Interview mit Souleymane Ndiaye, Verbrauchervereinigung Senegals

»Wir sind keine Abenteurer«

Der Slogan »Contre la vie chère« (»Gegen das teure Leben«) verbindet derzeit die Proteste in vielen Ländern des französischsprachigen Afrika. Am 30. März organisierte die Association des consommateurs du Sénégal (Ascosen) eine Demonstration gegen den Anstieg der Lebenshaltungskosten in der senegalesischen Haupt­stadt Dakar. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und staatlichen Sicherheitskräften. Die Demonstration wurde aufgelöst. Ascosen ist die älteste Verbrauchervereinigung im Senegal und wurde 1989 gegründet. Souleymane Ndiaye ist der Exekutivsekretär der Organisation.

Was war der Auslöser für die Proteste, die vor zwei Wochen im Senegal stattfanden?

Seit einigen Monaten erleben wir einen enormen Anstieg der Lebenshaltungskosten. Deshalb haben wir am Sonntag, den 30. März, die Regierung dazu aufgefordert, etwas zu unternehmen, um den Verbraucherinnen und Verbrauchern das täg­liche Überleben zu erleichtern.

Was passierte dann an jenem Sonntag genau?

Wir hatten für diesen Tag den Antrag gestellt, ei­ne Bürgerrechtsdemonstration durchführen zu können. Die Demonstration und auch ein Sit-in vor einem öffentlichen Gebäude wurden jedoch von der Präfektur verboten. Daraufhin haben wir gesagt: »Wir sind Demokraten, wir respektieren die Republik, wir werden das Verbot nicht gewalt­sam übertreten. Aber wir werden dennoch an den Ort gehen, um die Bürger zu treffen, die zu der Versammlung gehen wollten, um sie aufzufordern, mit uns eine Pressekonferenz abzuhalten.« Die Leiter dieser Veranstaltung wurden dann von der Polizei abtransportiert. Die Bevölkerung ging daraufhin auf die Straße, um sich mit den Festgenommenen zu solidarisieren.

Um wen handelt es sich bei den Festgenommenen?

Das sind Momar Ndao und Jean-Pierre Dieng. Der erste ist Vorsitzender unserer Vereinigung Ascosen. Dieng ist Vorsitzender der »Nationalen Union der Konsumenten des Senegal« (UNCS). Beide wurden nach ihrer Verhaftung dem Staatsanwalt vorgeführt, weil ihnen vorgeworfen wird, die öffentliche Ordnung gestört, die behördlichen Anordnungen nicht befolgt und Sachbeschädigung begangen zu haben. Dies bezieht sich darauf, dass Demonstranten einen Bus angezündet haben sollen. Fast 20 Anwälte haben sich daraufhin zu ihrer Verteidigung gemeldet, unter ihnen Maître Kane, der selbst einer Verbrauchervereinigung, der SOS Consommateurs, vorsteht.

Drohen den Festgenommenen harte Strafen?

Nein, das hoffen wir jedenfalls nicht. Wir glauben weiterhin, dass es sich nur um ein Missverständnis der Polizei handeln kann. Diese glaubte, die Autorität des Staates werde von unserem Protest angegriffen, dabei war das nicht der Fall. Wir sind keine Abenteurer, sondern verant­wor­tungs­bewusste Bürger.

In welcher Größenordnung bewegt sich dieser Preisanstieg und in welchem Verhältnis steht er zu den Löhnen?

Der durchschnittliche Lohn im Senegal liegt umgerechnet zwischen 80 und 100 Euro pro Monat. Viele Menschen haben aber keinen festen Lohn oder ein regelmäßiges Einkommen, sondern arbeiten im so genannten informellen Sektor, etwa als Weiterverkäufer von Waren auf der Straße. Das Einkommen dieser Menschen liegt weit unter dem derjenigen, die einen regulären Arbeitsplatz haben. Verschiedene offizielle Statistiken be­legen, dass die Senegalesen im Durchschnitt mit höchstens zwei Euro am Tag auskommen müssen. Seit mehreren Monaten sind die Lebenshaltungskosten derart in gestiegen, dass viele Menschen sich nicht einmal mehr als eine Mahlzeit pro Tag leisten können. Die Milch kostet rund 46 Cents pro Liter; der Preis hat sich innerhalb weniger Monate fast verdoppelt. Reis, das wichtigste Grundnahrungsmittel im Senegal, ist im selben Zeitraum um fast die Hälfte teurer geworden.

Was sind die Ursachen für diese drastische Verteuerung?

Häufig wird die weltweite Konjunktur angeführt, etwa der gestiegene Bedarf der asiatischen Länder sowie die Verteuerung von Rohöl und damit auch des Treibstoffs. Aber dies ist mitunter nur ein Vorwand, um die Preise für die Konsumenten zu erhöhen. Wir liegen in der französischen Währungszone: Der Franc-CFA war früher an den französischen Franc und ist jetzt an den Euro angekoppelt. Aber das Erdöl, das im Senegal verbraucht wird, bezahlen wir in Dollar. Aufgrund des im Vergleich zur EU-Währung niedrigen Dollarkurses hätte das hierzulande verbrauchte Roh­öl aber demzufolge für uns nicht teurer, sondern billiger werden müssen. Dass das Öl sich verteuert hat, ist also in diesem Fall nur ein Vorwand, mit dem den Konsumenten mehr Geld abverlangt wird.

Hat die Regierung Vorschläge dafür, wie man die Konsequenzen der Verteuerung für die senegalesische Bevölkerung in Grenzen halten könnte?

Drei Tage vor den Auseinandersetzungen vom vor­vergangenen Sonntag hatte der Conseil natio­nal de la consommation (Nationaler Verbraucher­rat) getagt. Ihm gehören alle wichtigen wirtschaftlichen Akteure an: der Staat, Vertreter der Händler und Geschäftsleute, die Industrie, die Verbraucher­verbände sowie Vertreter der Medien. Der Handelsminister hat uns aus diesem Anlass aber nur gesagt, dass es nicht möglich sein wird, die Krise vor dem Jahr 2015 zu lösen. Bis dahin sollen die strukturellen Probleme beim Reisanbau, die in unserer Landwirtschaft bestehen, behoben sein. Unsere Organisation fordert seit Jahren, dass Ver­besserungen beim Anbau dieses wichtigsten Grund­nahrungsmittels erfolgen müssen. Bis zum Jahr 2015 können die Leute aber nicht warten.
Die Republik muss etwas tun. Es gibt einheimische Geschäftsleute und Zwischenhändler, die durch Spekulation den Anstieg der Preise und da­mit die Folgen für die Bevölkerung noch ver­schlim­mern. Wenn der Weltmarktpreis für ein Produkt um zehn Prozent steigt, dann nehmen Zwischenhändler sowie Geschäftsbesitzer hier im Senegal die dadurch ausgelöste Verknappung zum Anlass, um beim Verbraucher gleich 20 bis 30 Prozent mehr zu verlangen. So ist der Preis für ein Kilo Seife bei den Industriellen um 44 Prozent auf um­gerechnet 2,10 Euro gestiegen, er wird aber auf einem Niveau von 2,50 Euro an den Verbraucher weitergegeben.

Was fordert Ihre Organisation von der Regierung?

Wir haben vom Staat verlangt, dass er für eine Trans­parenz der Preise sorgt. Er sollte im Zusammenspiel mit den verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Akteuren eingreifen und bestimm­te Preismarkierungen oder -obergrenzen festlegen. Zusätzlich sollte er sich um ein Problem küm­mern, das die Budgets der einzelnen Haushalte übermäßig belastet, nämlich die Höhe der Mieten. Im Zentrum von Dakar kostet der Quadratmeter inzwischen 20 000 Franc-CFA, umgerechnet etwa 30 Euro, Miete. Dazu kommen noch die Nebenkosten. Das sind Preise, die im Vergleich zu den Einkommen mit denen in europäischen Hauptstädten vergleichbar sind. Hier sollte der Staat durch Gesetze zur Mietpreisbindung und ähnliche Maßnahmen reagieren. Wir haben der Regierung also lediglich gesagt: »Achtung, heute können viele Bürger die stetige Verschlimmerung ihrer Situation kaum noch ertragen.« Aber es wurde keine einzige konkrete Maßnahme angekündigt.

Der senegalesische Präsident hat aber inzwischen eine Stellungnahme abgegeben.

Ja, am vergangenen Donnerstag, am Vorabend des Nationalfeiertags, dem Jahrestag der senegalesischen Unabhängigkeit am 5. April, ist Präsident Abdoulaye Wade in seiner Rede auf unsere Forderungen eingegangen. Er hat angekündigt, dass die Behörden in Zukunft die Spekulation der Geschäftsleute überwachen wollen und jene, die vom Elend der Leute profitieren, verfolgen werden. Er hat auch versprochen, dass der Staat Nahrungsmittel und Güter des täglichen Grundbedarfs subventionieren wird. Außerdem hat Wade angekündigt, dass er einen breiten sozialen Dialog einleiten wird und dass untere Einkommensschichten von Steuerlasten in Höhe von rund fünf Milliarden Franc-CFA entbunden werden. Wir sind gespannt, ob diese Versprechen ein­gehalten werden.