Die Konflikte im Senegal und in der Côte d’Ivoire

Nach dem Tanz die Militanz

Vor allem in Afrika nehmen die Proteste gegen den Preisanstieg zu. In der Côte d’Ivoire führen die sozialen Spannungen auch dazu, dass ethnisierte und rassistische Konflikte in den Hintergrund treten.

Rund um den Globus führen die steigenden Lebensmittelpreise derzeit zu Protesten und Revolten. Mit Abstand am stärksten von dem Phänomen der sich ausbreitenden Brotrevolten wird jedoch der afrikanische Kontinent erfasst. Im südostafrikanischen Moçambique kam es bereits im Februar zu heftigen Auseinandersetzungen, die sechs Tote und über 100 Verletzte zur Folge hatten. Das Zentrum bildet jedoch das französischsprachige Westafrika. Zunächst erschütterten spontan ausgebrochene Riots in der zweiten Februarhälfte Burkina Faso und Kamerun. Zu einer zweiten Welle von Protesten kam es seit dem 30. März unter anderem in den Staaten Sene­gal, Côte d’Ivoire und erneut Burkina Faso. Auch aus Mauretanien und Guinea-Bissau wurden in jüngster Zeit vergleichbare Eskalationen vermeldet.
Mal handelt es sich um relativ spontane, von niemandem organisierte Ausbrüche von Zorn und Frustration. Ein andermal sind Gewerkschaf­ten und Arbeiterorganisationen die Akteure, wie in Togo, wo der »Gewerkschaftsübergreifende Aus­schuss der togolesischen Arbeiter« zunächst einen Generalstreik für den 29. Februar anberaumte ,– diesen aber abblies, nachdem die Regierung wichtige Zugeständnisse in Aussicht gestellt und Verhandlungen darüber eröffnet hatte.

Auch in Burkina Faso haben die Gewerkschaften nach der ersten Welle des sozialen Aufruhrs die Strukturierung des Protests übernommen. Am 15. März hatten sie zu erneuten Straßendemons­trationen im ganzen Land aufgerufen – nach den spontanen Protestmärschen in den Tagen davor. Am Dienstag und Mittwoch vergangener Woche organisierten sie nun einen Generalstreik und eine »Operation tote Städte«, indem sie auch die Händler und kleinen Ladenbesitzer dazu aufforderten, ihre Geschäfte für die Dauer des Streiks dicht zu machen. Schon lange kam es nicht mehr zu einer so breiten Front der gesellschaftlichen Opposition wie vergangene Woche.
Die Regierenden reagieren in der Regel mit der Strategie von Zuckerbrot und Peitsche. Einerseits gehen sie repressiv gegen die Unruhen vor. Bei den Spontandemonstrationen in der Wirtschafts­metropole der Côte d’Ivoire, Abidjan, etwa kam es nach dem 31. März zu zwei Toten und zehn Schwer­verletzten, nachdem die Polizei von Schuss­waffen sowie Tränengas Gebrauch gemacht hatte. Im Senegal war der Polizei bei den Auseinandersetzungen mit den Protestierenden die Munition ausgegangen, sodass sich am Ende beide Seiten mit Steinen bewarfen. Die beiden »Rädelsführer«, in Wirklichkeit die Vorsitzenden zweier eher staatstragender Verbrauchervereinigungen, wurden vor Gericht gestellt (Jungle World 15/08). Die Staatanwaltschaft forderte am Montag je sechs Monate Haft auf Bewährung. Insgesamt kam es zu 24 Verhaftungen. Sowohl im Senegal als auch in der Côte d’Ivoire gingen die staatlichen Sicherheitskräfte zudem gegen Journalisten vor, die die Ereignisse gefilmt hatten. Ein Lokalradio in Abidjan sowie der Privatfernsehsender Walf Fadjri in der senegalesischen Hauptstadt Dakar wurden jeweils von einem starken Polizeiaufgebot durchsucht, Videokassetten beschlagnahmt.
Gleichzeitig verkünden die Regierungen aber auch Maßnahmen, die die soziale Not der Unterklassen lindern sollen. Dazu gehören die Senkung oder Aussetzung der Importsteuern auf bestimm­te Grundnahrungsmittel oder Güter des täglichen Bedarfs sowie die Subventionierung der wichtigs­ten Nahrungsmittel.

In der internationalen Arbeitsteilung firmieren diese afrikanischen Staaten in der Regel als reine, durch die frühere koloniale Wirtschaftsordnung zudem auf wenige Stoffe festgelegte Rohstoff­lieferanten im Bergbau- oder auch, wie im Falle der Côte d’Ivoire, im Agrarbereich. Die Exporte der hoch subventionierten und hoch produktiven Agrarindustrie Westeuropas und der USA haben in den vergangenen Jahren die einheimische Agrar­produktion dieser Länder ruiniert, weshalb sie einen hohen Anteil an ihrem Nahrungsmittelbedarf importieren müssen.
Zudem finanziert der Staat in solchen Ländern, in denen nur wenig verarbeitete Produkte erzeugt und stattdessen vorwiegend Rohstoffe exportiert sowie Bedarfsgüter importiert werden, sich nicht über die Besteuerung von Industrieproduk­tion. Sondern eben vorwiegend über die Besteuerung von Ein- oder Ausfuhr. In der Regel macht die Importsteuer auf eingeführte Grundbedarfsgüter in den afrikanischen Kernländern mindestens 25 Prozent der Staatseinnahmen aus. Den informellen Sektor, der einen Gutteil der Wirt­schafts­aktivitäten im Lande beherrscht, kann der Staatsapparat schließlich nicht oder kaum besteuern. Deswegen aber haben die Regierungen oft nur die schlechte Wahl, die hohe Auslandsverschuldung unangetastet zu lassen und den dringlichsten sozialen Bedürfnissen nachzugeben – oder aber über diese Bedürfnisse hinwegzugehen und heftige Spannungen zu riskieren.

Die aktuellen Proteste sind aber auch ein interessantes Anzeichen dafür, dass sich die politischen Verhältnisse in der Region gründlich verändert haben. Denn als die Côte d’Ivoire – das frühere »wirtschaftliche Modellland« und Vorzeigestück des westafrikanischen Kapitalismus – seit den späten neunziger Jahren wegen sinkender Weltmarktpreise für Kakao in die Krise zu schlittern begann, kam es zunächst nicht zu sozialem Protest. Vielmehr gewann das rassistische Konzept der »Ivoirité« an Popularität, mit dessen Hilfe die »echten« Ivoirer von den Nachfahren der Einwanderer aus den nördlichen Nachbarstaaten – und vor allem aus Burkina Faso – unter­schieden werden sollten. Nur die »echten« Ivoirer sollten Zugang zu politischen Ämtern haben, aber auch vorrangig von Arbeitsplätzen und sozialen Rechten profitieren. Dieses chauvinistische Blut- und Boden-Prinzip wurde zwar vor allem von der politischen Klasse verbreitet und erwuchs nicht aus der Bevölkerung, zu Anfang dieses Jahrzehnts standen sich dennoch die Bewohner der christlich-animistischen Südhälfte des Landes und des muslimischen Nordens auf unterschiedlichen Seiten eines militärisch ausgetragenen Konflikts gegenüber.
Heute ist alles anders. Seit dem Friedensabkom­men vom März 2007 haben sich Regierungskräfte und frühere Rebellen auf eine faktische Machttei­lung geeinigt. Laurent Gbagbo blieb Präsident, und der ehemalige Rebellen-Führer Guillaume Soro wurde sein Premierminister. Zudem sollten bis Frühjahr dieses Jahres Neuwahlen organisiert werden. Dazu wird es aber nicht so bald kommen. Beide Seiten blockieren sich gegenseitig und konnten sich bisher auf keinerlei Wahl­modus einigen.
Immerhin aber spielen die so genannte eth­nischen Spaltungslinien heute kaum noch eine Rolle. Zu groß sind die sozialen Gegensätze und die Enttäuschung der »Basis« auf beiden Seiten geworden, sodass ihre jeweiligen Führer nicht mehr wie früher ihre Aura als nationalistische Volkstribunen ausspielen und dadurch die Bevölkerung mobilisieren können. Am 8. November vergangenen Jahres verkündete die Regierung, dass die Aufenthaltstitel für alle Bürger der West­afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft abgeschafft werden. Das bedeutet, dass deren Staatsangehörige sich, ohne eine Aufenthaltserlaubnis beantragen zu müssen, jederzeit in der Côte d’Ivoire aufhalten und niederlassen können.
Das Armenviertel Youpougon in der Metropole Abidjan, wo am 31. März das Zentrum der heftigen Zusammenstöße zwischen Demonstranten und uniformierten Sicherheitskräften lag, war während der Jahre der nationalistischen Mobilmachung eine Hochburg der Gbagbo-Anhänger. Noch heute glaubt Präsident Gbagbo, sich auf die Einwohner dieses Viertels fest verlassen zu können. Als sich am vorletzten Wochenende der französische sozialdemokratische Politiker Jack Lang in Abidjan aufhielt, um an die ehemals guten Kontakte zu Gbagbo wieder anzuknüpfen, hatte Lang ihn herausgefordert: »Wenn du wirklich so populär bist, wie du angibst, dann lass‹ uns in einem Viertel spazieren gehen, wo die einfachen Leute wohnen.« Gbagbo lud den französischen Politiker zum Tanzen ein. In eine Bar in Youpou­gon. Am folgenden Tag begannen in den Straßen des Viertels die Unruhen. »Gbagbo, du gehst tanzen, während wir nicht ausreichend zu essen haben«, riefen die Leute. Allerdings richteten sich viele der Transparente auch gegen den Premierminister Guillaume Soro. Auf einem war zu lesen: »Soro, lass uns (auch) dick werden!«