Wie Hamburg schwarzgrün wird

Bürgerlich und Spaß dabei

Diese Woche stellen die CDU und die Grün-Alternative Liste in Hamburg ihren Koalitionsvertrag vor.

Versuchte Christa Goetsch im Wahlkampf noch, mit einer besonders strengen Gestik ihre Sachkenntnisse zu unterstreichen, wirkt sie seither wie die Moderatorin einer Dauerwerbesendung. Strahlend schwärmt die Spitzenkandidatin der Grün-Alternativen Liste (Gal) bei jeder Gelegenheit davon, wie prächtig man sich mit dem Personal der CDU im Stadtstaat verstehe, und wirbt angestrengt für eine Regierungsbildung mit den bislang allein regierenden Konservativen. Vor allem die eigenen Parteimitglieder müssen davon überzeugt werden, denn sie haben den Koalitions­vertrag, der diese Woche vorgestellt werden soll, auf ihrer Landesversammlung am 27. April abzusegnen.
Während den Verhandlungen in den vergangenen Wochen meldeten die beiden potenziellen Koalitionspartner täglich neue Erfolge auf dem Weg zum »historischen« Bündnis. Zwei Parteien freunden sich an. Da wurden »Brücken gebaut«, »Gräben zugeschüttet« und »Dickschiffe auf den Weg gebracht«. Die Grünen entdeckten, begleitet von einer ausgesprochen freundlichen Berichterstattung in Springers Hamburger Abendblatt, ganz neue Seiten an sich. Herrlich »unverkrampft« und endlich nicht mehr so ideologisch beladen wie früher ist man jetzt. Jürgen Trittin, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, unterstützte die Gal von Berlin aus mit der indirekten Ankündigung, man wolle sich auch im Bund künftig die Möglichkeit einer schwarz-grünen Koalition offenhalten, und Ralf Fücks, Vor­standsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, unterbreitete in der taz gar den Vorschlag, man könne sich doch den »Brückenschlag zwischen Umweltbewegung und Handelskammer« zu einem politischen Ziel machen.

Nur das vereinzelte Gemecker von Mitgliedern der Gal, die die Einladung des Ersten Bürgermeisters, Ole von Beust (CDU), »gesichtswahrend über den eigenen Schatten zu springen«, nicht annehmen wollten, passte nicht ganz in die heitere Inszenierung. Vasco Schultz ist aus Protest gegen die schwarz-grüne Annäherung von seinem Amt als Bezirksvorsitzender der Gal in Wandsbek zurückgetreten. »Wenn man Leute auf der Straße fragt, wofür die Grünen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik stehen, weiß das keiner«, sagt er. »In so einer Situation mit der CDU zusammenzugehen, wird das Problem kaum lösen.«
Aber es muss ja auch nicht alles klappen. Kriege abzulehnen, den Kapitalismus zu kritisieren und die Natur zu schützen, hat in der Geschichte der Grünen ja auch nicht immer hundertprozentig funktioniert. Und ein »Brückenschlag zwischen Umweltbewegung und Handelskammer«, das wäre doch schon was! Immerhin, dann klappt’s vielleicht auch wieder mit dem Regieren.
Was die Gal jedenfalls unter keinen Umständen sei, machte Christa Goetsch auf der letzten Mitgliederversammlung der Partei in der Hamburger Handelskammer deutlich: »geil auf Macht« nämlich. Vielmehr biete sich den Grünen durch die Zusammenarbeit mit der CDU die Gelegenheit, »Ökologie und Ökonomie kreativ miteinander zu verbinden«. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Oswald Metzger, der kürzlich sein grünes Parteibuch gegen eines von der CDU eingetauscht hat, ist da etwas freier: »Die Grünen nähern sich habituell ihren Herkunftsfamilien an.«

In manchen politischen Fragen sind sich die Gal und die bisherigen Senatsmitglieder ohnehin einig. Dem CDU-Konzept der »Wachsenden Stadt«, mit dem vor allem reiche Steuerzahler in Hamburg angesiedelt werden sollen, hat die Gal zu der Zeit, als sie noch in der Opposition war, ebenso zugestimmt wie dem millionenschweren Prestigeprojekt »Elbphilharmonie« für die neue Hafencity. Die Restbestände grüner Dissidenz bestanden im Bürgerschaftswahlkampf vor allem darin, eine weitere Vertiefung der Elbe und den Bau eines neuen Kohlekraftwerks im Stadtteil Moorburg abzulehnen.
Und wo keine Einigkeit besteht, herrscht eben Pragmatismus: In den Bereichen Bildung, Verkehr und Stadtentwicklung haben sich beide Parteien, ganz nach hanseatischer Kaufmannsart, in der Mitte getroffen. Die Gal wollte eine gemeinsame Schule bis zur neunten Klasse, die CDU, wie gehabt, nur bis zur vierten. Zukünftig soll bis zur sechsten Klasse gemeinsam gelernt werden. Die Gal wollte die Studiengebühren abschaffen, die CDU sie beibehalten. Nun sollen die Gebühren von 500 auf 375 Euro gesenkt werden und die Summe soll erst nach dem Ende des Studiums fällig werden. Ein gebührenfreies Erststudium, wie es die Gal im Wahlkampf gefordert hat, ist zwar etwas anderes. Doch von ihrem Wahlprogramm hat sich die Gal schon nicht mehr irritieren lassen, als die SPD kürzlich in der Bürgerschaft über die Studiengebühren abstimmen ließ. Die SPD und »Die Linke« stimmten für die ihre Abschaffung der Gebühren, die Gal dagegen – die Koalitionsverhandlungen hatten bereits begonnen.
In der Verkehrspolitik jubelt die Gal derzeit über die teilweise Wiedereinführung der Straßenbahn. Dafür akzeptiert sie den Bau von Autobahnen und Umgehungsstraßen im Süden Hamburgs, gegen die sie früher aus ökologischen Gründen gemeinsam mit Bürgerinitiativen protestierte. Und die von der Gal vor den Wahlen kategorisch ausgeschlossene Zustimmung zu einer weiteren Vertiefung der Elbe ist dem Vernehmen nach doch vereinbart worden.

Kurioserweise ist über die Themen, bei denen die Gal und die CDU politisch am weitesten auseinanderliegen, während der Koalitionsverhandlungen, ebenso wie zuvor im Wahlkampf, am we­nigsten gesprochen worden. Zwar pflegen die Ham­burger Konservativen gerne ihr Bild als »liberale Großstadt-CDU«. Doch fällte der alte Senat unter den unionsregierten Bundesländern, die Innenpolitik betreffend, die rigorosesten Entscheidungen der Republik, neben Bayern. Gerade gegen die innenpolitischen Entscheidungen, zunächst noch beeinflusst von Ole von Beusts erstem Koalitionspartner, dem Rechtspopulisten Ronald Schill, später etwa vom ehemaligen Justizsenator Roger Kusch, hatte die Gal durchaus vernehmbar opponiert. Mit Kuschs Forderung nach der Abschaffung des Jugendstrafrechts konnte selbst ein Roland Koch im Wahlkampf nicht mithalten. Im Jahr 2005 verabschiedete die Hamburger CDU »Deutschlands härtestes Polizeigesetz«, wie sie selbst es nannte, daneben rühmt sich die Stadt seit einigen Jahren damit, Sammelabschiebungen aus ganz Europa initiiert zu haben.
Und künftig? Der gegenwärtige Abschiebe­stopp für afghanische Familien mit Kindern soll verlängert werden, wie Christa Goetsch auf der Pressekonferenz der angehenden Koalitionäre zur Innenpolitik stolz verkündete. Dieses Zugeständnis dürfte der CDU jedoch nicht allzu schwer gefallen sein: Nach Informationen des Hamburger »Netzwerks Afghanistan Info« sind von den ursprünglich mehreren tausend afghanischen Bürgerkriegsflüchtlingen derzeit ohnehin nur noch ein paar Dutzend Familien in Hamburg »abschiebbar«. »Die meisten sind inzwischen auf andere Bundesländer verteilt oder abgeschoben worden, andere sind ohnehin durch die neue Bleiberechtsregelung geschützt«, sagte Conni Gunnßer vom Hamburger Flüchtlingsrat. Der Abschiebestopp solle »natürlich« nicht für straffällige Afghanen gelten, ergänzte Goetsch auf der Pressekonferenz.

Mit dem »Politikwechsel«, für den die Gal im Wahlkampf geworben hatte, scheint es in Hamburg also voranzugehen, wenn auch zunächst nur allmählich. Bevor sie gleich die ganze Landespolitik verändert, ändert sich die Gal erst einmal selbst. Die gute Laune lässt sie sich dabei nicht nehmen. Auf einer Veranstaltung der Zeit in den Hamburger Kammerspielen am Sonntag scherzte Christa Goetsch darüber, wie weit die Gal in Hamburg doch gekommen sei seit »den Zeiten von Birkenstock-Sandalen und Palästinensertüchern«. Dem Herausgeber der Zeit, Josef Joffe, schlug sie vor, kleine Windräder auf dem Dach des Redaktionsgebäudes zu montieren – ganz spaßig gemeint natürlich. Den größten Lacher erntete sie jedoch, als sie auf die Frage nach dem veränderten »grünen Milieu« mit einer Gegenfrage antwortete: »Was ist denn so schlimm an ›bürgerlich‹?«