Neues Album von The Kills

Glamour aus der Gosse

Mit ihrem neuen Album verabschieden sich The Kills vom Retro-Rock und machen dabei eine verdammt gute Figur.

I want you to be crazy ’cause you’re boring baby when you’re straight«, singt Alison Mosshart auf dem neuen Album »Midnight Boom« des englisch-amerikanischen Rock-Duos The Kills. Das ist doch mal eine Ansage. Der Song heißt »Cheap And Cheerful«, und noch bevor die ersten Takte aus den Boxen dröhnen, hustet diese zierliche Frau wie ein Kette rauchender Bauarbeiter nach einem durchzechten Abend ins Mikrofon. Erst danach geht’s so richtig los.
Dass The Kills ein unappetitliches Husten und die Aufforderung durchzudrehen auf ihrem neuen Album haben, passt gut. Denn Sängerin Alison »VV« Mosshart und Gitarrist Jamie »Hotel« Hince setzen seit der Gründung ihrer Band auf das Rohe, das Authentische, aber auch gleichzeitig auf den Exzess und die Beschwörung mensch­licher Abgründe, also letztlich auf die klassischsten aller Rock’n’Roll-Tugenden.
Mit ihrem Debütalbum schwammen Mosshart und Hince 2003 gekonnt auf der Welle eines Trends, der zwei Jahre zuvor von den New Yorker Millionärssöhnchen The Strokes und dem anderen großen Mann-Frau-Duo des zeitgenössischen Rock-Zirkus, den White Stripes, losgetreten worden war: Retro-Rock, der in erster Linie Bands wie The Stooges und Velvet Underground zitiert. Ihr unterkühlter Habitus, die an Blues und Punk geschulten Gitarrenriffs von Jamie Hince und Mossharts fatalistische Beat-Lyrik, dazu das Künstliche an dieser Band, samt angedeuteter Schwulsterotik, all das versetzte damals sogar Menschen in Entzücken, die sonst nur wenig mit kerniger Rockmusik anfangen konnten.
Mittlerweile haben The Kills noch viel weniger mit Retro-Rock am Hut. Die Songs ihres neuen Albums »Midnight Boom« bestehen aus nicht mehr als einem mechanischen Beat, lasziv gesungenen Kinderliedmelodien und aus Texten, in denen die verrucht wirkende Mosshart unverblümt der Lasterhaftigkeit huldigt und das mädchenhafte Luder mimt. Kreischende Gitarrenriffs und Rock-Eruptionen sucht man vergebens. The Kills klingen mittlerweile fast wie eine Elektro-Band und treffen damit heute, wo alle Welt von New Rave und Bratzhouse aus Paris redet, einmal mehr einen Nerv.
Auch beim Boulevard. Denn zuletzt machte die Band weniger aufgrund ihrer Musik, sondern wegen des Privatlebens von Jamie Hince Schlagzeilen. Wenige Monate bevor das Werk »Midnight Boom« erschien, hatte Hince als neuer Liebhaber der femme fatale des Model-Jetset, Kate Moss, von sich reden gemacht und musste sich fortan über verkaufsfördernde Medienpräsenz genauso wenig Sorgen machen wie ehemals Heroin-Rocker Pete Doherty, mit dem Moss zuvor liiert war. Über eine derartige Promotion beschwert man sich normalerweise nicht. Dass Moss nun einen wie Jamie Hince datet, schon wieder einen hässlichen Rockmusiker, wie es in der englischen Presse hieß, passt ausgesprochen gut zu ihrem Faible für draufgängerische Exzentriker mit einem Hang zum Kaputten. Hince ist Kettenraucher, trinkt schon mittags das erste Glas Rotwein und hört sich gerne reden.
Seit Kate Moss ist endgültig klar: Mosshart und Hince bilden eine waschechte Fashion-Band, über die man von London bis Berlin-Mitte gerne redet. Beim Gespräch nach einem Auftritt in Berlin trägt Hince eine struppige Out-of-bed-Frisur und über seinem engen schwarzen Mod-Anzug einen exzentrisch breiten Wollschal, ein Rocker-Outfit wie direkt aus der Modestrecke. Mosshart fläzt sich in stilvoll zerrissenen Slim-cut-Jeans, abgewetzter schwarzer Designer-Leder­jacke und weißem XXL-Shirt auf einer Couch. Bands, die wie ihre eigenen Roadies aussehen, interessieren sie nicht, sagt sie und nimmt einen tiefen Zug von ihrer Marlboro Menthol. Außerdem, erklärt Hince, sei es spätestens seit Andy Warhol Allgemeingut, dass Musik und Mode untrennbar miteinander verbunden seien. Kate Moss hätte diesen Satz sicher auch unterschrieben. Dann wird Hince theoretisch. Jede kulturhis­torisch relevante Band habe einen bestimmten Dresscode, eine spezifische Stil-Identität gehabt – egal ob Velvet Underground oder die Sex Pistols. Womit das auch nochmals klargestellt wäre.
Apropos Velvet Underground: Sie sind ohne Zweifel der ästhetische Hauptbezugspunkt von Hince und Mosshart. The Kills wirken beinahe wie eine Neuauflage des Velvet-Underground-Modells. Er, der selbstzerstörerische Gossen-Bohemian – ein postmoderner Lou Reed. Sie, seine entrückt-coole Muse – die Nico des neuen Jahrtausends. Zwei heimatlose, getriebene, neurotische, leicht verwahrloste Charismatiker, die zusammen etwas auf die Beine stellen, mit dem Unterschied, dass sie sich wohl nicht so hassen wie ehemals Reed und die blonde Deutsche. Bei The Kills lief es vielmehr eher wie in einer guten Freundschaft. Bis Kate Moss dazwischenkam, teilten sich die beiden sogar ein Appartement in London. Sex hatten sie nach eigenem Bekunden aber nie. Ihre Live-Shows gleichen vielleicht gerade deshalb metaphysischen Sex-Exzessen. Wenn »VV« und »Hotel« gemeinsam am Mikro stehen, verfehlen sich ihre Lippen regelmäßig nur um Haaresbreite, immer halten sie Blickkontakt, die erotische Spannung zwischen den beiden ist mit Händen zu greifen.
Keine Frage, die beiden haben ihre Lektion in Pop-Art gelernt. Sie machen keinen Hehl aus ihrer Bewunderung für Stil-Ikonen der Sixties wie Edie Sedgwick und zitieren in Interviews gerne Beat-Lyriker wie Hunter S. Thompson oder Lawrence Ferlinghetti, cooles Wissen gehört hier mit zum Programm. Auf ihren körnigen Plattencovern und in ihren krisselig-unscharfen Video-Clips haben The Kills die Bricolage-Techniken des Punk und existenzialistisch klassische Schwarzweiß-Kontraste zu einer individuellen ästhetischen Trademark verschmolzen. Dazu kommt, dass ihr neues Album so sexy, dunkel und psychotisch ist wie ein David-Lynch-Film und sowieso das beste, was dieses Duo je gemacht hat. Wer braucht da schon noch die White Stripes? The Kills sind aber keine Modeerscheinung, sie sind ein Glücksfall.

The Kills: Midnight Boom (Domino)