Journalist

Es war einmal ein revolutionärer Kämpfer und »manischer Verehrer der RAF« (Christian Y. Schmidt), der einen Hang zum Pathos und zur Parataxe hatte. Und so schrieb er, mit fiebriger Stirn, nach dem Tod dreier im Gefängnis verschiedener RAF-Mitglieder: »Drei erlöschen nach innen – aber es strahlt nach außen. Noch ihr Tod ein Sprengsatz. Es war ihr Tod. Und es war ein Sieg.« Die RAF war ihm zu jener Zeit nicht radikal genug, »noch viel zu wenig Privatkrieg, nicht böse, verstockt, schmutzig, egoistisch genug«.
Der Mann gehörte vor 35 Jahren »zu den wenigen Dauerrednern auf den Spontiplenen« (C. Y. Schmidt), was man sich heute gut vorstellen kann, denn viel reden und andere belehren und erbauliche Zeitgeistprosa aufs wehrlose Papier schreiben, das tut er heute noch gerne. Und das, obwohl er die deutsche Sprache so gut beherrscht wie Rudolf Scharping das Salsatanzen und zu Recht nur von Leuten, die Gütersloh für eine Metropole halten, für einen Intellektuellen gehalten wird.
Nun ist Thomas Schmid, der am 1. April auf der Medienseite der Süddeutschen Zeitung zum »obersten Journalisten« befördert wurde, weil er selbigentags »beim Axel-Springer-Konzern die redaktionelle Gesamtverantwortung für alle Welt-Titel« übernahm, freilich nicht der einzige Ex-Revoluzzer, der heute dem Volke dient, indem er als leitender Propagandist in einer der Zentralen des Kapitals sitzt, doch ist gerade sein Lebensweg besonders anschaulich: erst revolutionärer Öko-Sponti, später Taz-Leitartikler, dann Junge Freiheit-Beiträger, Hamburger Morgenpost, Welt und FAZ, heute »oberster Journalist« im Hause Axel Springer, wo er »die versprochene Enteignung Springers jetzt als Chefredakteur der Welt betreibt« (Hermann L. Gremliza).
40 Jahre hat er gebraucht, um nun, erloschen nach innen, aber strahlend nach außen, endlich uneingeschränkt an geeigneter Stelle seinen Privatkrieg führen und die Segnungen des Kapitalismus loben zu können. Und es ist ein Sieg.