Diskriminierung von Christen in Algerien

Verführerische Gebete

Die algerische Regierung verstärkt den Druck auf die christlichen Gemeinden, ­denen vorgeworfen wird, die Werte der Mehrheitsgesellschaft zu untergraben. Die Maßnahmen treffen vor allem marginalisierte Bevölkerungsgruppen.

Macht frenetisches Beten kriminell und gewalttätig? Besteht eine Gefahr für die Stabilität des Staates, wenn eine Religionsgruppe ihre Gebete in Kellern und Garagen verrichtet, statt sie von genehmigten Kultstätten aus zum Himmel zu schicken? Hört man dem algerischen Religionsminister Bouabdallah Ghlamallah zu, fühlt man sich an die Äußerungen abendländischer Law-and-Order-Politiker erinnert, die sich um die Sicherheit ihres Staates sorgen, die von Muslimen gefährdet werde. Dem muslimischen Minister geht es allerdings um christliche Minderheiten, denen vorgeworfen wird, den Staat zu untergraben und die Werte der Mehrheitsgesellschaft in Frage zu stellen.

Die algerischen Behörden sind in den vergangenen Wochen und Monaten verstärkt gegen »illegale« Aktivitäten christlicher Gemeinden vorgegangen. In dem nordafrikanischen Land gehören 98 Prozent der Bevölkerung der sunnitischen Richtung des Islam an. 14 000 Moscheen gibt es bereits, 4 800 sind im Bau. Dagegen gibt es offiziell 32 protestantische Kirchen in Algerien, von denen 14 in jüngster Zeit Schließungsverfügungen erhalten haben, wegen nicht gesetzeskonformer religiöser Betätigung. Es existieren allerdings keine Anzeichen dafür, dass die christlichen Aktivisten daran gearbeitet hätten, die algerische Regierung zu stürzen – anders als manche Strömungen des algerischen Islamismus.
Zudem wurden gegen mehrere christliche Kirchenvertreter wegen »missionarischer Bemühungen« Strafen verhängt oder Ausweisungsverfügungen erlassen. Grundlage für das staatliche Vorgehen gegen christliche Gemeinden ist ein Gesetz, das am 28. Februar 2006 verabschiedet worden ist. Es bedroht denjenigen, der »einen Muslim dazu auffordert, zwingt oder durch Einsatz verführerischer Mittel dazu veranlasst, eine andere Religion anzunehmen«, mit zwei bis fünf Jahren Haft oder einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 5 000 bis 10 000 Euro.
In den vergangenen zwei bis drei Jahren fanden sich in der algerischen Presse immer wieder mehr oder weniger hysterische Berichte über die Missionierungsbemühungen ausländischer, oft nordamerikanischer Evangelikaler insbesondere in der Berberregion Kabylei. Die große Mehrheit der im Land lebenden Christen ist protestantisch. In der Umgebung der Bezirkshauptstadt Tizi-Ouzou befinden sich rund 20 Kirchen, zwei Drittel aller protestantischen Gotteshäuser des Landes. Tatsächlich war in den vergangenen zehn Jahren eine Wiederbelebung des Christentums in der Region zu beobachten, die mit der Tätigkeit der streng protestantischen Missionare zusammenhängt. Sie treffen auf Bestrebungen innerhalb der berberischen Gesellschaft, sich von allem Arabischen abzugrenzen. Nach dem Scheitern der politischen Bewegungen in der Region, die die Gleichberechtigung der berberischen Kultur neben der arabischen mit sozialen Fragen verknüpft hatten, suchen viele Berber nun neue Identitäten, um sich gegen die ihnen oftmals aufgezwungene Arabisierung zu wehren. In dem Bemühen, jeglichen Bezug zur »arabisch-muslimischen Leitkultur« abzulegen, wendet sich ein Teil der Gesellschaft auch dem Christentum zu.

In Algerien dient dies nun unterschiedlichen politischen Kräften als Projektionsfläche, um alle möglichen Gefahren zu beschwören. Die legale islamistische Partei En-Nahda glaubte etwa Ende März, eine Verbindung zwischen der angeblichen Untergrabung der islamischen Werte durch den wachsenden christlichen Einfluss und dem Anwachsen der Kriminalität zu erkennen. Die Christen werden als »Hauptursache« dafür angeführt, dass es immer mehr Verbrechen gibt. Dabei nutzen die legalen, der Regierung nahe stehdenden Islamisten von En-Nahda und MSP/Hamas die Warnung vor den Mis­sio­nie­rungs­be­stre­bun­gen im Sinne ihrer tradi­tionellen Frontstellung gegen die Region Kabylei, deren Bewohnern sie seit längerem vorwerfen, den arabisch-muslimischen Charakter Algeriens in Frage zu stellen.
Demgegenüber äußerte Religionsminister Bouabdallah Ghlamallah sich sogar recht moderat, als er auf einer Pressekonferenz am 28. März betonte, es sei alles nicht so dramatisch: »Die evangelikalen Aktivitäten vollziehen sich weltweit und sind keine Besonderheit Algeriens.« Panik sei nicht angebracht, zudem seien im vergangenen Jahr in Algerien auch 120 Ausländer zum Islam konvertiert.
Am 30. Januar dieses Jahres wurde der katholische Priester Pierre Wallez, ein französischer Staatsbürger, in der Stadt Maghnia nahe der marokkanischen Grenze zu einem Jahr Haft verurteilt, die Strafe wurde auf Bewährung ausgesetzt. Sein Berufungsprozess ist derzeit vor dem Obersten Gerichtshof anhängig. Wallez wurde vorgeworfen, in der Weihnachtszeit einen christlichen Gottesdienst außerhalb eines dafür genehmigten Gebäudes, anscheinend unter freiem Himmel, in einem Slumviertel von Maghnia abgehalten zu haben. An der Versammlung hatten rund 30 Migranten aus dem subsaharischen Afrika teilgenommen, überwiegend christliche Kameruner.

Es handelte sich also keinesfalls um den Versuch, Algerier zur Abkehr von ihrem Glauben zu verführen. Und hier zeigt sich ein weiterer Aspekt des derzeit stärker ausgeübten staatlichen Drucks auf Formen christlicher Betätigung. Es trifft in der Praxis vor allem solche Bevölkerungs­gruppen, die auch in Algerien besonders rechtlos sind, nämlich Ein- bzw. Durchwanderer aus dem subsaharischen Afrika. Zusammen mit dem Priester Wallez wurde auch ein algerischer Arzt zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, dass er die Afrikaner kostenlos mit Medikamenten behandelt habe, die er angeblich aus dem Gesundheitszentrum von Maghnia gestohlen haben soll.
Unterdessen wurde am 17. März in Algier ein Aufruf von prominenten Intellektuellen des Landes publik, der sich »gegen Intoleranz« richtet. Seine Unterzeichner sprechen sich für »die Glaubens- und Gewissensfreiheit« aus und solidarisieren sich »mit der christlichen Gemeinde gegen die ebenso brutalen wie ungerechtfertigten Maßnahmen«. Zu den Unterstützern zählen solch prominente und populäre Personen wie der Karikaturist Ali Dilem, der kritische Historiker des algerischen Unabhängigkeitskriegs, Mohammed Harbi, und der frühere Vorsitzende der algerischen Liga für Menschenrechte, Ali Yahia Abdenour. Über ihren Aufruf wird nun in der algerischen Öffentlichkeit viel diskutiert.